Die Bundesrätin im Interview

Karin Keller-Sutter über den Stand der Digitalisierung in der Schweiz

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Bundesrätin und EFD-Vorsteherin Karin Keller-­Sutter wacht nicht nur über die Finanzen der Schweiz, sondern auch über die Digitalisierung der Verwaltung. Die Bundesrätin sagt, wo die Schweiz heute steht.

Bundesrätin Karin Keller-Sutter. (Quelle: Bild: Keystone, della Valle)
Bundesrätin Karin Keller-Sutter. (Quelle: Bild: Keystone, della Valle)

Frau Bundesrätin, am 27. April 2022 habe ich zur Einleitung eines Interviews mit Staats­sekretärin Daniela Stoffel vom SIF geschrieben: «Sicherheit, Stabilität und Vertrauen – das sind die Werte, welche die Schweiz und der hiesige Finanzplatz verkörpern wie kaum ein anderer Ort.» Was halten Sie aus heutiger Sicht von ­meiner dama­ligen Schwärmerei?

Karin Keller-Sutter: Insgesamt ist der Finanzstandort Schweiz nach wie vor gekennzeichnet durch Sicherheit, Stabilität und Vertrauen. Die Krise, die vor einem Jahr zur Intervention des Bundes und zur Übernahme der Credit Suisse durch die UBS geführt hat, war zwar eine Vertrauenskrise. Dabei ging es aber um eine Bank und ihr jahrelanges Missmanagement, nicht um die Schweiz. Im Gegenteil, das entschlossene und erfolgreiche Handeln der Behörden hat das Vertrauen in das Land gestärkt. Es hat gezeigt, dass die Schweiz eine der­artige Extremsituation erfolgreich meistern, Schaden von Wirtschaft und Steuerzahlenden abwenden und das internationale Finanzsystem stabilisieren kann. Auch die internationalen Reaktionen auf die nun vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen zur Weiterentwicklung des «Too-big-­to-fail»-Dispositivs sind positiv. Aber ja, es gibt hier Arbeit zu erledigen, auf nationaler und internationaler Ebene. Das internationale Interesse an den Lehren, die die Schweiz aus dem Fall CS zieht, ist dabei gross und die Unterstützung spürbar.

Hätten Sie sich jemals träumen lassen, dass sich ein Fall CS in Ihrem ersten Amtsjahr als Finanzministerin so zutragen könnte? Was bedeutet es für Sie, dass Sie das Ende der CS und deren Übernahme durch die UBS verkünden mussten?

Es waren sehr hektische und anspruchsvolle Tage. Klar ist: Schuld am Niedergang der Credit Suisse waren die Verantwortlichen der Bank selbst. Jahrelanges Missmanagement und falsche Risikoeinschätzung rächen sich irgendwann. Natürlich hätten wir es lieber gehabt, wenn die Credit Suisse­ nicht untergegangen wäre. Oberstes Ziel war es, Schaden von der Volkswirtschaft und von den Steuerzahlenden abzuwenden und die Finanzstabilität national und international zu sichern. Beides ist den Behörden gelungen. Zudem hatten wir mit der UBS eine Schweizer Bank, die bereit war, die Credit Suisse zu übernehmen. Ohne diese Konstella­tion wäre es deutlich schwieriger und risikoreicher ge­worden.

Der Untergang der Credit Suisse wurde auch durch einen digitalen Bank-Run ausgelöst und durch Social-Media-Posts befeuert. Das sind nicht zuletzt Schattenseiten, welche die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft mit sich bringt. Wie kann solches in Zukunft verhindert werden?

Wichtig ist, sich der Risiken bewusst zu sein und sich auf negative Szenarien vorzubereiten. Wer zudem transparent und verlässlich informiert, ist weniger anfällig für gezielte Falschinformationen.

Apropos Geld und Digitalisierung: Um das Thema Blockchain und Kryptowährungen ist es in letzter Zeit etwas ruhiger geworden, nun (Mitte März 2024) boomen Kryptowährungen wieder und eilen von Hoch zu Hoch. Welche Chancen und Risiken sehen Sie im Zusammenhang mit Bitcoin und Co. für den Schweizer ­Finanzplatz?

