David und Goliath reichen sich die Hände
Gegensätze ziehen sich an, sagt der Volksmund. Oder ist es nicht doch so, dass sich gewisse Gegensätze nur schwer oder gar nicht überwinden lassen? In Bezug auf den Wirtschaftsstandort Schweiz lassen sich für beide Thesen Belege in der Praxis finden lassen.
Sie könnten unterschiedlicher kaum sein: Roger Wüthrich-Hasenböhler und Jan Bühlmann. Bühlmann arbeitet gerade als Markting Manager für das Projekt Challengeaccepted, im Coworking Space, Impact Hub. Es ist ein Projekt, denn die offizielle Gründung steht erst noch an und ein grosser Teil von Bühlmanns Freizeit geht für das Cleantech-Start-up drauf. Roger Wüthrich-Hasenböhler ist Geschäftsleitungsmitglied bei der Swisscom und verantwortet die Arbeit von rund 800 Mitarbeitern im Geschäftsbereich Kleine und Mittlere Unternehmen. Die einzige Gemeinsamkeit scheint zu sein, dass beide unternehmerisch tätig sind. Dabei können die Beiden aus wirtschaftlicher Sicht in Zukunft entscheidend voneinander profitieren.
Innovation oder Disruption, die latente Bedrohung für Grossunternehmen
Disruption heisst das Schreckgespenst, das bei den Grossen heutzutage die Runde macht. Von Disruption ist die Rede, wenn eine Technologie eine andere möglicherweise ganz verdrängt. Ein typisches Beispiel, das auch Swisscom betrifft, ist die Verdrängung der SMS durch kostenlose Nachrichtendienste wie Whatsapp. Es war also ein kleines Start-up, das es geschafft hat, eine Technologie in einem Bereich zu etablieren, der von riesigen Telkos dominiert wird. Start-ups können Grossunternehmen also existenziell gefährlich werden. „Durch Whatsapp verdampfte bei der Swisscom ein Geschäft von 400 Millionen Schweizer Franken“, sagte Urs Schäppi, der CEO von Swisscom, am Asut-Seminar.
Das SMS-Beispiel zeigt, dass ein Start-up innovativer sein konnte als die grossen Telkos. Das mag erstaunen in Anbetracht der beachtlichen Mittel, die Grossunternehmen zur Verfügung stehen. In diesem Fall sei es sogar so gewesen, dass die Telkos die neue Technologie bereits gekannt und damit experimentiert hätten, sagt Wüthrich-Hasenböhler. Das bedeutet, dass sie die Innovationskraft von kleinen Unternehmen unterschätzt haben, oder dass die Kleinen einfach schneller waren – oder beides. Selbstüberschätzung kann in der Tat ein Problem bei Grossunternehmen werden, sagt Wüthrich-Hasenböhler. „Not-invented-here-Syndrom“ könne man das zugrundeliegende Leiden nennen, das unvorsichtige Grossunternehmer heute heimsuche. Damit sei die Tendenz gemeint, alles zu ignorieren, das nicht im eigenen Haus entwickelt worden sei. Das kann dazu führen dass man Trends verschläft und disruptive Gefahren unterschätzt.
„Der ganz grosse Vorteil eines Start-ups ist, dass es agieren kann, ohne auf eine grosse Organisation Rücksicht zu nehmen“, erklärt Wüthrich-Hasenböhler. Ein Start-up hat somit auch weniger Innovationshindernisse. Bildlich gesprochen sind Grosskonzerne demgegenüber schwerfällige Kolosse, die in puncto Geschwindigkeit und Flexibilität nicht mit den kleinen und wendigen Start-ups mithalten können. Grossunternehmen hinken aber nicht nur tendenziell den kleinen hinterher, manchmal treten sie ein Rennen gar nicht erst an. So hätte ein Manager bei Swisscom in den 2000er-Jahren mit Sicherheit erhebliche Probleme gehabt, ein Produkt wie Whatsapp zu etablieren, das eines seiner eigenen Kernprodukte, die SMS, torpediert.
