8 Aussagen zum EPD - und wie es nun weiter geht
Das elektronische Patientendossier wird im April 2020 Realität. Was in der Theorie gut tönt, ist in der Praxis eine riesige Herausforderung. Warum, zeigte der erste Tag des Swiss eHealth Forum in Bern.
Ab April 2020 müssen Spitäler, Rehakliniken und Psychiatrien ihren Kunden ein elektronisches Patientendossier (EPD) anbieten. Zwei Jahre später gilt das Obligatorium auch für Pflegeheime und Geburtshäuser. Doch wie läuft die Umsetzung? Sind die Termine einhaltbar? Und wer trägt die Kosten? Diese Fragen brannten den Teilnehmern des Swiss E-Health Forums 2019 in Bern unter den Nägeln. Der erste Tag fand am 7. März statt, im Messezentrum Bernexpo.
Der Event lieferte viele Erkenntnisse, unter anderem Folgendes:
1. Die Umsetzung des EPD ist komplex
Wer denkt, dass die Umsetzung des EPD einfach ist, liegt falsch. Sie ist äusserst komplex. Das zeigte zum Beispiel Uwe E. Jocham auf, der Direktionspräsident der Inselgruppe Bern. "Für den Erfolg des EPD müssen alle Beteiligten einen Mehrwert erhalten", sagte er. Und am EPD beteiligt sind sehr viele Parteien, unter anderem die Wirtschaft, Politik, Verbände, Spitäler, Pflegeheime, Spitex, Apotheken, Ärzte, Privatunternehmen und Patientenorganisationen. Nicht alle diese Player haben die gleichen Interessen - das macht die Umsetzung des EPD noch komplizierter.
2. Die Schweiz ist beim EPD weit - und hat trotzdem Nachholbedarf
Ist die Schweiz beim EPD und in der Digitalisierung des Gesundheitswesens im internationalen Vergleich voraus oder im Hintertreffen? Kommt drauf an, mit wem man vergleicht. Das zeigte die Diskussionen in Bern deutlich. Über den Stand der Digitalisierungsbestrebungen im Schweizer Gesundheitswesen gab es unterschiedliche Auffassungen. Entscheidend ist wie so oft die Perspektive.
Laut Gesundheitsminister Alain Berset hat die Schweiz beim EPD allerdings Nachholbedarf. "Wir sind langsam unterwegs", sagte er an der nationalen Konferenz Gesundheit 2020 in Bern. Stefan Beyeler, Präsident der Vereinigung Gesundheitsinformatik Schweiz VGIch, griff diese Aussage in der Netzwoche gestern auf. Und ergänzte: "Für das EPD braucht es gute Partner auf der Business-Seite, viel Geld und erfahrenes Personal in der IT - es ist eine grosse Herausforderung."
3. Das EPD bringt nichts, wenn die Bevölkerung nicht mitmacht
Über eines waren sich alle einig: Das EPD ist nur sinnvoll, wenn es den Akteuren im Gesundheitswesen gelingt, die Patienten mit ins Boot zu holen. "Das EPD bedeutet für uns viel Aufwand", sagte Jocham von der Inselgruppe Bern, die grosse Investitionen in ihre Digitalisierungsstrategie tätigt. "Aber wenn die Patienten nicht mitmachen, bringt es wenig." Adrian Schmid, Leiter von eHealth Suisse, sieht das auch so: "Ich glaube, dass die Patienten der wichtigste Erfolgsfaktor für das EPD sind."
4. Das EPD braucht vor allem zwei Dinge: Vertrauen und Use Cases
Vertrauen und sinnvolle Anwendungsfälle - das braucht das EPD laut Jocham am dringendsten. Sein Nutzen werde der Bevölkerung zwar immer klarer, es fehle aber noch an Vertrauen. Wichtig für die Vertrauensbildung seien der Diskurs in den Medien, positive Multiplikatoren, öffentliche Debatten und der Dialog mit den Patienten. Der Einstieg ins EPD müsse für die Patienten unbedingt gelingen, das Onbaording sei entscheidend. "Wir haben keine zweite Chance, einen ersten Eindruck zu hinterlassen", sagte Jocham in Bern.
