Das Stethoskop

Bei der Digitalisierung geht es nicht nur um Nullen und Einsen

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von Jürg Lindenmann, Geschäftsführer, Health-IT

Spätestens seit dem Faxgate im BAG während der Pandemie und dem offensichtlichen Scheitern des EPD in der heutigen Form hat die Diskussion über den Rückstand bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen in der Schweiz auch medial Fahrt aufgenommen.

(Source: Elnur - stock.adobe.com)
(Source: Elnur - stock.adobe.com)

Plötzlich wimmelt es von Expertinnen und Experten, die genau zu wissen scheinen, wie denn nun die digitale Transformation im Gesundheitswesen gelingen soll. Die Rede ist von Customer Journey, KI und von innovativen Technologien, die oft so neu nicht sind.

Neue (Silo-)Apps werden lanciert in der Hoffnung, dass sich die Leute darauf stürzen. Digital Days, garniert mit Politprominenz und teuren Kampagnen des Bundes, sollen die Menschen dazu bringen, ihre Gesundheit digital zu managen, und die Leistungserbringer, ihre Datenflüsse zu automatisieren.

Bottom-up statt Top-down

Die Leistungserbringer selbst haben in ihren Institutionen bezüglich Digitalisierung und elektronischem Datenaustausch punktuell und pragmatisch schon einiges bewerkstelligt, motiviert durch finanziellen Druck und Fachkräftemangel. Eine national von oben herab verordnete Austauschplattform, als welche das EPD fälschlicherweise lange Zeit propagiert wurde, kann nicht erfolgreich sein. Hätte man etwa das Internet als globales interstaatliches Infrastrukturprojekt geplant, hätten wir wohl heute und in tausend Jahren noch keines.

Erschwerend ist aber nach wie vor, dass medizinische Dossiers hauptsächlich aus unstrukturierten Dokumenten bestehen, keine einheitliche Semantik angewandt wird (Snomed, Loinc und FHIR hin oder her), Stammdaten föderal fragmentiert sind und keine schweizweit eindeutigen Patientenidentifikatoren zur Verfügung stehen. 
Hier gilt es, geeignete Rahmenbedingungen zu definieren, die den Akteuren schweizweit zentral verfügbare Dienste und gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen, welche die digitalen Initiativen bei den Leistungserbringern fördern und unterstützen. Mit dem Programm «DigiSanté» des Bundes bewegt man sich hier in die richtige Richtung. 

Mit der umfassenden Revision des EPDG besteht zudem die Chance, im zweiten Anlauf den Leistungserbringern eine einheitliche Schnittstelle zu den Patienten (B2C) zur Verfügung zu stellen. Allerdings müssen die dafür notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden: EINE nationale Plattform wie etwa ELGA oder das liechtensteinische EGD, staatliche Finanzierung und Opt-out sowie viel, viel, viel weniger Komplexität und Bürokratie.  

Worauf es hauptsächlich ankommt

Joseph Weizenbaum, ein Informatik-Pionier der ersten Stunde, stellte schon früh fest: «Technologie bezieht ihren Wert aus der Gesellschaft, in die sie eingebettet ist.» Digitalisierung kann nur mit den Menschen, die daraus einen Nutzen ziehen, umgesetzt werden. Andrea Belliger, Co-Direktorin des IKF und Prorektorin der Pädagogischen Hochschule Luzern, eine der kompetentesten Expertinnen zu diesem Thema, hat letzthin dem blinden Glauben an das goldene Kalb die «Zehn Gebote der digitalen Transformation» entgegengesetzt. Diese stellen den Menschen und seine sozialen Beziehungen, also die Gesellschaft ins Zentrum und nicht nur das technologisch Mögliche. 

Fazit

Die digitale Transformation im Gesundheitswesen der Schweiz ist ein Prozess, der es erfordert, dass die Akteure miteinander zusammenarbeiten, der Nutzen in den Vordergrund und die ­Bürokratie in den Hintergrund gestellt wird. «Erkenne, dass Bürokratie keine Tugend ist», lautet das 9. Gebot der digitalen Transforma­tion von Andrea Belliger.

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