Herausforderungen für Start-ups
Auch die Start-ups in der Schweiz haben einige Herausforderungen zu meistern. Dies obwohl laut dem Global Entrepreneurship Monitor die Schweiz im weltweiten Vergleich beste Rahmenbedingungen bietet. Ein spezifisches Problem in der Schweiz ist, dass es hierzulande zu wenige Risikoinvestoren gibt. In Amerika sei das anders, sagt Gert Christen, CEO des Startzentrums in Zürich. Dort herrsche eine ganz andere Start-up-Kultur, in der die alten Hasen den Neulingen mit Rat, Geld und dem eigenen Namen zur Verfügung stünden. Demgegenüber seien die Schweizer Investoren und Unternehmer sehr zurückhaltend. Eine erste Runde mit Beträgen unter einer Million sei hierzulande noch machbar. Geht es aber um grössere Beträge, die für einen Eintritt in den globalen Markt nötig wären, werde es schwierig, sagt Christen.
Die Schweizer Investoren scheinen also nicht sehr risikofreudig zu sein, zumindest was die Investoren betrifft. Das könnte auch damit zusammenhängen, dass es in der Schweiz keine „Kultur des Scheiterns“ gibt, wie Chief Storytelling Officer des Impact Hubs Zürich, Céline Tykve ausführt. Ihr zufolge sei es in der Schweiz verpönt, zu scheitern. Soll heissen, dass ein Misserfolg in der Schweiz für ein Start-up, oder die Karriere eines Unternehmers, das Ende bedeuten kann. Auf der anderen Seite des Teiches ist auch das ganz anders. Dort gehöre es zum guten Ton, mindestens einmal eine Krise zu durchleben, sagt Tykve.
Kunden und Geld, Geld und Kunden
Während die Grossen im Normalfall auf eine solide Basis an Kunden und Kapital zurückgreifen können, müssen die Kleinen sich das erst noch aufbauen. Je nach Einzelfall genügen schon gute Kunden zu einem frühen Zeitpunkt, um auf zusätzliches Kapital verzichten zu können. So konnte auch Luware organisch wachsen, wie CTO Michael Jakob erzählt. Das Unternehmen wurde 2010 gegründet und Contact-Center-Lösungen auf Basis einer Microsoft-Plattform an. Gleich zu Beginn ihrer Karriere haben sie einen grossen Fisch an Land gezogen. Das hatte zwei Vorteile, zum einen konnten sie so schon früh gutes Geld verdienen und zum anderen gab dies den Ansporn, das Produkt zu perfektionieren und am Markt zu testen. Seit diesem Zeitpunkt vermochte Luware stetig zu wachsen. Das eigentliche Startkapital konnten die Gründer selbst aufbringen. So schafften sie es praktisch ohne Fremdkapital, den Start-up-Status zu überwinden. Das funktioniert aber nicht bei allen so.
Andere Start-ups starten auch mit anderen Grundbedingungen. Headstore beispielsweise. Wie CEO, Beat Steiger, sagt, war er am Anfang auf Kapital angewiesen. Das Problem, in der Schweiz Investoren zu finden, traf ihn ganz direkt. Er löste es, indem er auf privatem Wege Geld zusammentrug. Steiger kritisiert in diesem Zusammenhang auch die Schweizer Start-up-Förderer. Seiner Meinung nach trügen sie zu wenig dazu bei, Investoren mit Start-ups zusammenzubringen. Er sieht aber auch Entwicklungen, die in die richtige Richtung gehen. Ihm zufolge deuten etwa die neuen Circles der EFG-Bank, die Investoren und Start-ups an einen Tisch setzen, eine Trendwende an.
Wenn die Grossen in Start-ups investieren
Zu den möglichen Investoren gehören auch Unternehmen. Manche von ihnen verfügen über Corporate Venture Capital, das sie in junge Unternehmen investieren können. So betreibt etwa Swisscom einen Venture Fund. Damit sei Swisscom in der Schweiz aber angeblich noch eher die Ausnahme. Denn „viele Schweizer Unternehmen wollen nicht das Risiko eingehen, in Start-ups zu investieren“, sagt Wüthrich-Hasenböhler. Obwohl man damit das Risiko, verringern könnte, verdrängt zu werden.