5. Wer noch nicht am EPD arbeitet, muss möglichst schnell damit anfangen
"Wer heute beim EPD noch nicht an Bord ist, sollte gestern damit anfangen", sagte Schmid von eHealth Suisse. Die Dringlichkeit sei hoch, das Ziel klar: Im April 2020 geht es los! Das Datum sei nicht verschiebbar, sagte der Leiter der Kompetenz- und Koordinationsstelle von Bund und Kantonen. Der Bund sei zwar noch daran, rechtliche Grundlagen für das EPD zu erarbeiten. Das sei aber kein Grund, abzuwarten. "Die Zeit rennt", warnte Schmid.
6. EPD ohne offene Standards? Wird nicht funktionieren
Das EPD muss sinnvoll in andere Digitalisierungsprojekte im Schweizer Gesundheitswesen eingebettet werden. Vor allem in Primärsystemen wie KIS, PIS und weitere Informatiksysteme. "Der richtige Mehrwert kommt mit einem strukturierten Datenaustausch", sagte Schmid. "Und dafür braucht es offene Standards." Auch Pharmasuisse-Generalsekretär Marcel Mesnil wies darauf hin, dass das EPD ohne gute Schnittstellen unmöglich funktionieren kann.
"Ohne Integration in die Umsysteme bringt das EPD nichts", sagte auch Yvonne Gilli vom FMH-Zentralvorstand. Hansjörg Looser, Präsident von IHE Suisse, warnte ebenfalls vor proprietären Lösungen: "Standards schaffen Nutzen und das Ökosystem ist zentral." Der Termindruck dürfe nicht dazu führen, dass die Akteure im Gesundheitswesen beim EPD nur das Nötigste umsetzen, ohne sich abzusprechen. "Wir müssen Interoperabilität schaffen", sagte Looser.
7. Beim EPD geht es um viel mehr als bloss Digitalisierung
"Das EPD ist vor allem ein Kultur- und Organisationsprojekt und erst in zweiter Linie ein Digitalisierungsprojekt", sagte Martin Bruderer, Projektleiter eHealth/EPD der Universitätsspital Basel. Darüber waren sich in Bern alle einig. Die Technik ist keine grosse Hürde. Die grösste Herausforderung sei der Mensch und seine Bereitschaft, sich zu wandeln - so wie in fast allen Projekten. FMC-Geschäftsführer Urs Zanoni schlug in die gleiche Kerbe: "Um Versorgungsprozesse stärker zu vernetzen und zu digitalisieren sind 90 Prozent Herzblut und 10 Prozent Technik nötig."
8. Das EPD muss noch viele Hürden überwinden
"Das EPD ist keine eierlegende Wollmilchsau", sagte Gilli von der FMH. Unter EPD verstehe jeder etwas anderes, was problematisch sei. Zanoni vom Forum Managed Care nannte weitere Hürden: Man müsse die Digital Immigrants mit ins Boot holen, die Furcht vor "sozialer Kontrolle" durch andere Patienten und Leistungserbringer abbauen und die Kosten und Vergütungen klar regeln.
Mögliche Lösungen seien mehr Zusammenarbeit, mehr Kooperationen und mehr patientenorientierte Qualität - "gegen mehr Patientennutzen kann niemand etwas einwenden." Die Branche müsse zudem über neue Vergütungsmodelle nachdenken, zum Beispiel pauschalisiert über mehrere Behandlungs- und Betreuungsstufen hinweg. "Eine integrierte Versorgung braucht auch eine integrierte Finanzierung und integrierte Vergütungen", sagte Zanoni.
Weitere Artikel zum EPD lesen Sie im aktuellen IT for Health. Lesen Sie hier auch das Editorial von Oliver Schneider zum Thema: 2019 – ein Schlüsseljahr im Schweizer E-Health. Mehr über die Herausforderungen bei der Umsetzung erfahren Sie zudem in einem Artikel von E-Health-Suisse-Leiter Adrian Schmid.