Live-Interview: Master of Swiss Web

Reto Baumgartner verrät das Erfolgsgeheimnis von Ticketfrog

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Ticketfrog, ein Spin-off der E-Commerce-Agentur Mysign, hat die grossen Webagenturen ausgestochen und ist Master of Swiss Web 2017 geworden. Das Projekt überzeugte die Jury, die Leser des Netztickers und das Saalpublikum. Mitgründer und ­Kommunikationsverantwortlicher Reto Baumgartner im Interview.

Wie fühlt es sich an, als Nachfolger der Post "Master of Swiss Web" zu sein?

Reto Baumgartner: Es ist für uns immer noch etwas surreal. Damit haben wir nie gerechnet. Entsprechend riesig ist die Freude im Team. Dass ein zwölfköpfiges Start-up den Master of Swiss Web gewinnt, ist schon sehr speziell. Darum ist der Sieg auch jetzt, einige Tage danach, noch allgegenwärtig. Alle sind wie in Trance, und wenn man sich kreuzt, grinst man sich schelmisch an. Das hat etwas von der David-gegen-Goliath-Geschichte.

Mit welchen Erwartungen sind Sie von Olten an die Award Night ­nach Zürich gefahren?

Wir hatten uns zum Ziel gesetzt, diese Award Night optimal zu nutzen, um Ticketfrog bekannt zu machen und einen positiven Eindruck zu hinterlassen. Denn wann hat man schon die Chance, als kleines Start-up einen Auftritt vor der versammelten Schweizer Webszene zu erhalten. Uns wurde sehr viel Neugier und Sympathie entgegengebracht. Die Gäste sprachen uns an, interessierten sich für unser Businessmodell und äusserten sich sehr positiv darüber, dass wir etwas gegen die teilweise horrenden Gebühren im Ticketing unternehmen.

Wie haben Sie die Award Night erlebt?

Es war ein unvergesslicher Moment. Der ganze Abend war ein Auf und Ab der Emotionen. Anfangs eine leise Enttäuschung, weil wir in der Kategorie Business leer ausgingen. Als dann Sascha Corti mit unserem Frosch die Bühne betrat und Ticketfrog als Sieger in der Kategorie Innovation verkündete, waren wir total happy. Unser Ziel war damit bereits mehr als erreicht und wir waren recht entspannt. Bis vor der Master-Wahl. Als nämlich das Resultat des "Netzwoche"-Votings eingeblendet wurde, bei dem wir mit Abstand am besten abschnitten, ahnten wir plötzlich, dass das Undenkbare doch wahr werden könnte, und die Nervosität war zurück. Und dann kam der Moment, als auf der Bühne tatsächlich Ticketfrog als neuer Master of Swiss Web genannt wurde.

Und danach konnten Sie den Emotionen freien Lauf lassen?

Danach durften wir noch etwas feiern, allerdings mit selbst bezahltem Bier von der Bar. An dieser Stelle gleich ein Versprechen: Falls wir in einem Jahr den Master 2018 verkünden dürfen, werden wir dem Sieger zwei Kisten Bier offerieren, damit er den Abend mit Feiern und nicht mit Anstehen ausklingen lassen kann. Wenig Zeit zum Feiern hatte das Schwesterunternehmen von Ticketfrog: VJii. Sie haben uns am Abend mit der Kamera begleitet, um alle Momente festzuhalten. Und sie hatten uns versprochen, wohl im Glauben, dass die Chancen sehr gering wären, dass sie im Falle eines Master-Gewinns die Nacht durcharbeiten und den Clip fertigstellen würden. Er war um 7.00 Uhr morgens fertig.

Sie haben in den sozialen Medien stark für Ihr Projekt ­geworben. ­Inwieweit war das der Schlüssel zum Erfolg?

Hier konnten wir auf die Erfahrungen und Kompetenzen, das grosse Netzwerk sowie den Bekanntheitsgrad von Mysign auf den Social-Media-Plattformen zählen. Nach Bekanntgabe der Nomination zum Master haben wir dies genutzt und so sehr schnell und erfolgreich mobilisieren können. Wir erhielten im "Netzwoche"-Voting unter den zehn Finalisten mit Abstand am meisten Stimmen. Dass ein zwölfköpfiges Start-up mit einer mittelgrossen Agentur im Hintergrund erfolgreicher mobilisiert als Konzerne mit einigen tausend Mitarbeitern und etablierten, erfahrenen Agenturen im Rücken, zeigt wie viel Leidenschaft und Engagement Mysign und Ticketfrog an den Tag legten. Und auch an der Award Night konnten wir mit unserem Auftritt und unserem Maskottchen bestimmt punkten und die eine oder andere Sympathie-Stimme holen.

