Smart reicht nicht mehr, die Zukunft des digitalen Spitals ist "liquid"
Moderne Spitäler sollten ihre Patientinnen und Patienten über die Spitalgrenzen hinweg betreuen. Ein wesentlicher Baustein hierfür ist der sichere und nahtlose Datenfluss in den Spitälern und darüber hinaus. Als Lösung bietet sich eine cloudbasierte Integrationsplattform an.
Ein funktionierendes Gesundheitswesen betrifft uns alle. Spitäler stehen jedoch vor vielfältigen Herausforderungen, wie der ZHAW Digital Health Report 2023/24 zeigt. So müssen laut der Umfrage die Patientinnen und Patienten mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. 59 Prozent der Bürgerinnen und Bürger wollen eine bessere Übersicht über die Behandlung und den eigenen Gesundheitszustand. Bei den Mitarbeitenden sieht es ähnlich aus. Sie wollen befähigt und entlastet, besser entlohnt und wertgeschätzt werden. Hinzu kommt, dass die Spitalleitung Antworten auf den Fachkräftemangel, die Qualitätsprobleme, die fehlende Transparenz, den dauernden Kostendruck und die Erwartung an die Spitzenmedizin und Innovation liefern muss.
Ein Teil zur Bewältigung dieser Herausforderungen ist eine konsequente Digitalisierung in Richtung eines "Smart Hospital". Ziel muss es sein, eine intelligente Organisation weiterzuentwickeln, die drei Schlüsselkompetenzen vereint: 1. Verbesserung des Patienten- und Mitarbeitererlebnisses, 2. hervorragende klinische und medizinische Ergebnisse und 3. Effizienz in der gesamten Versorgungskette des Spitals.
Doch ein auf den Spitalcampus begrenzter Wirkungskreis reicht heutzutage nicht mehr aus. Denn neue Technologien wecken zusätzliche Erwartungen in der Gesellschaft zum Thema Mobilität und bei den Leistungsträgern bezüglich Effektivität. Daher braucht es eine Vision des unbegrenzten "Liquid Hospitals", in dem die Patientinnen und Patienten jederzeit und überall versorgt werden können, auch ausserhalb des Patientenzimmers. Ziel ist es, die Hospitalisationszeiten zu verkürzen und die Behandlungsqualität zu erhöhen, ohne die Betroffenen aus den Augen zu verlieren. Die personalisierte und innovative Gesundheitsversorgung wird durch disruptive technologiebasierte Ansätze in die tatsächliche Lebensumgebung der Patientinnen und Patienten eingebettet. Solche Technologien können Sensoren und Wearables, Mixed Reality, Robotik und künstliche Intelligenz sein. Damit verschwimmen die Spitalgrenzen, die Betroffenen können virtuell und an jedem Ort mit dem Spital verbunden sein und die Daten fliessen sicher und ungehindert. Eine solche Vision erfordert aber ein hohes Mass an Vertrauen, Sicherheit und Kontrolle der eingesetzten IT-Systeme und -Lösungen.
SHIFT-Projekt – das Spital der Zukunft
Das Innosuisse-Flaggschiff-Projekt SHIFT hat sich das Ziel gesetzt, einen Beitrag mit einer Blaupause für das "smart and liquid Hospital" der Zukunft zu liefen. In diesem Projekt mit einer Laufzeit von 3,5 Jahren und einem Budget von 5,7 Millionen Franken arbeiten fünf Forschungspartner (ZHAW, USB, UNIBAS, UZH, FHNW) und 24 Praxispartner sowie eine Vielzahl von Spitälern unter Leitung des ZHAW Digital Health Labs zusammen. Innerhalb von drei Säulen sind zehn Projekte thematisch zusammengefasst. Diese bündeln Konzepte und Anwendungen für den nahtlosen Patientenpfad, die Befähigung des Spitalpersonals und die betriebswirtschaftliche Optimierung der Managementprozesse in einem Guss.
Eine wesentliche Grundkomponente stellt das Teilprojekt A.1 Tech-Foundation dar. Dieses bildet als einheitliche Daten- und Integrationsebene für Spitaler eine wichtige technische Voraussetzung, um die Vision "smart & liquid Tech & Data" zu ermöglichen. Ziel ist es, eine durchgehende Verfügbarkeit, Sicherheit und Interoperabilität von jeglichen Daten im Spital kostengünstig zu gewährleisten. Somit unterstützt das Subprojekt A.1 den nahtlosen Datenaustausch zwischen den im Gesamtprojekt eingesetzten Sensoren, Wearables, IoT-Geräten, Anwendungen und den bestehenden Back-End-Systemen der Spitäler.
