Ein Jahr Snowden Leaks - und jetzt?
Heute vor einem Jahr ging Journalist Glenn Greenwald erstmals mit Dokumenten des Whistleblowers Edward Snowden an die Öffentlichkeit. Die Redaktion blickt zurück auf ein Jahr der Enthüllungen rund um den US-Geheimdienst NSA.
Vor kurzem wurde bekannt, dass die Macher der James-Bond-Filme einen Streifen zu Whistleblower Edward Snowden drehen wollen. Der vor einem Jahr noch völlig unbekannte ehemalige Mitarbeiter des US-Geheimdiensts National Security Agency (NSA) hat es inzwischen zu Weltruhm gebracht. Verschiedene europäische Politiker, zum Beispiel der deutschen Grünen, fordern, dass Snowden in ihrem Land Asyl gewährt wird. Sie betrachten ihn als Helden, hat er doch aufgedeckt, wie weitreichend die Überwachung des Internets und der digitalen Kommunikation heutzutage ist.
Doch wie begann die Geschichte des wohl berühmtesten Whistleblowers der Geschichte? Ursprünglich arbeitete Edward Snowden in einer NSA-Filiale im amerikanischen Bundesstaat Hawaii. Mit der Zeit reifte in ihm die Überzeugung heran, dass die Überwachung, die er tagtäglich mitorganisierte, ein Verstoss gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten sei. Dem Land, das die NSA eigentlich mit ihrer Tätigkeit beschützen sollte. Er begann daher Schritt für Schritt Daten des Geheimdiensts zu kopieren und schmuggelte sie aus dessen Räumlichkeiten heraus. Schliesslich setzte er sich ab, unter dem Vorwand, sich im Ausland medizinisch behandeln lassen zu müssen und nahm Kontakt zu Enthüllungsjournalisten auf. Heute befindet er sich im Asyl in Russland.
Zusammenarbeit mit Glenn Greenwald
Einer der Journalisten, mit denen Snowden kooperierte, war der ehemalige Anwalt Glenn Greenwald. Damals arbeitete er für die britische Zeitung "The Guardian". Mit dem Material, das er von Snowden erhielt, publizierte er am 5. Juni 2013 einen Bericht. Darin legte er dar, wie die NSA sich die Daten sämtlicher Telefongespräche des amerikanischen Telkos Verizon liefern liess. Er trat damit eine Welle der Enthüllungen los. Innert weniger Tage erfuhr die Weltöffentlichkeit, dass die NSA die Kontaktlisten von E-Mail-Providern gezielt stiehlt, Firmen Geld bezahlt, um "Hintertüren" in ihre Verschlüsselungssoftware einzubauen, den globalen Internetverkehr standardmässig und umfassend überwacht oder in zuvor unvorstellbarem Ausmass Telefondaten sammelt. Und diese Liste liesse sich fast beliebig erweitern.
Der Weltöffentlichkeit wurde somit schlagartig bewusst, dass eine totale Überwachung, wie man sie allenfalls aus Science-Fiction-Filmen kennt, bereits Realität ist. Auch US-Präsident Barack Obama geriet aufgrund seiner Funktion als Oberhaupt der Vereinigten Staaten ins Visier der Kritiker. Sein berühmter Wahlkampfslogan "Yes, we can" wurde von Aktivisten zu "Yes, we scan" abgewandelt. Schliesslich sah er sich gezwungen, eine Reform des Geheimdiensts anzustossen. Obama entschied, dass die NSA künftig nicht mehr selbst die gesammelten Telefon-Metadaten speichern darf und erweiterte die Macht der Gerichte gegenüber dem Geheimdienst. Allerdings ging vielen Kommentatoren diese Reform nicht weit genug. Sie hatten gehofft, die Überwachung werde ganz eingestellt.
Überwachung auf helvetische Art
Auch in der Schweiz war das Thema Überwachung im letzten Jahr auf der politischen Agenda, nicht nur wegen des NSA-Skandals, sondern auch wegen der Reform des "Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs" (Büpf). Auch hier stand die Frage im Vordergrund, inwieweit der Staat den Schutz der Privatsphäre zwecks Bekämpfung von Kriminalität einschränken darf. Die Schweizer Politiker zeigten sich dabei keineswegs als Gegner einer verstärkten Überwachung. So will der Schweizer Ständerat, dass ein so genannter Staatstrojaner eingeführt wird. Damit könnten die Behörden die Computer von Privatpersonen überwachen.
In einem Gastartikel in unserer Zeitung zeigte sich die Forscherin Nathalie Baumann besorgt darüber, dass dieser Ausbau der Überwachung bei der Schweizer Bevölkerung keine grossen Protestreaktionen hervorbrachte. Nur wenige, netzpolitisch engagierte Kreise und Vertreter der ICT-Branche wehrten sich gegen die Gesetzesrevision. Dabei habe gerade die Schweiz, die Ende der 1980er-Jahre die Fichenaffäre verarbeiten musste, bereits Erfahrung mit übertriebener und unrechtmässiger Überwachung durch den Staat.
Was bleibt?
Die Affäre um Edward Snowden hat der internationalen sowie der schweizerischen Öffentlichkeit bewusst gemacht, dass gerade der digitale Fortschritt ein bisher unbekanntes Mass an Überwachung ermöglicht. Und dies auch in den demokratischen, rechtsstaatlichen Ländern des Westens, nicht nur in Diktaturen. Inwiefern die Internet-Nutzer deswegen tatsächlich ihr Verhalten angepasst haben, ist nicht leicht abzuschätzen. Es ist aber davon auszugehen, dass ein Grossteil nach wie vor sorglos mit ihren persönlichen Daten und Informationen umgeht.
Für die Zukunft gilt daher wohl, wovor Ständerat Markus Stadler (GLP) in der Debatte um die Revision des Büpfs warnte: "Die Gedanken sind frei zugänglich." Die Erfindung des Internets hat, nebst all ihren Annehmlichkeiten und Vorteilen, also auch einen negativen, nicht intendierten Nebeneffekt mit sich gebracht: Die Abschaffung der Privatsphäre.