Was bedeutet der Award für Sie?

Es ist in erster Linie eine Auszeichnung für das gesamte Team sowohl von Mysign, dem Auftragnehmer, als auch Ticketfrog. Ich bin enorm stolz auf diese beiden Teams und deren Leidenschaft. Der Award gibt uns mit Sicherheit einen zusätzlichen Motivationsschub. Es ist aber auch eine Bestätigung – quasi von unabhängiger Seite – dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Das wiederum kann in Gesprächen mit Partnern, Investoren oder auch im Recrui­ting von weiteren Mitarbeitern wertvoll sein. Und last but not least unterstützt es natürlich auch unseren Bekanntheitsgrad, was für uns für das schnelle Wachstum sehr essenziell ist.

Was bedeutet Ihnen mehr, die Auszeichnung in der Kategorie ­Innovation oder der Master-Titel?

Der Master-Titel ist schon sehr einzigartig, weil wir ihn als Aussenseiter im doppelten Sinn gewonnen haben. Denn Mysign ist nicht unbedingt eine Award-Agentur, sprich, wir realisieren Projekte, nicht um Awards zu gewinnen, sondern um den Kunden erfolgreicher zu machen. Und Ticketfrog ist als auftraggebendes Start-up ein ziemlicher Exot unter all den anderen Finalisten. Mysign bedeutet natürlich auch die Gold-Auszeichnung in der Kategorie Innovation sehr viel. Denn es steckt tief in der DNA unserer Agentur, dass wir neben der Realisierung von Kundenprojekten immer auch Ressourcen und Geld in eigene Ideen, sogenannte Ventures, investieren und diese zum Erfolg führen wollen. So entstanden unter anderem schon die Tochterunternehmen VJii Productions und Linsenmax. Beide sind heute erfolgreiche eigenständige Unternehmen. Ticketfrog ist sozusagen das jüngste Venture.

Wie kamen Sie auf die Idee mit Ticketfrog?

Die Initialzündung gab ein ehemaliger Mitarbeiter von Mysign, der das Fehlen einer Lösung für ein einfaches, professionelles Ticketing im Vereinsumfeld beklagte. Daraus entstand ein Innovationsprojekt innerhalb von My­sign. Bereits sehr früh im Prozess entwickelten wir auch das neue Businessmodell, das uns von allen anderen Ticke­ting­anbietern unterscheidet und einer unserer zentralen USPs ist.

Die drei Gründer von Ticketfrog kommen von Mysign. Wie unabhängig von Mysign ist das Unternehmen?

Diese Frage muss man etwas differenzierter betrachten. Rechtlich handelt es sich um ein eigenständiges, komplett unabhängiges Unternehmen, an dem ausser den drei Gründern auch noch weitere Aktionäre beteiligt sind. Im Verwaltungsrat sitzen ebenfalls noch weitere Personen. Emotional ist die Verbindung zwischen den beiden Firmen natürlich noch sehr eng. Denn Ticketfrog ist aus Mysign heraus entstanden, die Büros sind bei Mysign integriert, und rund die Hälfte der Mitarbeiter von Ticketfrog war früher für Mysign tätig. Im organisatorischen Bereich nutzen wir Synergien, was Ticketfrog diverse Vorteile bringt, die ein normales Start-up sonst nicht hat, und dem Jungunternehmen ein stabiles Fundament geben. Dazu gehört etwa die Unterstützung in administrativen Belangen, im Know-how-Sharing oder beim Recruiting.

Ticketfrog gelang es, zwei Monate nach der Firmengründung eine erste Finanzierungsrunde abzuschliessen. Wer investierte und warum? Wird es weitere Finanzierungsrunden geben?

Es handelt sich dabei um private Investoren, die an uns Gründer glauben und von der Idee von Ticketfrog und dem disruptiven Businessmodell überzeugt sind. Zurzeit sind wir an der zweiten Finanzierungsrunde und rechnen damit, dass wir diese in ein bis zwei Monaten abschliessen können. Eine dritte Finanzierungsrunde ist für Ende des Jahres geplant.