Die Blockchain-Technologie ist eine Chance, sich als innovativer Finanzstandort zu etablieren. Deshalb hat die Schweiz 2021 als eines der ersten Länder entsprechende gesetzliche Grundlagen in Kraft gesetzt. Aber für die Schweiz ist auch die Integrität des Finanzplatzes zentral. Sie legt Wert darauf, dass für Kryptowährungen gleiche Regeln gelten wie für reale Geldwerte, etwa im Bereich der Geldwäschereibekämpfung. Wir prüfen ständig, wie wir die Regeln an neueste Entwicklungen anpassen können.

Wie stehen Sie CBDC, also digitalem Zentralbankgeld, gegenüber?

Eine effizientere Abwicklung des Zahlungsverkehrs, national und international, ist sicher in unser aller Interesse. Dafür ist nicht das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) zuständig, sondern die Schweizerische Nationalbank (SNB). Natürlich müssen Aspekte wie Datensicherheit und Verlässlichkeit gewährleistet sein. Die verschiedenen Projekte der SNB zu CBDC sind vielversprechend und werden auch international stark beachtet.

Sie sind als Vorsteherin des Eidgenössischen Finanzdepartementes auch die Chefin des Bundesamts für Informatik und Telekommunika­tion (BIT), und auch die Digitale Verwaltung Schweiz (DVS) ist in Ihrem Departement an­gesiedelt. Wie schätzen Sie den Stand bei der Digitalisierung in der Bundesverwaltung ein?

Die Bundesverwaltung ist mitten in einer vielschichtigen digitalen Transformation. Schon einige grosse Vorhaben konnten erfolgreich abgeschlossen oder wichtige Meilensteine erreicht werden. Ich denke da an Fiscal IT bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV), das Projekt DaziT beim Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) oder SUPERB beim Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL). Mit der schnellen Realisierung des Covid-Zertifikat-­Systems ist es der Bundesverwaltung gelungen, innert kürzester Zeit, in enger Zusammenarbeit zwischen Bund, Kantonen, Spitälern und der Privatwirtschaft, ein komplexes System zur Verfügung zu stellen. So konnte ein wesentlicher Beitrag zur Bewältigung der Covid-Pandemie geleistet werden. Aktuell setzen wir Schlüsselprojekte wie die staatliche E-ID, zu dem auch AGOV gehört, um. Mit AGOV, das seit 2024 in mehreren Pilotkantonen eingesetzt wird, realisieren wir ein einziges Login für alle Behörden. Die E-ID und die dazu gehörende Vertrauensinfrastruktur sollen nicht nur Behördenleistungen vereinfachen, sondern die digitale Transformation der ganzen Schweiz – also auch in der Wirtschaft – weiter vorantreiben. Auch strategisch haben wir die Weichen für eine vernetzte digitale Verwaltung gestellt. Zu erwähnen sind hier die Strategie «Digitale Verwaltung Schweiz 2024 – 2027» und die Strategie «Digitale Bundesverwaltung» sowie die Strategie «Digitale Schweiz». Diese sind aufeinander abgestimmt und ergänzen sich. Die Zusammenarbeitsorganisation DVS koordiniert und fördert Vorhaben der digitalen Transformation von Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden. Ihre Strategie setzt zusammen mit der Strategie «Digitale Bundesverwaltung» beim Punkt elektronische Behördenleistungen an. Alles in allem zeigt es, dass wir in der Bundesverwaltung für kommende Digitalisierungsaufgaben die nötige Erfahrung und das Rüst­zeug mitbringen. 

Wo sehen Sie Hemmnisse für die durchgängige ­Digitalisierung von Wirtschaft und Verwaltung?

