Sexroboter im Gesundheitsbereich
Das Geschäft mit Sexrobotern und Liebespuppen boomt. Die Frage ist, ob diese aus medizinischer und ethischer Perspektive zu verantworten sind und ob sie in Pflege- und Therapieeinrichtungen und Altersheimen eingesetzt werden können und sollen. Ein Expertenbeitrag von Oliver Bendel, Professor für Wirtschaftsinformatik und Informationsethik an der Hochschule für Wirtschaft FHNW.
Sexuelles Wohlbefinden dient der körperlichen und geistigen Gesundheit. Jeder Mensch erreicht es auf unterschiedliche Weise. Auch Alter und Geschlecht spielen mit hinein. Die einen streben einen täglichen Höhepunkt an, alleine, zu zweit oder zu dritt, andere begnügen sich mit einer monatlichen Umarmung, bei der sie den anderen Körper spüren. So oder so dient das sexuelle Wohlbefinden der Entspannung, der Ausgeglichenheit und der Zufriedenheit.
Soweit die Theorie. In der Praxis können nicht alle Menschen sexuelles Wohlbefinden erreichen. Es fehlt ihnen vorübergehend oder dauerhaft ein Partner, weil sie scheu und zurückgezogen sind, sie niemanden ansprechen wollen oder können, sie nicht attraktiv genug, zu alt etc. sind. Sie sind aufgrund von Beeinträchtigungen nicht in der Lage, Sex beziehungsweise einen Orgasmus zu haben. Oder ihre Praktiken sind nicht erwünscht beziehungsweise nicht erlaubt. Welcher Grund es auch sein mag – Menschen, die sexuell aktiv sein wollen, aber nicht können, können leiden und erkranken.
Sind für die Betroffenen vielleicht Sexroboter und Liebespuppen eine Lösung? Diese könnten sozusagen die sexuelle Grundversorgung sicherstellen, zudem in Pflege und Therapie eine Rolle spielen. Nach einführenden Bemerkungen und Überlegungen wird dieser Frage nachgegangen.
Sexroboter und Liebespuppen
Sexroboter und Liebespuppen sind seit einigen Jahren auf dem Markt. Erstere haben Sensoren und Motoren sowie Spracheingabe und -ausgabe. Zweitere unterscheiden sich von klassischen Gummipuppen durch ihre lebensechte Gestaltung. Sie haben künstliche Haut, unter der sich Gel befindet, sodass sich ihre Gliedmassen echt anfühlen. Metallskelette ermöglichen unterschiedliche Haltungen und Stellungen. Man stattet manche Liebespuppen mit künstlicher Intelligenz und Sprachfähigkeit aus und ermöglicht ihnen das Bewegen der Augen und der Lider. Damit werden sie nach und nach zu Sexrobotern – die Unterschiede verwischen. Harmony etwa kann man als Sexroboter oder als High-End-Liebespuppe begreifen. Es existieren Bordelle in Deutschland, Frankreich und Spanien, die ausschliesslich Liebespuppen im Angebot haben, allerdings solche der einfachen Sorte.
Ausser diesen speziellen Produkten könnten Pflegeroboter mit speziellen Funktionen für Partnerschaft und Triebabfuhr verwendet werden, überhaupt Serviceroboter mit bestimmten Fähigkeiten. Wer wie Pepper naturgetreue Hände hat, ist prädestiniert für abwechslungsreiche Fingerspiele. Das klingt abwegig, doch der Hersteller verbietet Sex mit ihm (bzw. ihr), was Neugierde weckt und die Fantasie anregt. Öffnungen und Ausstülpungen von Servicerobotern könnten ebenfalls locken, freilich auch eine Gefahr sein, weil diese zweckentfremdet werden können.
Erregte Diskussionen
Man kann sich vorstellen, dass allein die Existenz von Sexrobotern und Liebespupen die Gemüter erhitzt. Es gibt Einsprüche von feministischer und religiöser Seite, zudem eine leidenschaftliche wissenschaftliche, im Moment eher theoretische Beschäftigung mit dem Thema. Jahr für Jahr findet die "Love and Sex with Robots" statt, keine grenzwertige Veranstaltung, sondern eine hochkarätige Konferenz. Man vermutet dort, wie so oft derzeit, den alten, weissen Mann. Es sind indes viele Frauen anwesend, und zwar eifrige Befürworterinnen oder neutrale Beobachterinnen, kaum Gegnerinnen. Selbst diese werden freilich eingeladen – so durfte 2017 Kathleen Richardson in London ihren Standpunkt vertreten.
Befeuert wird die Diskussion durch die genannten Freudenhäuser. Konnte man sich bisher einreden, dass die Liebesdiener von ein paar Freaks nach Hause bestellt werden, muss man nun einräumen, dass eine gewisse Nachfrage besteht. Man denkt sofort an Liebespuppen nach dem Vorbild von Pamela Anderson und wieder an den alten, weissen Mann. Das Etablissement in Dortmund berichtet etwas anderes. Es laufen nicht bloss die kurvigen Modelle mit den riesigen Brüsten gut, sondern auch zarte Figuren, die Manga-Comics, Anime- und Fantasyfilmen entsprungen zu sein scheinen, mit grossen Augen und spitzen Ohren. Und es kommen junge, schüchterne Männer, die sich nicht trauen, eine Frau anzusprechen, oder nicht in der Lage sind, eine Beziehung zu führen.
