Titelgeschichte

Social Media Recruiting: Vom Hoffnungsträger zum Stiefkind

Uhr | Aktualisiert
von Christoph Grau

Noch vor wenigen Jahren galten soziale Medien als disruptive Kräfte im Personalwesen. Doch nach der anfänglichen Euphorie trat das Thema Social Recruiting für viele Personaler in den Hintergrund. Dabei birgt die Methode viel Potenzial.

Portale wie Linkedin oder Xing (vormals "Open Business Club") sind angetreten, um die HR-Welt zu verändern. Sie forderten die Personalvermittler heraus und stellten deren Geschäftsmodelle infrage. Es entwickelte sich ein regelrechter Hype um Social Recruiting – die Personalbeschaffung über soziale Netzwerke. "Einige sahen sogar das Ende des klassischen Personalvermittlerwesens gekommen", sagte Marc Lutz, Managing Director des Personalvermittlers Hays Schweiz, in einem Gespräch.

Das Aufkommen von Social Media war sozusagen die disruptive Kraft für die HR-Branche. Datenbanken von Personalvermittlern waren nun nicht mehr exklusiv, sondern standen jedem mehr oder weniger frei im Internet zur Verfügung. Unternehmen, deren Geschäftsmodell einzig da rin bestand, Lebensläufe von Klienten an Unternehmen zu verschicken, verschwanden vom Markt. Die ganze Branche war gezwungen, zu reagieren, und musste sich auf die Veränderungen einstellen. Das habe der Branche einen Schub verliehen, der enorm zur Weiterentwicklung des HR-Geschäfts beigetragen habe, zeigte sich Lutz überzeugt.

Das war vor zirka acht Jahren. Und heute? Inzwischen ist der Hype abgeklungen. "Es ist gut, dass der Hype tot ist", sagt denn auch Eva Zils, Social-Media-Beraterin und Betreiberin des HR-Blogs "Online-Recruiting.net". Der Markt sei reifer geworden. Dadurch werde das Recruiting über Social Media nicht mehr als losgelöster Kanal verstanden. Vielmehr sei die Einsicht gereift, dass Social Recruiting nur als Teil einer umfassenden Social-Media-Strategie Erfolg versprechend sein könne.

Wie dies funktioniert, zeigt das Beispiel der Schweizer Privatklinikgruppe Hirslanden. Das Recruiting über soziale Medien wurde als ein integraler Bestandteil in die gesamte Social-Media-Kommunikationsstrategie implementiert, erklärte Stefan Lienhard, Projektleiter Social Media der Privatklinikgruppe. Ausser den klassischen Karriereportalen betreibt die Hirslanden-Gruppe sogar einen eigenen Twitter-Kanal nur für Jobs. Laut Lienhard kann der

positive Eff ekt dieser Bemühungen eindeutig belegt werden, und das Angebot werde auch von den Stellensuchenden positiv aufgenommen. Insbesondere jüngere Fachkräfte könnten so direkter angesprochen werden, was in Zeiten des Fachkräftemangels ein Vorteil sei.

Die Schweiz – ein Social-Media-Entwicklungsland

Im Grossen und Ganzen spielt Social Recruiting in der Schweiz aber noch keine grosse Rolle. Lutz schätzt, dass ungefähr 15 Prozent aller Stellen auf diesem Weg besetzt werden. Einen noch detaillierteren Einblick bietet die "Social Media Recruiting Studie 2015". In dieser wurden rund 300 Schweizer Personaler im Zeitraum von Januar bis Februar 2015 zum Einsatz von sozialen Medien bei der Stellenbesetzung befragt. Die von Eva Zils geleitete Umfrage fand nach 2012 und 2014 zum dritten Mal statt.

Im Vergleich zur Erhebung aus dem Vorjahr gewann das Th ema Social Media geringfügig an Bedeutung. 24 Prozent der Befragten gaben an, schon einmal eine Stelle über soziale Netzwerke besetzt zu haben, im Vergleich zu 22 Prozent im Vorjahr. Die deutliche Mehrheit, nämlich 60 Prozent, nutzten diesen Kanal noch nie für diesen Zweck. Der geringe Stellenwert schlägt sich auch in den Social-Media-Budgets der HR-Abteilungen nieder. Fast zwei Drittel der Befragten hatten dafür kein gesondertes Budget zur Verfügung. Auch wenn sie eines vorzuweisen hatten, bewegte es sich in einem bescheidenen Rahmen. Bei drei von vier Befragten lag das Budget zwischen 5000 und 10 000 Franken, wie die Studie zeigte.

Eine Frage der Mentalität

Im Vergleich zum europäischen Ausland und auch zu Deutschland hinke die Schweiz in Sachen Social Recruiting deutlich hinterher, betonte Zils. Social Recruiting werde dabei nicht nur seltener eingesetzt, auch die Akzeptanz sei deutlich geringer. Einen Grund hierfür sieht Zils im hohen Stellenwert der Personalberater in der Schweiz. Sie hob auch die grosse Bedeutung des Stellenportals Jobs.ch hervor. Gegen diese Konkurrenz hätten die Angebote über Social Media einen schweren Stand. Die Schweiz ist zudem ein kleines Land, und viele Personaler sehen nicht die Notwendigkeit, auf solch grosse HR-Portale wie Xing oder Linkedin zu setzen, wie Zils sagte.