Der Venture Fund ist ein Teil von Swisscoms Strategie gegen Disruption. Dabei gilt es, ständig den Markt und vor allem die Start-ups zu beobachten, um Technologietrends ausmachen zu können, wie Wüthrich-Hasenböhler erklärt. Dann investiere man in die Felder und Unternehmen, die man als zukunftsrelevant erachte.
Möglichkeiten der Zusammenarbeit gebe es viele. Swisscom übernehme Start-ups nur, wenn sie strategisch relevant seien. In den meisten Fällen werde eine Kooperation oder eine Beteiligung angestrebt. Neben Fonds setzen die Grossen auch auf hauseigene Inkubatoren. Swisscom betreibt dazu den Pirates Hub. Dieser ist Teil der längerfristigen Strategie, um Disruption zu umgehen. Luware wurde von einem Inkubator von Microsoft unterstützt, der ihnen vor allem dabei half, neue Kunden zu gewinnen. Dies war naheliegend, weil die Lösung von Luware auf der Kommunikationsplattform von Microsoft basiert. Auch Six eröffnet einen eigenen Fintech-Inkubator, der Ende August den Betrieb aufnimmt.
Unüberwindbare Gegensätze oder Arbeitsform der Zukunft?
Ein Start-up kann also vom Geld und dem Netzwerk eines grossen Unternehmens profitieren, während die Grossunternehmen von den Innovationen und der Agilität der kleinen Partner profitieren können. Die Zusammenarbeit läuft aber nicht immer reibungslos. Eines der grössten Probleme für Start-ups kann die Trägheit der Grossen sein. Steiger ist momentan dabei, grosse Partner für seinen Kommunikationsdienst zu finden. Dabei dauerten die Entscheidungsprozesse teils so lange, dass dies für sein Unternehmen bedrohlich wurde. Entscheidend sei vor allem, ob die Grosskonzerne auf die Bedürfnisse der Kleinen eingestellt seien. Während seiner Verhandlungen mit der NZZ sei dies am deutlichsten geworden, berichtet Steiger. In einer ersten Phase sei alles sehr schleppend vorangegangen, bis der grosse Partner eine neue Person eingestellt habe, die Ahnung von Start-ups hat. Seither laufe die Zusammenarbeit wie am Schnürchen.
Trotz der vielen Gegensätze geht keiner der Befragten davon aus, dass sich in Zukunft entweder die Strukturen von Grossfirmen oder die der Kleinen in der Wirtschaft durchsetzen werden. Vielmehr erwarten sie eine verstärkte Zusammenarbeit und eine Verschmelzung der Strukturen. Dafür spricht auch die stetig wachsende Zahl an Inkubatoren, Vermittlern und Stiftungen. Im Kleinen wird diese Verschmelzung im Impact Hub Zürich schon gelebt. Hier sitzen Manager und Jungunternehmer am selben Tisch. Im Zuge von Programmen wie „Grow“ lernen Bühlmann und Wüthrich-Hasenböhler, die jeweils andere Seite kennen. Der Impact Hub Zürich, der eine sehr heterogene Business-Community pflegt, erfreut sich aktuell an Zuwachs und Medienpräsenz. Geht es nach der Vision des Impact Hubs, ist der flexible und auf der Community aufbauende Arbeitstil – wie er dort heute schon gelebt wird - die Arbeitsform der Zukunft. Auch das immer häufiger grosse Namen wie Six, Swisscom oder die EWZ aufspringen, scheint ihnen Recht zu geben.
Auch Wüthrich-Hasenböhler erwartet für die Zukunft eine verstärkte Zusammenarbeit von Grossen und Kleinen. Diese sei sogar entscheidend für das Fortbestehen von Grossunternehmen: „Wenn ein Unternehmen gut organisiert ist und gute Infrastrukturen zur Verfügung stellt, die die Teamarbeit von morgen fördern, kann ein Grossunternehmen durchaus auch in Zukunft erfolgreich bleiben.“
Hintergrundinformationen zur Reportage liefert das Dossier.