"Ich sehe eine 'Konsumerisierung' des Gesundheitswesens"
Als Global Head Outcomes Technologies Incubator (Novae) bei Novartis verantwortet Ulrich Muehlner auf Gruppenebene die "Beyond-the-Drug"-Strategie des Basler Pharmariesen. Mit Technologien aller Art soll die Wirkung von Medikamenten optimiert werden. In diesem Zusammenhang spielen auch Wearables eine immer wichtigere Rolle.
Bei Pharmafirmen vermutet man nicht gleich, dass sie sich mit Wearables beschäftigen. Können Sie uns kurz einen Einblick in Ihre Aktivitäten geben?
Ulrich Muehlner: Wir setzen Wearables ein, um sicherzustellen, dass unsere Medikamente in der sogenannten "realen Welt" auch die gehofften Wirkungen erzielen – wir sprechen hier von "real world outcomes". Damit meine ich, dass die in klinischen Studien erzielten Ergebnisse auch in der Praxis reproduziert werden können. Denn die Studien finden unter sehr kontrollierten und genormten Bedingungen statt. Idealerweise helfen uns Wearables sogar dabei, die Wirkung der Medikamente noch zu steigern. In der Pharmabranche nennt sich dieser Ansatz "Beyond-the-Drug".
Können Sie diesen "Beyond-the-Drug"-Ansatz noch etwas genauer erklären und welche Rolle Wearables dort spielen?
Mit Wearables können wir den Patienten sozusagen zuhause begleiten und wichtige Vitalfunktionen überwachen. Die Geräte teilen einem Patienten etwa mit, wann er ein Medikament einnehmen muss, oder messen Parameter wie den Blutdruck oder den Blutzuckerspiegel. Diese Lösungen sind nicht nur digital und high-end. Entscheidend ist es, mit den Anwendungen eine bessere Transparenz über den Gesundheitszustand zu erlangen und die Motivation des Patienten zu steigern.
Gibt es über das Monitoring hinaus auch noch weitere Anwendungen?
Wearables bei Patienten könnten uns langfristig dabei helfen, neue "digitale" Biomarker zu entdecken. Die Diagnostik vieler Krankheiten, insbesondere im neurologischen Bereich, ist oft noch nicht weit genug vorangeschritten und abhängig von subjektiven Kriterien. Mit Wearables liessen sich ausser biologischen Markern noch weitere beobachten und in die Diagnose integrieren. Dies könnte etwa unmerkliches Zittern oder auffällige beziehungsweise abweichende Augenbewegungen sein. Krankheiten wie Alzheimer oder Multiple Sklerose liessen sich so frühzeitiger und differenzierter erkennen.
Was waren bisher die grössten Projekte, die Sie mit Novartis realisiert haben?
Im Sommer 2014 gingen wir eine Partnerschaft mit Google ein, genauer gesagt mit Google(x) Life Sciences (heute Verily), das damals noch unter dem Dach von Googles X-Labs war, wo auch Produkte wie die selbstfahrenden Autos oder Google Glas entwickelt werden. Zusammen entwickelten wir einen Prototyp einer Linse für die Glukosemessung in der Tränenflüssigkeit, der bald in die klinischen Tests gehen soll. Momentan arbeitet die Augensparte von Novartis auch an einer Linse, die den Brechungsindex automatisch anpasst, was Personen zugute kommen soll, die sowohl weit- wie auch fernsichtig sind, wie häufig bei Alterssichtigkeit.
Liessen sich auch handelsübliche Fitnesstracker für die Anwendungen nutzen?
Ich bin da eher skeptisch. Meiner Meinung nach ist die Qualität von handelsüblichen Geräten wie Fitbit oder Jawbone nicht gut genug für die meisten medizinischen Anwendungen. Die Schwankungen bei den gemessenen Werten sind zum Teil erheblich. Medizinische Geräte werden nur bei sehr geringer Schwankungsbreite zugelassen. Die Aufsichtsbehörden lassen daher auch nur Geräte zu, die diese hohen Standards erfüllen.
Welche Rolle spielen die Patienten bei der Einführung von Wearabels im Gesundheitsbereich?
Ich sehe eine deutliche "Konsumerisierung" des Gesundheitswesens, das heisst, Wellness und Gesundheit verschmelzen immer mehr. Durch den Einsatz von Wearables rückt der Mensch immer weiter ins Zentrum. Auch wollen sich die Patienten vermehrt selbst managen. Gerade unter der heranwachsenden Generation, den "Digital Natives", sehe ich eine grosse Akzeptanz, Wearables im Gesundheitsbereich zu nutzen.