Auch Lutz unterstützt Zils in dieser Einschätzung. Der direkte Kontakt habe in der Schweiz bei Personalern noch einen höheren Stellenwert. Zudem unterstrich er, dass es hierzulande eine sehr professionalisierte Recruiting- Landschaft gebe. Für Katharina Iten, Gründerin des Social- Recruiting-Start-ups Recomy, ist es hingegen eine Mentalitätsfrage. Ihrer Meinung nach würden die Schweizer zunächst ausführliche Strategien und Konzepte verfassen, bevor sie etwas Neues ausprobieren. Auch Social Recruiting stelle hier keine Ausnahme dar. Als Beispiel nannte sie einen HR-Mitarbeiter, mit dem sie vor drei Jahren erstmals Kontakt hatte und der erst kürzlich sein erstes Inserat bei Recomy veröff entlichte.

Vorsicht, Fallen!

Lutz sieht im Social Recruiting grosse Chancen für Unternehmen, die momentan noch zu selten wahrgenommen würden. Besonders die grossen Datenbanken der Portale bieten einen riesigen Pool an potenziellen Kandidaten. Diesen richtig zu nutzten, sei aber nicht einfach. Gerade wegen der Vielzahl an Daten sei es wichtig, die Ansprüche und Zielgruppe genau zu defi nieren. Es bestehe die Gefahr, dass durch eine zu ungenaue Zielgruppenbestimmung zu viele Bewerbungen eingingen. Dies überfordere nicht nur die Personalabteilung, sondern könne auch das Image der Firma bei einem Bewerber beschädigen. Ausserdem verursache ein hohes Bewerberaufkommen enorme Kosten und binde Ressourcen. Gerade KMUs, die keine reine HR-Kraft beschäftigen, könne dies schnell die Grenzen aufzeigen und ihnen ungeplante Mehrkosten verursachen.

"Social Media ist nicht kostenlos", sagte auch Zils. Viele Personaler hätten aber noch diese Vorstellung. Gutes Social Recruiting brauche vor allem viel Zeit. In der Schweiz verwenden die Personaler im Durchschnitt knapp eine Stunde für das soziale Netzwerken, ergab die Social-Media-Studie von Zils. Im Vergleich zum Vorjahr sei dies zwar eine Steigerung, aber noch nicht ausreichend. "Social Media kann nicht einfach so nebenbei gemacht werden", zeigte sich Zils überzeugt. Auch gemäss Lutz müssen sich insbesondere KMUs genau überlegen, ob sie das Social Recruiting selbst übernehmen wollen oder jemanden damit beauftragen. Das Aufbauen von internen Fähigkeiten lohne sich seiner Meinung nach nur, wenn viele Stellen zu besetzen seien. Häufi g sei es sinnvoller, die Kompetenzen für das konkrete Besetzungsprojekt einzukaufen. Auf diesem Wege könnten auch kleinere Unternehmen diesen Kanal erschliessen.

Für Zils ist die Grösse eines Unternehmens allerdings nicht entscheidend. Viel wichtiger ist ihr die Fokussierung. Wenn dies richtig gemacht werde, dann könnten sich auch kleinere Unternehmen Social Recruiting leisten.

Nur ein Kanal unter vielen

In der Schweiz ist kein Social-Recruiting-Boom zu erwarten, was auch die "Social Media Recruiting Studie" von Zils belegt. Als zusätzlicher Recruiting-Kanal könne Social Media aber einiges bieten. Das grösste Potenzial von Social Recruiting sieht Iten im Erschliessen von "passiven Kandidaten". Darunter versteht sie Personen, die sich nicht off en als Stellensuchende präsentieren und auch nicht aktiv suchen. Wenn sie jedoch auf eine interessante Jobherausforderung stossen, sind sie off en dafür. Solche Personen könnten über die klassischen Kanäle nur schwer erreicht werden. Social Media biete hier einen guten Zugang, sagte Iten. Dieser Ansatz gehe über die HR-Portale wie Xing oder Linkedin hinaus und schliesse privat genutzte Netzwerke wie Facebook, Instagram oder Twitter mit ein. Für Lutz sollte die Bedeutung des Social Recruitings aber nicht überschätzt werden. Die sozialen Medien hätten zwar eine gewisse Relevanz im Markt, letztlich seien sie aber nur ein Kanal unter vielen. Zudem brauche es im Rekrutierungsprozess auch noch das persönliche Element, betonte Lutz. Ein reines Social Recruiting sei für ihn daher kaum vorstellbar. Als Kontaktpunkt hätten die sozialen Medien ihre Stärken, diese könnten aber das persönliche Element nicht ersetzen.

Tags
Webcode
5284