SBB-CEO: "Der Schweiz fehlt beim Thema Smart City die grosse Vision"
In Basel haben sich 400 Teilnehmer zur Smart Suisse getroffen. An der Konferenz diskutierten prominente Redner über die digitale Transformation der Städte und weshalb der Schweiz hierbei eine Führungsrolle zukommt.
Immer mehr Gemeinden und Städte rüsten ihre Laternen mit LED-Lampen aus. Das spart Strom, senkt Kosten und gilt als nachhaltig. Und dann? Wie wäre es mit Sensoren an der Laterne, welche die Luftqualität, den Lärm oder einfach auch nur die Helligkeit messen, damit das Licht erst dann angeht, wenn es tatsächlich dunkel wird?
Über solche Möglichkeiten diskutierten IT-Entscheider, Wissenschaftler und Vertreter aus Politik und Wirtschaft an der ersten Smart Suisse. Die Konferenz in der Messe Basel besuchten laut Veranstalter 400 Gäste. Mit der Veranstaltung soll eine Plattform entstehen, auf der sich die verschiedenen Akteure zur Digitalisierung von Lebensräumen austauschen können.
Schwierig alle Parteien an einen Tisch zu bekommen
Immer mehr Menschen lebten in Städten, sagte Christoph Brutschin, Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt, in seiner Begrüssungsrede. Künftige Generationen stünden deshalb vor Herausforderungen in den Bereichen Energie und Verkehr. Deshalb müssten bereits heute die Infrastrukturen ausgebaut werden.
Brutschin warnte vor zuviel politischer Einflussnahmen. "Es braucht Freiheit, keine Behinderung durch Regulationen", sagte er. Freiheit alleine wird jedoch nicht ausreichen. Smarte Städte sind Stadtentwicklungsprojekte, die ICT-Lösungen nutzen. Oft müssen verschiedene Abteilungen einer Gemeinde oder Stadt für ein Projekt zusammenarbeiten. Häufig unterhalten die Fachabteilungen eigene IT-Stellen. Alle an einen Tisch zu bringen sei nicht einfach, wie ein IT-Leiter eines Kantons gegenüber der Redaktion sagte. Es brauche letztlich eine Vision und den Druck der politischen Spitze, um Smart-City-Projekte anzustossen. Doch in der Politik stünden derzeit andere Themen auf der Agenda.
Viele Städte sehen das wirtschaftliche Potenzial noch nicht
Dies bestätigte auch Jamie Cudden. Er ist Smart City Programme Manager im Dublin City Council. Cudden bodigte einige Vorredner, welche das Bild einer schönen neuen Welt zeichneten. Das Utopia sehe so aus, dass überall Daten gesammelt würden und auf Basis dieser Daten die richtigen Entscheidungen zum Wohle aller getroffen würden, erklärte Cudden. In Wahrheit kosteten alleine schon Sensoren für die Datensammlung tausende.
Jamie Cudden ist Smart City Programme Manager im Dublin City Council. (Quelle: Netzmedien)
Cudden zitierte Marktforscher, für die smarte Städte bereits ein Multimilliardenmarkt seien. Dublins Smart-City-Chef gegenüber sollen Firmen eingeräumt haben, dass sie noch kein Geld mit Smart-City-Projekten verdienen. Und viele Städte realisierten noch gar nicht, welches wirtschaftliche Potenzial sie haben. Das bestätigte Andreas Moser, Chief Digital Officer, beim Netzwerkspezialisten Cisco. Wenn die Städte Daten nicht sammelten und in Eigenregie vermarkten, dürften Firmen aus der Privatwirtschaft die Lücke füllen.
Den Gewinn könnten Private abschöpfen
Die öffentliche Hand könnte dann ein ähnliches Schicksal ereilen, wie die Telkos: Sie stellen die Infrastruktur bereit und müssen für deren Unterhalt aufkommen, während private Unternehmen mit Services Milliarden verdienen. Eine Stadt könnte etwa vor einem Grossereignis Parkplätze von Gewerbetreibenden in der Nähe des Veranstaltungsorts vermitteln und der Veranstalter die Parkplätze an die Besucher weitervermitteln.
Den Gewinn aus den Parkgebühren teilen sich die Stadt und die Gewerbetreibenden. Das Modell, eine Art Uber für Parkplätze könnte aber auch von privaten Unternehmen aufgezogen werden. Für Städte und Gemeinden geht es deshalb nicht nur darum, sich überhaupt Gedanken über Smart-City-Projekte zu machen, sondern schlicht darum, schneller als die Privatwirtschaft zu handeln. Ansonsten fehlen künftige Einnahmequellen.
Städte sollten auf Start-ups setzen
Cudden riet Kommunen, weniger auf grosse Unternehmen zu setzen die einem sofort in den Sinn kommen. "Ansonsten erhalten Sie stets die gleichen Lösungen von den immer gleichen Anbietern", sagte Cudden. Er empfahl stattdessen mit Start-ups zusammenzuarbeiten. Jungunternehmen werden laut Cudden dieses Jahr die Hälfte aller Innovationen im Bereich Internet of Things auf den Markt bringen.
