Gastbeitrag der ETH Zürich

Wird KI Ärzte überflüssig machen? Ja, sagt Jörg Goldhahn von der ETHZ

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von Jörg Goldhahn, Stellvertretender Leiter des Instituts für Translationale Medizin an der ETH Zürich

Wird KI Ärzte überflüssig machen? Ja, sagt Jörg Goldhahn von der ETH Zürich. Systeme der künstlichen Intelligenz werden sich ständig weiterentwickeln und früher als wir denken Ärzte in vielem übertreffen.

(Source: Ambrophoto / Fotolia.com)
(Source: Ambrophoto / Fotolia.com)

Hinweis: Die englische Fassung dieses Beitrags wurde im British Medical Journal im Rahmen eines Pro-/Contra-Beitrags veröffentlicht. Den Contra-Teil verfasste die ehemalige ETH-Wissenschaftlerin Vanessa Rampton.

Es ist schon heute ersichtlich: Systeme der künstlichen Intelligenz (AI) haben das Potenzial, Ärzte zu übertreffen – in der Radiologie, Dermatologie und der Intensivmedizin genauer zu diagnostizieren, grundsätzlich bessere Prognosen zu erstellen sowie präziser zu operieren. Ausserdem können sich Roboter medizinisches Wissen aneignen: Letztes Jahr hat ein Roboter in China das Staatsexamen bestanden und dabei die erforderliche Minimalpunktzahl deutlich übertroffen.

Präziser, umfangreicher und zuverlässiger

Auch wenn Maschinen heute noch nicht in allen Fällen besser sind als Ärzte, ist es keine grundlegende Herausforderung, die Maschinen zu verbessern, sondern nur eine technische. Denn die Fähigkeit von AI-Systemen, Daten zu verarbeiten, zu lernen und sich selbst zu korrigieren, ist beinahe unbegrenzt. Und während das menschliche Lernen oft von kulturellen und institutionellen Präferenzen wie zum Beispiel unterschiedlichen Denkschulen beeinflusst wird, lassen AI-Systeme dank Deep-Learning-Methoden solche Einflüsse ausser Acht. Diese Systeme können sich rund um die Uhr neues Wissen aneignen und sich mit einer Geschwindigkeit perfektionieren, mit der der Mensch nicht mithalten kann. Selbst komplexe medizinische Entscheidungsprozesse, in denen auch ethische und wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt werden (Clinical Reasoning), können solche Systeme simulieren.

Es ist heute möglich, Gesundheitsdaten von Apps, Wearables und sozialen Plattformen mit einem elektronischen Patientendossier zusammenzuführen. Maschinen erhalten dadurch ein immer vollständigeres Bild von der Gesundheit eines Menschen im Laufe seines Lebens und ein Maximum an Wissen über seine Krankheiten. Auch sind Maschinen heute in der Lage, natürliche Sprache zu verarbeiten, dadurch die schnell wachsende wissenschaftliche Literatur zu «lesen» und sich «weiterzubilden», zum Beispiel über Wechselwirkungen von Medikamenten.

Zu sagen, dass Patienten immer Mitgefühl von Ärzten benötigen, würde bedeuten, wichtige Unterschiede zwischen den Patienten ausser Acht zu lassen.

Jörg Goldhahn, Stellvertretender Leiter des Instituts für Translationale Medizin an der ETH Zürich

Die Vorstellung, dass die heutigen Ärzte dieses Wissen überblicken und abrufen könnten, indem sie sich über die aktuelle medizinische Forschung auf dem Laufenden halten und gleichzeitig einen engen Kontakt zu ihren Patienten halten, ist eine Illusion, nicht zuletzt wegen der schieren Datenmenge.

Doch ein grosses Problem der heutigen Gesundheitssysteme ist ihre Wirtschaftlichkeit: Explodierende Kosten sind die Folge. AI einzuführen, ist potenziell billiger, als neues Personal auszubilden und einzustellen. Ausserdem sind diese Systeme immer und überall verfügbar, und sie können Patienten sogar aus der Ferne überwachen. Das ist ein Vorteil, denn die Nachfrage nach Ärzten wächst in vielen Teilen der Welt schneller als das Angebot.

Fürsorglich und weniger voreingenommen

Als Trumpfkarte zugunsten der Ärzte wird oft ihre Fähigkeit genannt, Beziehungen zu Patienten aufzubauen. Allerdings könnte genau dies auch ihre Achillesferse sein. Es ist klar: Vertrauen hat für Patienten einen hohen Stellenwert. Es wurde gezeigt, dass Patienten die Qualität von Pflegeleistungen dann als hoch bewerten, wenn sie den Leistungserbringern vertrauen. Ziel dieses Vertrauens muss jedoch nicht unbedingt der Mensch sein. Es könnte sein, dass Patienten Maschinen und Systemen stärker vertrauen, weil sie diese als unvoreingenommen und frei von Interessenkonflikten wahrnehmen, zum Beispiel in der Verschreibungspraxis.

Zu sagen, dass Patienten immer Mitgefühl von Ärzten benötigen, würde bedeuten, wichtige Unterschiede zwischen den Patienten ausser Acht zu lassen: Viele, vor allem jüngere Patienten mit leichten Beschwerden wollen einfach eine genaue Diagnose und eine erfolgreiche Behandlung. Mit anderen Worten: Sie bewerten die richtige Diagnose höher als reines Mitgefühl. Ausserdem sind sehr persönliche Situationen denkbar, in denen Patienten die Dienste eines Roboters sogar bevorzugen könnten, um Schamgefühle zu vermeiden.

Auch Patienten, die sich nach Interaktion mit Menschen sehnen – zum Beispiel solche mit einer ernsthaften oder gar terminalen Diagnose – können feststellen, dass Maschinen ihre Bedürfnisse besser erfüllen. Neuere Studien zeigen nämlich, dass computergesteuerte Sprachdialogsysteme das Potenzial haben, den Gesundheitszustand von Patienten zu verfolgen, Pflegevorschläge zu machen und sogar Menschen am Lebensende begleiten zu können.

Ärzte, wie wir sie heute kennen, werden irgendwann überflüssig sein. In der Zwischenzeit erwarte ich eine schrittweise Einführung der AI-Technologie in vielversprechenden Bereichen, zum Beispiel der Bildanalyse oder Mustererkennung. Später kommen Machbarkeitsstudien, die den Mehrwert dieser Technologie für Patienten und Gesellschaft aufzeigen. Dies wird schliesslich zu einer breiteren Nutzung der AI in vielen Bereichen führen, und früher als wir denken, werden Ärzte nur noch die AI-Systeme unterstützen. Diese Systeme werden nicht perfekt sein, aber sie werden sich ständig weiterentwickeln und die Ärzte in vielen Bereichen übertreffen.

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