Nun mag man das alles traurig, bedenklich und absonderlich finden, man kann ein Verbot der Sexroboter und Liebespuppen und der Einrichtungen fordern. Und man kann die Moralkeule schwingen. Genau dies sollte der Ethiker aber nicht tun. Er sollte Chancen und Risiken untersuchen, für den Einzelnen und für die Gesellschaft, er sollte die Möglichkeiten und die Gefahren für ein gutes Leben erkennen. Dabei sollte er als moderner, der Empirie zugewandter Philosoph immer wieder den Mund halten und Mediziner, Psychologen und Sexualwissenschaftler das Wort ergreifen lassen.
Allerdings ist es im Moment so, dass diese wenig zu berichten wissen. Es sind kaum Sexualwissenschaftler in Lehre und Forschung tätig, und speziell in Deutschland ist das Fach bedroht. Andere Praktiker und Forscher wollen mit dem Thema nichts zu tun haben, womit sie scheinbar ihre Person schützen, aber offensichtlich die Gesellschaft im Stich lassen. Solche Zeiten sind ideal für Populisten und Alarmisten. Und die erwähnten Idealisten verbleiben eben meistens in der Theorie.
Sex im Gesundheitsbereich
Sexroboter, spezielle Pflegeroboter und andere Serviceroboter könnten in Pflege- und Therapieeinrichtungen und Altenheimen eingesetzt werden. Sie wären im Kontext von Betreuung und Pflege denkbar für behinderte, kranke oder alte Personen. Diese sollten selbst entscheiden, ob und in welcher Form sie Sex haben wollen. Sie sollten dabei mehrere Alternativen haben, Sex mit Robotern, mit Puppen und mit Männern und Frauen, auch im Rahmen von Sexualbegleitung. Ich glaube, dass die meisten Betroffenen den Sex mit Menschen bevorzugen werden. Einige werden sexuelles Wohlbefinden auch mit Sexrobotern und Liebespuppen erreichen, manche mit ihnen sogar weniger Scham empfinden. Doch das sind Vermutungen – es fehlt schlicht die Forschung dazu. Was ist mit denjenigen, die nicht oder nicht mehr selbst entscheiden können, ja die vielleicht nicht einmal merken würden, dass sie nicht mit einem natürlichen Wesen zugange sind? Bei manchen Betroffenen wäre eine Patientenverfügung ein Ansatzpunkt, bei anderen eine Untersuchung des sexuellen Wohlbefindens (was allerdings ein Ausprobieren voraussetzen würde, das bereits die Menschenwürde antasten könnte).
Bei der Therapie rücken abnorme Denk- und Verhaltensweisen ins Zentrum. Manche glauben, dass man mit Liebespuppen etwa Pädophile therapieren könnte. Nun ist überhaupt nicht klar, ob man diese überhaupt therapieren kann, und bei vielen besteht keine Notwendigkeit, weil sie nicht zu Pädokriminellen werden. Nehmen wir an, ein Mann, der mit Liebespuppen versorgt wird, vergreift sich nicht mehr an Kindern. Für Ron Arkin vom Georgia Tech ist klar, was zu tun ist, und die Mehrheit in der Schweiz wird das wohl genauso sehen, jenseits grundsätzlicher moralischer Bedenken und persönlicher Abneigungen. Allerdings gilt wiederum, dass es an Forschung mangelt. Man weiss einfach nicht, was Kinderpuppen bewirken. Das eine oder andere Bordell hat solche im Sortiment. Wobei man genau hinschauen muss: Manche Modelle sind sehr klein, haben aber eine Oberweite wie Pamela Anderson. Wie auch immer: Während wir uns fragen, ob man Sexroboter und Liebespuppen in der Therapie einsetzen darf, verbreiten sie sich längst, im privaten und halböffentlichen Raum, ohne Kontrolle und ohne Analyse.
Die Zukunft der Lust in Pflege und Therapie
Mehr und mehr Männer kommen mit weiblichen Sexrobotern und Liebespuppen in Kontakt. Die wenigen männlichen Exemplare werden wohl vor allem vom selben Geschlecht benutzt, aber sie werden, in erster Linie ausserhalb der Bordelle, von Frauen nachgefragt werden. Diese engagieren sich dafür, dass ihre Wünsche ebenfalls berücksichtigt werden, wie es schon beim Sexspielzeug der Fall ist, wo heute eine enorme Bandbreite zur Verfügung steht. Ob und wieweit Sexroboter und Liebespuppen in Betreuung, Pflege und Therapie einen Platz haben, muss dringend erforscht werden.