Dass die Zusammenarbeit mit Tüftlern und Jungunternehmen funktionieren kann zeigt das Beispiel Zürich. Diese bot an einem Hackathon Daten für die Lösung verschiedener Problemstellungen wie etwa Lärm, Abwasser oder Transport an. Das Ergebnis waren Lösungsansätze, etwa zur Luftmessung, welche die Stadt Zürich nun weiterentwickeln kann. Für das Stadtmarketing war der Hackathon ebenfalls ein Erfolg. Verschiedene Medien berichteten über die Veranstaltung und machten auf diese Weise Zürich zu einer smarten Stadt.
Bevölkerung aufklären und einbinden
Praktisch jeder Redner betonte, wie wichtig es sei, die Bürger in Smart-Citiy-Projekte einzubinden. Diese bezahlten letztlich über ihre Steuern die Projekte, sagte etwa Moser von Cisco. Allerdings wüssten viele Bürger noch zu wenig über das Thema, sagte Gerhard Schmitt, Professor an der ETH für Informationsarchitektur. Die ETH will mit Hilfe offenen Massen-Onlinekursen (MOOCs) die Bevölkerung aufklären und für smarte Städte begeistern. In Asien würden sich bereits Milliarden Menschen mit dem Thema beschäftigen, sagte Schmitt. Er ist Gründungsdirektor des Singapore-ETH Centre.
Gerhard Schmitt ist Professor für Informationsarchitektur an der ETH. (Quelle: Netzmedien)
An dem Standort im Stadtstaat arbeiten über 1000 Wissenschaftler an Lösungen für urbane Räume. Obwohl Singapur verschiedene Projekte lanciert hat, sieht Schmitt die Schweiz in der Poleposition. "Die Schweiz wird in einer globalen 'Smart Nation' eine Führungsrolle einnehmen können", sagte er. Das Land hätte die Möglichkeit dazu, dank seiner direkten Demokratie, des hohen Ausbildungsniveaus und der Entwicklung von Spitzentechnologie.
"Der Schweiz fehlt die grosse Vision"
Smart City ist auch für die SBB von grosser Bedeutung. Das Unternehmen verbindet die Zentren der Schweiz und besitzt Areale, welche die Bahn künftig zu smarten Quartieren entwickeln möchte. SBB-CEO Andreas Meyer erläuterte die Vision des Unternehmens in den Bereichen Transport und Städteplanung.
Auch Meyer bezog sich auf Singapur. Früher sei die Schweiz für Singapur ein Vorbild gewesen. Heute scheine Singapur an der Schweiz vorbeizuziehen. "Man muss sich bewusst sein, dass einige der besten Leute aus unserem Land in Singapur arbeiten, weil sie dort mehr erreichen können, als hierzulande", sagte Meyer und fügte an: "Der Schweiz fehlt die grosse Vision."
60 Milliarden Franken durch autonome Fahrzeuge
Die SBB untersuchen, wie die Schweizerische Post, welche Chancen etwa autonome Busse bieten. Autonome Fahrzeuge bieten laut Meyer ein wirtschaftliches Potenzial von 60 Milliarden Franken. "Wir würden wohl selbst ein Zehntel davon nehmen", sagte Meyer in Richtung der Basler Finanzdirektorin Eva Herzog, die im Publikum sass.
Die SBB seien heute nicht mehr schienengebunden. "Wir müssen auch andere Mittel in unsere Planung miteinbeziehen, wie etwa autonome Fahrzeuge." Für die Entwicklung des Basler Wolf-Areals planen die SBB daher auch autonome Autos mit ein. Alleine wird es nicht gehen. Die SBB wird auf die Hilfe zahlreicher Partner aus der Technologie- und Baubranche angewiesen sein. "Wir wollen mit Ihnen zusammen die Smart Ditiy aufbauen. Lassen Sie uns hier vernetzen", sagte Meyer.
Zufriedene Aussteller
Für die Vernetzung der Besucher gab es auch im Ausstellungsbereich, der die Konferenzräume einrahmte. Von der Webagentur Ubique über IT-Dienstleister Spie bis hin zu den St. Galler Stadtwerken waren verschiedene Player dieses neuen Marktes vertreten.
ASE zeigte an der Smart Suisse eine Software für die Analyse von Besucherströmen. Die Anwendung kann Planern von Gebäuden oder Events helfen, Engpässe zu vermeiden. (Quelle: Netzmedien)
Die Aussteller zeigten sich gegenüber der Redaktion zufrieden mit dem Tag. Die Stände verzeichneten laut den Anbietern hohe Besucherfrequenzen und führten gute Gespräche, von denen wohl einige am abschliessenden Apéro weitergeführt wurden.