Wie KI die nächste Dekade der Softwareentwicklung prägt
James Larus, Dekan der School of Computer and Communication Sciences der EPFL, hat den Wandel der IT hautnah miterlebt. Er freut sich über Cloud, Smartphones und soziale Netzwerke, zeigt sich aber auch überrascht, dass deren Schattenseiten erst jetzt erkannt werden. Im Interview spricht er über die Zukunft der Softwareentwicklung, künstliche Intelligenz und wirft einen kritischen Blick auf Trends wie "Fail-Fast".
Bevor Sie zur EPFL kamen, haben Sie in der Privatwirtschaft geforscht. Erinnern Sie sich noch an die Projekte, an denen Sie vor zehn Jahren gearbeitet haben?
James Larus: Ich war bei Microsoft Research. Ich glaube, ich habe mein letztes grosses Projekt in der Extreme Computing Group gestartet. Diese Arbeit hat zur Entwicklung von FPGA-Chips geführt, mit denen heute alle Azure-Maschinen für das Netzwerk oder für das maschinelle Lernen ausgerüstet sind. Ich habe auch an "Orleans" gearbeitet, einer Entwicklungsumgebung für verteilte Programmierung, die meines Wissens jetzt für einige Xbox-Dienste verwendet wird und die Open Source geworden ist. Sie ist heute auch auf Github verfügbar.
Apropos Github: Haben Sie damit gerechnet, dass diese Plattform von Microsoft übernommen wird?
Damit gerechnet habe ich nicht. Was mich aber noch mehr überraschte, war die Tatsache, dass Microsoft Github selbst verwendet und gegenüber Linux und Open Source in jüngster Zeit so viel Offenheit zeigte. Das schien früher undenkbar, obwohl wir viele Entwickler hatten, die Git verwendeten und schätzten.
Was ist Ihrer Meinung nach die bedeutendste Veränderung im IT-Bereich in den letzten zehn Jahren?
Wahrscheinlich das iPhone. Ohne ein Smartphone könnten wir heute nicht mehr leben. Es ist zum Werkzeug für alles geworden. Der Aufstieg der sozialen Netzwerke ist eine weitere Veränderung mit grossen Auswirkungen – zum Guten wie zum Schlechten.
Nach grosser Begeisterung am Anfang werden soziale Netzwerke nun kritisiert. Wie interpretieren Sie diese Kehrtwendung?
Tatsächlich konzentrieren wir uns jetzt auf die negativen Aspekte der sozialen Netzwerke. Aber das nimmt ihnen nichts von ihrem Erfolg. Millionen von Menschen verbringen jeden Tag Stunden auf diesen Plattformen – und das aus gutem Grund. Ich wundere mich, dass es so lange gedauert hat, bis sich die Menschen der Gefahren bewusst wurden, die soziale Netzwerke in Bezug auf die Vertraulichkeit und den Schutz der Privatsphäre darstellen.
Wie nehmen Sie diese Haltung als Lehrbeauftragter wahr?
Ich gebe beispielsweise einen Kurs im ersten Studienjahr, der sich mit Fragen zur Privatsphäre und zum Tracking befasst. Dabei stelle ich fest, wie wenig sich die Studenten über diese Aspekte Sorgen machen: Sie schätzen die Tatsache, kostenlose Dienstleistungen zu erhalten, und nehmen dafür in Kauf, dass dies die Akzeptanz bestimmter Werbepraktiken erfordert. Aber die Dinge ändern sich. Die Nutzung sozialer Netzwerke während der amerikanischen Präsidentschaftskampagne führte zu einer Verschiebung der Linien.
Wie meinen Sie das?
Die Meinungsfreiheit ist ein zentraler Wert in den angelsächsischen Ländern. Sie basiert auf der Tatsache, dass wir unterschiedlichen Meinungen ausgesetzt sind, die in einem gemeinsamen öffentlichen Raum diskutiert werden. Bei sozialen Netzwerken allerdings riskieren wir, in einer Blase mit Menschen gefangen zu sein, die dasselbe denken.