In einer föderalistischen Struktur, so wie wir sie kennen, lässt sich ein Projekt nur dann erfolgreich realisieren, wenn sich die Akteure abstimmen und zusammenarbeiten. Natürlich gibt es Herausforderungen. Die erste ist die Kompatibilität: Der föderalistische Staat sieht viele Kompetenzen in den Kantonen und Gemeinden vor. Dort kommen unterschiedliche Technologien zum Einsatz. Hier bauen wir die technischen Hürden ab, beispielsweise durch die Förderung von Standardisierung. Eine weitere Herausforderung sind der Datenschutz und die Informationssicherheit, weil wir hier hohe Anforderungen haben. Für die Abwicklung von Behördengängen müssen die digitalen Lösungen sicherstellen, dass sie so datensparsam wie möglich sind und die Daten nicht zentral, sondern bei den Nutzenden gespeichert sind. Und die dritte Herausforderung ist die Nutzerfreundlichkeit: Hochkomplexe Services müssen für die Bevölkerung und Wirtschaft schnell auffindbar und einfach nutzbar sein. Und: Digitale Angebote sollen keine Personen ausschliessen: Die digitalen Behördenleistungen sollen zum Beispiel unterschiedliche IT-Grundkompetenzen, Sprachkenntnisse oder geistige sowie körperliche Beeinträchtigungen berücksichtigen. Die Bevölkerung soll auch weiterhin die Möglichkeit haben, sich nicht digital mit den Behörden austauschen zu können. Unternehmen und Verwaltung hingegen interagieren durchgängig digital.

In unserem kleinen Nachbarland Fürstentum Liechtenstein geht es in puncto Digitalisierung manchmal etwas schneller voran als in der Schweiz. Ich denke an die elektronische Identität, das elektronische Patientendossier, auch hatte das Fürstentum schon früh ein eigenes Blockchain-­Gesetz ... Warum sind wir in der Schweiz langsamer und ist das nun gut oder schlecht? (Lesen Sie dazu auch das Interview mit dem Liechtensteiner Regierungschef Daniel Risch, Anm. d. Red.).

Unsere föderale Struktur erfordert ein koordiniertes Vorgehen. Das mag den Weg teilweise etwas verlängern, das stimmt. Es führt uns aber ans Ziel, da die Lösungen breit abgestimmt sind. Zudem sind internationale Vergleiche mit Vorsicht zu geniessen: Länder haben unterschiedliche Voraussetzungen. Dort, wo möglich, versuchen wir von unseren Nachbarn zu lernen. Monitoringberichte und internationale Studien fliessen auch in unsere Entscheide ein. Der Blick über die Grenzen ist sinnvoll, da wir die internationale Anschlussfähigkeit von digitalen Lösungen ermöglichen wollen.

Welche Fortschritte gibt es bei der Digitalisierung in Ihrem Departement? Wo stehen DaziT, ePortal, die Digitalisierungsinitiative ESTV oder das Programm ­SUPERB?

Bei DaziT ist Anfang des Jahres das letzte Projektdrittel angelaufen. DaziT ist nach wie vor auf Kurs, zeitlich wie finanziell. Zahlreiche Anwendungen sind bereits in den produktiven Betrieb überführt, darunter das neue Warenverkehrssystem Passar 1.0. Mittlerweile wird es von mehreren Tausend Firmen für die Aus- und Durchfuhr genutzt. Mit der E-Vignette wurden im Bereich DaziT noch weitere Vorhaben, die nicht zum ursprünglichen Auftrag gehörten, umgesetzt. Im Bereich des BAZG werden 2024 etliche bestehende Systeme ausgebaut, wie das Grenzkontrollsystem mit der Anbindung ans europäische Entry-Exit-System. Weitere digitale Lösungen, die bereits Gegenstand von Pilotprojekten sind, werden schrittweise auf die ganze Schweiz ausgerollt. Parallel dazu intensivieren sich unter anderem die Arbeiten zur LSVA III. Mit Einführung der Verrechnungssteuer- und Stempelsteuer-Prozesse im ePortal sind wir einen guten Schritt in der Digitalisierung vorangeschritten und ebenfalls im Zeitplan. Mit SUPERB werden bis 2027 die Informatiksysteme zur Unterstützung der Supportprozesse modernisiert und die zivilen ERP-Systeme auf die neuen SAP-Technologieplattformen S/4 Hana umgestellt. Um die Risiken bei der Einführung zu senken, haben wir bei der Umsetzung von SUPERB ein Vorgehen in drei Phasen gewählt. In der ersten Phase im Mai 2022 nahmen wir die neue IBM-Hardware und die neue SAP-Hana-Datenbank in Betrieb, in der zweiten Phase wurde im September 2023 die Migration auf das neue SAP S/4 erfolgreich durchgeführt. Das Programm befindet sich aktuell in der dritten Phase, in der bis Ende 2026 Optimierungen umgesetzt werden. 

Wie zufrieden sind Sie mit dem Status der ­genannten Projekte und welche Baustellen gibt es in diesen Projekten?