Eine einheitliche und offene Integrationsplattform
Die Besonderheit und Neuheit der Tech-Foundation liegt in der Kombination von mehreren Fähigkeiten, die hier ermöglicht werden. Viele technische Projekte scheitern an den Rahmenbedingungen und der Veränderungsresistenz der Organisation. Dies will das Projekt vermeiden, indem es besonderen Wert auf eine holistische Sicht des Lösungsansatzes legt. Unter der Führung des Instituts für Wirtschaftsinformatik der ZHAW werden sechs Ziele realisiert (Grafik).
Mit diesem multi-dimensionalen Ansatz ist gewährleistet, dass nicht nur die technischen Aspekte durch die Implementierungspartner Leitwert, The I-Engineers und Eviden berücksichtigt werden, sondern dass wesentliche Bausteine einer flexiblen, offenen und on demand nutzbaren Integration-Platform-as-a-Service (iPaaS) zur Verfügung stehen.
IPAAS-Integrationsplattform für das Spital
Das technische Lösungspaket: Im Kern bietet die Tech-Foundation ein integriertes Produkt, das Sensoren und Wearables (IoMT) mittels des Device-Hubs sowie den Datenaustausch mittels Health Engine als Integrations-Middleware und Prozess-Engine ermöglicht.
iPaaS: Als "Integration-Platform-as-a-Service" kann die Lösung sicher, compliant und kosteneffizient in zertifizierten Schweizer Public-Cloud-Umgebungen betrieben werden.
Offenheit und Daten-Interoperabilität: Für den syntaktischen und semantischen Datenaustausch werden führende Datenstandards wie HL7 v2, CDA, FHIR und Datenrepräsentationen wie OpenEHR sowie Profilierung mittels IHE verwendet.
Regulatorien und Compliance: Gesundheitsvorschriften, Regulatorien wie die Mediziprodukteverordnung (MepV) sowie Vorgaben des Datenschutzgesetzes werden ebenso berücksichtigt.
Digital Health Best Practice: Aus den zuvor angeführten Anforderungen werden konkrete Leitfäden zur Einführung und Integration von Digital-Health-Anwendungen angeboten.
Reale Anwendungsfälle: Letztlich werden die Ergebnisse auch an konkreten Teilprojekten des SHIFT-Projekts in den Spitälern validiert und demonstriert.
Die Zukunft des Spitals ist "smart & liquid"
Gerade im Gesundheitswesen gibt es noch grossen Handlungsbedarf, wenn es um die digitale Transformation zur intelligenten Organisation geht. Neben dem wertvollsten und schützenswerten Gut, der Gesundheit der Patientinnen und Patienten, müssen verschiedenste Hürden und Tücken überwunden werden. So besteht zum Beispiel eine Vielzahl von Anforderungen zur Nutzung von Gesundheitsdaten in der Cloud, die im Auge behalten werden müssen. Der Weg dorthin ist wohl unausweichlich, jedoch gibt es verschiedene technische, organisatorische, regulatorische und praktische Knackpunkte, die berücksichtigt werden müssen. Ebenso drängen sich durch den vermehrten Einsatz von künstlicher Intelligenz im medizinischen Bereich kritische Fragen bezüglich der Sicherheit und Transparenz der eingesetzten Algorithmen auf. Regulatorien wie die Medizinprodukteverordnung (MepV) schreiben ein klares Verhalten der medizinischen Lösungen vor, das vorhersagbar und kontrollierbar sein muss. Auf der anderen Seite erweisen sich viele Machine-Learning-Algorithmen aktuell noch als eine Art "Black Box", weil ihre Entscheidungswege nicht oder nur schwer nachvollziehbar sind.
All diese Herausforderungen machen die digitale Transformation in Spitälern komplex und ungewiss. Konsequenterweise kann die Verwendung eines systematischen Ansatzes die Fortschrittsgeschwindigkeit und Erfolgschancen der notwendigen Veränderung erhöhen. Die Vorgehensmodelle und -anwendungen, die im SHIFT-Gesamtprojekt entwickelt werden, leisten hier einen Beitrag und können sehr relevant für die Praxis sein. In diesen Blaupausen wird gezeigt, wie sich das Spital der Zukunft in eine qualitativ hochwertige, effiziente und intelligente Organisation der nächsten Generation weiterentwickeln kann. Eine Organisation, die den Patientinnen und Patienten eine ortsunabhängige und personalisierte Gesundheitsversorgung anbietet. Und letztlich ihren Beitrag für ein exzellentes, aber auch finanzierbares Gesundheitssystem in der Schweiz leistet. Damit das Spital nicht nur finanziell liquid bleibt, sondern liquid im Sinne einer ortsunabhängigen Betreuung der Betroffenen und flexibler Erfüllung ihrer Bedürfnisse.