Lassen Sie uns über Risiken sprechen. Glauben Sie, dass Unternehmen heute anfälliger für Cyberangriffe sind?
Das Risiko für solche Angriffe war schon immer hoch. Ich glaube aber, dass Entwickler heute auf Sicherheit achten und dass aktuelle Software sicherer ist als vor 20 Jahren. Was sich geändert hat, ist, dass die Angriffe heftiger geworden sind und von Profis und Regierungen aus finanziellen oder politischen Gründen durchgeführt werden. So musste etwa die Reederei Maersk zusehen, wie Notpetya-Malware ihre IT-Infrastruktur komplett zerstörte und so ihren Betrieb lahmlegte. Ich kann mir die Schäden solcher Angriffe gar nicht vorstellen, wenn sie gegen kritische Infrastrukturen gerichtet wären. Dies ist eine besorgniserregende Situation und nicht leicht zu lösende Aufgabe.
Die Verbreitung von Smartphones und Apps ist im Entwicklungsbereich geradezu explodiert. Was halten Sie von dieser Entwicklung?
Es ist wahr, jeder will ein Entwickler, wenn nicht sogar ein Unternehmer werden. Dies zeigt sich überall, auch an der EPFL, wo wir im ersten Jahr dreimal so viele Schüler immatrikuliert haben wie vor zehn Jahren. Heutzutage entwickeln viele Menschen Software. Die Programmierung ist nicht einfacher geworden, aber sie hat sich stark verändert. Zu Beginn meiner Karriere gab es nicht so viele Bibliotheken und man musste den gesamten Code selbst schreiben. Heute besteht ein grosser Teil des Wissens der Entwickler darin, Mengen komplizierter und funktionsfähiger Bibliotheken zu kennen und in ihrer Software verwenden zu können.
Hat das auch Nachteile?
Wir haben zweifellos an Produktivität gewonnen und können hochwertige Software entwickeln, da die einzelnen Elemente mehrfach verwendet und getestet wurden. Der Nachteil ist, dass wir durch die schnelle Produktion auch unvorsichtiger geworden sind. Wir glauben, dass wir bei Bedarf im Nachhinein immer noch patchen können. Dies steht im krassen Gegensatz zur Welt der Mikroprozessor-Designer, wo ein Fehler zig Millionen und Monate verlorener Zeit kosten kann.
Agilität ist das Wort der Stunde …
Neue Methoden wie agiles Entwickeln haben viele Vorteile, aber die Leichtigkeit, mit der man heute Software veröffentlichen und seine Fehler korrigieren kann, führt nicht zu qualitativ besseren Ergebnissen. Ich bin erstaunt, wenn etwa Facebook damit prahlt, jeden Tag mehrere Releases zu veröffentlichen oder seine neuen Entwickler an der Produktion teilnehmen zu lassen. Es ist schwierig, Schülern die Qualitätsentwicklung beizubringen, wenn man ihnen dauernd die Tugenden des Scheiterns predigt. Diese "Fail fast, fail often"-Mentalität ist besonders im Silicon Valley präsent. Für mich ist sie oft eine Ausrede, um die Dinge nicht richtig machen zu müssen.
Was halten Sie vom Aufschwung des Cloud Computings in den letzten zehn Jahren?
Das ist eine sehr positive Entwicklung. Welches Unternehmen möchte seine Systeme schon selbst verwalten? Cloud-Giganten realisieren signifikante Skaleneffekte und verfügen über umfangreiche Expertise und Erfahrung. Amazon beispielsweise ist ein Pionier bei der Entwicklung eines beeindruckenden Serviceangebots und hört nicht auf, immer raffinierter zu werden.
Welche Vorteile bringt die Cloud?
Diese Lösungen bieten eine hohe Flexibilität. Ich erinnere mich an eine Zeit, als es vor der Erstellung einer Website Monate dauerte, bis die Maschinen geliefert wurden. Aus Angst, im Erfolgsfall nicht über genügend Kapazitäten zu verfügen, haben wir Server im Überfluss gekauft. Das führte zu vielen ungenutzten Maschinen. Es war eine Katastrophe im Hinblick auf die Nachhaltigkeit. Die Elastizität der Cloud und die Tatsache, dass Sie nur für das bezahlen, was Sie nutzen, ist ein wichtiger Schritt nach vorne.