DaziT ist, wie gesagt, auf Kurs. Dennoch bleiben die Anforderungen und die Komplexität hoch. In der letzten Programmphase wird deshalb stark priorisiert werden müssen, um die Programmziele zu erreichen. Ein Vorteil ist, dass in diversen Bereichen auf dem bereits Erreichten aufgebaut werden kann. Für die Vereinfachung und Digitalisierung der Zollprozesse braucht es die Revision des Zollgesetzes. Der Fortschritt im Programm SUPERB ist sehr erfreulich. So liegt das Programm gegenüber der Planung gemäss Botschaft derzeit unter Budget und ist im Zeitplan voraus. Bis Ende 2026 fokussieren sich die Arbeiten auf die weitere Standardisierung der Supportprozesse, die Zentralisierung der Stammdatenverwaltung, die Entflechtung der zivilen VBS-­Ämter sowie die Nutzung von Cloud-Lösungen. Die SAP-­Cloud-Thematik sowie die Zentralisierung der Stammdaten werden hier Herausforderungen sein. Bei all den Projekten müssen wir aber auch immer die Bundesfinanzen im Blick behalten: Der Bund muss sparen, wir müssen mit dem Steuer­geld sorgsam umgehen. Projekte können dann nicht immer wie geplant, sondern nur verzögert umgesetzt werden. Das trifft im Bereich ePortal zu.

Bildung, Forschung und Innovation sind Grundpfeiler des Erfolgs, insbesondere auch einer ­«digitalen» Schweiz. Wie steht es aus Ihrer Sicht um das Erfolgsmodell Schweiz?

Der Bundesrat hat sich zum Ziel gesetzt, dass die Schweiz die Chancen der Digitalisierung optimal nutzt. Ich bin überzeugt, dass wir diesbezüglich auf einem guten Weg sind. Bei der Entwicklung, Anwendung und Nutzbarmachung von neuen Technologien spielen Bildung, Forschung und Innovation zentrale Rollen. Für den digitalen Wandel müssen auch die notwendigen Kompetenzen erworben werden. Sie unterstützen uns dabei, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, unsere Sinne für die Risiken zu schärfen und wie wir letztlich verantwortungsbewusst handeln.

Welche Zukunftschancen räumen Sie der Schweiz ein? Oder anders gefragt: Was müssen wir tun, um unseren Wohlstand zu bewahren?

Es gibt noch viel zu tun. Nutzerfreundliche und durchgängige Behördenservices sollen bereitgestellt und die dazu nötigen IT-Infrastrukturen müssen erneuert und ausgebaut werden. Mit einer modernen Infrastruktur und durchgängig digitalen Behördenleistungen sind wir effizienter, transparenter und erleichtern die Interaktion zwischen Bevölkerung und Wirtschaft mit den Behörden. Prozesse werden optimiert, Kosten können gesenkt werden und wir erhöhen die Erreichbarkeit der Behörden. Daraus resultieren viele positive Effekte nicht nur für den Wohlstand der Schweiz, sondern für uns alle.


Zur Person
Bundesrätin Karin Keller-Sutter (60) ist verheiratet und stammt aus dem Kanton St. Gallen. Sie ist ausgebildete Übersetzerin/Dolmetscherin und Mittelschullehrerin. Ihre politische Laufbahn begann sie 1992 als Gemeinderätin in Wil SG. 1996 wurde sie ins Kantonsparlament und im Jahr 2000 in die Kantonsregierung gewählt. Als Regierungsrätin stand sie dem Justiz- und Sicherheitsdepartement vor. 2011 wurde Karin Keller-­Sutter als Vertreterin des Kantons St. Gallen in den Ständerat gewählt. 2017/2018 präsidierte sie den Ständerat. Bundesrätin Karin Keller-Sutter war vor ihrer Wahl in verschiedenen Vorständen von Verbänden, Verwaltungsräten von Stiftungen und Unternehmen ­engagiert. Nach ihrer Wahl in den Bundesrat am 5. Dezember 2018 ist Karin Keller-Sutter von allen ­Ämtern zurückgetreten. Seit dem 1. Januar 2023 ist sie Vorsteherin des Eidgenössischen Finanzdepartements EFD.


Bundesrätin Karin Keller-­Sutter hat die Fragen im Rahmen dieses Interviews schriftlich beantwortet.

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