Wann startete das Projekt, und wie lange dauerte es?

Eine erste einfache Beta-Version der Ticketingplattform ging vor rund zwei Jahren online. Richtig lanciert haben wir Ticketfrog allerdings erst rund um die Gründung der Firma im Sommer 2016.

Wie viele Personen arbeiteten am Projekt mit?

Schaut man die gesamte Zeitspanne der Entwicklung an, so hat wohl praktisch jeder Mitarbeiter bei Mysign einmal bei Ticketfrog mitgewirkt. Ein fixes Team besteht erst seit der Gründung und umfasst heute 12 Personen.

Wird das Team jetzt ausgebaut?

Der weitere Ausbau ist nicht abhängig vom Gewinn des Best of Swiss Web Awards, sondern von unserem Businessplan. Im Moment suchen wir noch einen Sales Manager sowie einen weiteren Softwareentwickler.

Wie gelang es Ihnen, die ersten Partner und Kunden zu ­überzeugen?

Aller Anfang ist schwer. Um die ersten Veranstalter zu überzeugen, mussten wir quasi Einzelgespräche mit ihnen führen. Eine grosse Hilfe war die Kooperation mit dem Schweizerischen Turnverband STV-FSG, der uns seinen Mitgliedern bekannt machte. Erstaunlich früh schon wirkte die Mundpropaganda, und es kamen immer mehr Veranstalter hinzu, mit denen wir gar nie in Kontakt standen. Das kommt daher, dass wir einen extrem hohen Anteil zufriedener Veranstalter haben, da jeder in der Lage ist, selbstständig und sehr rasch seine Events zu erfassen. Es macht den Veranstaltern richtig Spass, den Ticketverkauf mit Ticketfrog zu machen. Und das spricht sich in der Szene herum.

Wer setzt Ticketfrog bereits ein?

Ticketfrog wird heute bereits sehr vielfältig eingesetzt. Von Vereinen über Konzert- und Theaterlokalen, Clubs, Open Airs bis hin zu Sportveranstaltungen oder Businessevents. Zu den Leuchttürmen zählt mit Sicherheit das Stapferhaus Lenzburg, das seine momentane Ausstellung Heimat mit Ticketfrog vertreibt. Oder das Exil Zürich. Oder die letztjährige Oltner Schlagernacht mit einem Volumen von über 5000 Tickets in unterschiedlichsten Kategorien und mit komplexem Saalplan.

Auf welchen Teil Ihrer Lösung sind Sie besonders stolz und warum?

Erstens auf unseren kompletten Selfservice-Ansatz, der es einem Veranstalter erlaubt, einen Event komplett selbstständig zu erfassen und mit dem Verkauf von Tickets zu beginnen. Und das innerhalb von Minuten, ohne dass er je Kontakt mit uns hatte. Und zweitens auf unseren Saalplan, der doch etwas vom fortschrittlichsten ist, was wir an Saalplänen bei Veranstaltern schon gesehen haben.

Was ist Ihr Geschäftsmodell, wie wollen Sie langfristig mit ­Werbung Geld verdienen? Welche anderen Konzepte sind noch denkbar?

Im Vordergrund steht die Werbung auf den Tickets in Form von Gutscheinen. Wir sind überzeugt davon, dass wir ein attraktives Werbeumfeld bieten und die Gutscheine umso erfolgreicher sind, je zielgruppengenauer wir sie ausspielen können. Der Veranstalter kann diese Gutscheinflächen auch seinen Partnern und Sponsoren verkaufen, was die Zielgruppengenauigkeit nochmals erhöht und dem Veranstalter erst noch Zusatzeinnahmen sichert. Oder er nutzt die Werbefläche gleich selbst für die Bewerbung von Zusatzangeboten wie Konsumation- oder Merchandising-Gutscheine. Über weitere Revenue Streams machen wir uns selbstverständlich Gedanken, diese stehen aber noch nicht im Vordergrund.

Die "Time-to-Market" dürfte für Ticketfrog entscheidend sein. Besteht nicht die Gefahr, dass ein finanzkräftiger Konkurrent das Gleiche macht und Ticketfrog überrollt?