Welche Technologien werden Ihrer Meinung nach die nächsten zehn Jahre prägen? Es wird viel über das Potenzial der künstlichen Intelligenz (KI) gesprochen.
Die künstliche Intelligenz hat sich grundlegend verändert. In der Vergangenheit versuchten wir, Programme zu schreiben, welche die menschliche Intelligenz reproduzieren sollten. Ich erinnere mich an Forscher, die am Verständnis von Sprache mit wenig überzeugenden Ergebnissen arbeiteten. Heute haben wir dafür wirklich funktionstüchtige Lösungen. Gleiches gilt für die Bilderkennung. Dieser Fortschritt ist darauf zurückzuführen, dass die heutige KI nicht mehr auf Programmen basiert, sondern auf angewandten Statistiken und Lernsystemen, die auf bekannte Beispiele aufbauen.
Welchen Einfluss wird KI haben?
Ich glaube, dass viele Dinge, die heute noch von Menschen programmiert werden, in Zukunft durch intelligente Algorithmen übernommen werden. Aufgaben, die eine hohe Genauigkeit erfordern, wie etwa die Buchhaltung, werden weiterhin von Programmen ausgeführt. Aber KI wird es ermöglichen, Lösungen für Dinge zu entwickeln, die wir nicht programmieren können, wie den Betrieb eines autonomen Fahrzeugs. Nichtsdestotrotz muss man akzeptieren und erklären, dass diese Systeme zweifellos wirksam, aber unvollkommen und mit noch unbekannten Fehlern behaftet sind. Das Entscheidende ist, dass sie zuverlässiger sein müssen als ein menschlicher Fahrer. Ich glaube aber, dass sich der Einsatz von maschinellem Lernen auf viele Bereiche erstrecken wird.
Wir müssen also neue Arten von Talenten ausbilden?
Das Training eines Machine-Learning-Systems ist mehr eine Kunst als eine Wissenschaft. Es ist schwierig, das zu lehren, denn es gibt noch kein Wissen darüber, wie in diesem oder jenem Fall vorzugehen ist. Wir müssen den Studenten also Beispiele geben und hoffen, dass sie das Talent dazu entwickeln. Deshalb gibt es eine so grosse Nachfrage nach Experten für maschinelles Lernen: Man kann sie nicht wirklich ausbilden. Aber wir dürfen auch nicht übersehen, wie sich der aktuelle Hype um KI auswirkt. Er führt dazu, dass alle Unternehmen maschinelles Lernen bei sich betreiben wollen. In vielen Fällen könnten sie aber auch mit einfachen statistischen Mitteln eine Lösung finden. Darüber hinaus verfügen sie oft nicht über die notwendigen Datenmengen, um Machine-Learning-Systeme auszubilden.
Wie gross wird Ihrer Einschätzung nach die Relevanz der Blockchain-Technologie sein?
Im vergangenen Jahr eröffnete die EPFL das Center for Digital Trust, was beweist, wie nützlich diese Technologie aus unserer Sicht ist – jenseits von Bitcoin. Wir haben bei einer internen Wahl ausserdem einen besonders interessanten Anwendungszweck der Blockchain aus dem Labor von Bryan Ford getestet. Mit diesem System würde jede Organisation auf dem Campus einen Server betreiben und die Gültigkeit der Ergebnisse durch ein Konsens-Protokoll überprüfen können. Unter der Voraussetzung, dass bestimmte Probleme, namentlich im Hinblick auf die Identität, gelöst werden, könnte eines Tages eine ähnliche Lösung bei öffentlichen Wahlen angewandt werden. Sie könnte dann dazu beitragen, das Vertrauen in politische Prozesse wiederherzustellen. Mit einer anderen Technologie wäre dieses Ziel schwer zu erreichen. Ich finde das auf jeden Fall viel interessanter, als diese oder jene neue Kryptowährung einzuführen.