Die Time-to-Market ist tatsächlich wie bei jedem Internet-Start-up ein wichtiger Faktor. Darum ist es entscheidend, dass wir uns rasch weiterentwickeln und parallel dazu den Ticketingmarkt aufmischen. Denn so sind wir auch bei einem möglichen aufkreuzenden Konkurrenten immer zwei bis drei Schritte voraus. Dank Innovation und der raschen Umsetzung von Kundenfeedback. Allerdings ist die Vorarbeit schon beträchtlich, um eine solche Plattform aufzubauen. So rasch ist das nicht kopierbar.

Wie viele Nutzer haben Sie an einem Tag?

Die für uns relevanten KPIs sind nicht die täglichen Nutzer, sondern die Anzahl Veranstalter sowie die Anzahl publizierter Events und Tickets. Im Moment kommen wir auf rund 100 neue Veranstaltungen monatlich mit einem Volumen von rund 50'000 Tickets.

Welche Herausforderungen stellt dies an Ihre Infrastruktur?

Was die Infrastruktur angeht, so kommen wir mit Ticketfrog nicht so rasch an Grenzen. Denn im Gegensatz etwa zu einem Onlineshop mit einem grossen Sortiment kommen unsere Besucher viel gezielter, meist über einen Direktlink auf die Detailseite einer ganz bestimmten Veranstaltung, wählen dort ihre Tickets aus und gehen wieder.

Wird Ticketfrog jetzt weiter ausgebaut? Was sind die nächsten Schritte?

Auf jeden Fall! Wir stehen erst am Anfang und haben noch viel vor. Wir wollen das Doodle des Ticketing-Marktes werden. Wir werden sicher bald mit einem Mobile-Ticket kommen, damit die Ticketkäufer das Ticket nicht mehr ausdrucken oder die PDF-Version auf dem Handy zeigen müssen. Wobei man hierzu sagen muss, dass der diesbezügliche Druck vonseiten des Marktes noch gar nicht vorhanden ist. Ausserdem stehen wir in engem Dia­log mit Veranstaltern, sowohl vor als auch nach einem Event, um möglichst viel über ihre Bedürfnisse zu erfahren und diese dann in die Weiterentwicklung unserer Plattform miteinbeziehen zu können.

Was ist das nächste grosse Projekt, das Sie angehen wollen? Gibt es schon Pläne?

Ticketfrog erfordert im Moment relativ viel Aufmerksamkeit, weil es so schnell wächst, weil fast täglich neue Chancen entstehen und weil wir mit Ticketfrog noch sehr viel vorhaben. Wir stehen erst am Anfang. Darum ist heute und morgen kein weiteres Venture-Projekt geplant, auch wenn wir entsprechende Ideen in der Schublade haben.

Reto Baumgartner
Als einer der Gründer von Mysign und Ticketfrog ist Baumgartner heute für ­Kommunikation, Kultur, Key Account Management und Personal zuständig. Er ist ­Experte für E-Commerce, ­Digital Branding und Social Media, hält regelmässig ­Referate und ist als Dozent tätig. Baumgartner und seine beiden Partner Mike Müller und Urs Koller haben neben My­sign schon mehrere ­weitere Geschäftsideen ­erfolgreich lanciert. Neben Linsenmax und VJii ­Productions ist ­Ticketfrog ­aktuell das jüngste Start-up, das sie ins Leben riefen.

Ticketfrog
Das 2016 aus einem Innova­tionsprojekt von Mysign gegründete Start-up Ticketfrog zählt heute zwölf Mitarbeiter. Ticketfrog bietet ein komplett kostenloses Ticketing für ­kleine und mittlere Veranstaltungen. Dank einer sehr intuitiven Administrationsoberfläche ist es möglich, in wenigen Schritten einen Event zu ­erfassen und sogar einen Saalplan zu erstellen. Zum Funktionsumfang gehören Live-Statistiken, eine App zur Einlasskontrolle vor Ort sowie diverse wählbare Zahlungsmöglichkeiten.

Mysign
Die 1998 in Olten gegründete Mysign AG zählt heute rund 40 Mitarbeiter. Der Fokus der Agentur liegt in der Konzep­tion, Realisierung und Be­treuung von Onlineshops, wobei namhafte Firmen im B2C-und B2B-Bereich zu ihren Kunden zählen. Daneben verfolgt Mysign auch die Strategie, mit internen Ressourcen eigene Geschäftsideen zu entwickeln und erfolgreich zu lancieren. Aus diesem Venture-Bereich ist auch Ticketfrog entstanden.

Webcode
DPF8_36018