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Wir leben so gut wie sicher in einer Computersimulation

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von Marko Kovic

Im Jahr 1999 ist der Film "The Matrix" über die Kinoleinwände der Welt geflimmert. Die Idee, dass unsere Welt vielleicht bloss eine Simulation ist, hat sich nicht zuletzt durch Keanu Reeves und Laurence Fishburne weit verbreitet. Die Simulationshypothese geht in eine ähnliche Richtung wie Matrix - und scheint beim ersten Eindruck gar nicht einmal so abwegig.

(Source: Markus Spiske / unsplash.com)
(Source: Markus Spiske / unsplash.com)

George Hotz ist einer der bekanntesten Hacker der Welt. Zu Ruhm und Ehren kam er 2007, als er – im zarten Alter von gerade Mal 17 Jahren – das iPhone mit einem "Jailbreak" knackte; vor ihm hatte das niemand geschafft. Heute arbeitet er in seinem Unternehmen Comma.ai an Open Source Software für selbstfahrende Fahrzeuge.

 

Im März 2019 hielt Hotz einen Vortrag an der Kreativ-Konferenz South by Southwest in Austin, Texas. Das Publikum dürfte erwartet haben, dass es um selbstfahrende Autos oder um das Hacker-Dasein oder dergleichen geht. Doch weit gefehlt: Hotz erklärte dem (vermutlich leicht verwirrten) Publikum, dass er überzeugt sei, wir lebten alle in einer Computersimulation – und er mache es zu seinem Lebensziel, einen "Jailbreak" für unsere simulierte Realität zu finden.

 

Hotz ist weder ein Spassvogel, der sich einen Scherz erlaubt hat, noch ist er geistig umnachtet. Die Idee, dass unsere Realität eine Computersimulation ist, ist tatsächlich ein ernsthaftes philosophisches Problem. Und zwar eines mit gewichtigen Konsequenzen.

 

Die Simulationshypothese

Wenn wir hören, unsere Realität könnte eine Computersimulation sein, denken die meisten von uns an "The Matrix", die berühmte Sci-Fi-Trilogie. Das Szenario von "The Matrix" ist (Spoiler Alert!), dass die Menschheit von künstlicher Intelligenz unterjocht wurde und wir uns in einer Art Wachkoma befinden: Die wahrgenommene Realität ist eine Computersimulation, und in Tat und Wahrheit sind wir Sklaven der KI.

 

 

 

Das Szenario aus "The Matrix" ist aber nicht die philosophische Simulationshypothese. Diese geht nämlich noch weiter: Wir sind nicht etwa gefangen in einer Computersimulation – wir sind die Computersimulation. Wir existieren einzig und allein in der Simulation. In der realen Realität gibt es uns nicht; alles, was wir sind, und alles, was uns umgibt, ist komplett simuliert.

 

Die berühmteste Variante der Simulationshypothese hat der Philosoph Nick Bostrom 2003 aufgestellt. Bostrom argumentiert, dass es denkbar und vielleicht sogar hoch wahrscheinlich ist, dass wir eine von Menschen erschaffene Computersimulation sind. Sobald die Rechenleistung der realen Menschheit genug gross wurde, ist es denkbar, dass Menschen anfingen, Simulationen ihrer Vergangenheit zu betreiben. Von der Logik her wäre das in etwa so, als ob wir heute mit einer Simulation des alten Rom versuchen wollten, besser zu verstehen, wie die alten Römer gelebt haben.

 

Die Simulationshypothese, an die George Hotz wie auch Elon Musk glauben, ist allgemeiner. So etwas wie die Menschheit muss es in der realen Realität gar nie gegeben haben; es genügt, wenn irgendeine Zivilisation oder Intelligenz in der realen Realität ein oder mehrere Universen simuliert hat.

 

So weit, so interessant – aber nach viel mehr als einer Folge von "Black Mirror" klingt die Simulationshypothese bisher nicht. Warum genau denken aber so schlaue Köpfe wie Hotz, Bostrom und Musk, dass die Simulationshypothese ernst zu nehmen ist? Es ist alles eine Frage der Wahrscheinlichkeit.

 

Ein Spiel der Wahrscheinlichkeiten

Wenn wir moderne Videospiele mit Videospielen von vor 30 Jahren vergleichen, ist der Kontrast so stark wie Tag und Nacht. Heute können wir auf jedem PC oder Smartphone dreidimensionale virtuelle Welten in einem Detailreichtum und in einer Komplexität erleben, wie es vor wenigen Jahrzehnten praktisch unvorstellbar war. Diese Entwicklung geht vielleicht nicht ewig so linear weiter, aber wir dürfen annehmen, dass in weiteren 30 Jahren nochmals gewaltige Sprünge gemacht werden, und so fort.

 

Irgendwann könnte unsere Rechenleistung und unsere Programmierkunst ein solch hohes Niveau erreichen, dass wir Simulationen mit einer heute unvorstellbar grossen Komplexität erschaffen können. Falls wir jemals ein solches Level technologischer Reife erreichen, dann ist so gut wie sicher, dass wir die komplexen Simulationen, die wir durchführen können, auch durchführen werden.

 

Eine Simulation, die für uns sehr interessant sein dürfte, ist das Universum frisch ab dem Urknall zu simulieren, um beispielsweise die Naturgesetze besser zu verstehen. Um möglichst verwertbare Daten zu sammeln, starten wir zudem nicht bloss eine einzige Simulation, sondern vielleicht Tausend. Oder Zehntausend. Oder eine Million. Oder hundert Millionen.

 

In den simulierten Universen entstehen auf evolutionärem Weg simulierte Lebewesen, dann simulierte primitive Zivilisationen, und dann schliesslich technologisch hochentwickelte Zivilisationen. Viele dieser simulierten Zivilisationen ihrerseits entwickeln irgendwann genug viel simulierte Computerkenntnis, um ihre eigenen Universum-Simulationen zu starten. Unsere zukünftige Universum-Simulation hätte also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Folge, dass Abermillionen oder Abermilliarden oder um Grössenordnungen mehr simulierte Zivilisationen entstehen.

 

Und genau das ist der Knackpunkt der Simulationshypothese. Wenn wir davon ausgehen, dass es für uns irgendwann möglich sein wird, so etwas wie Universen zu simulieren, dann wird es unzählige simulierte Zivilisationen geben. Rein statistisch ist dann aber die Wahrscheinlichkeit, dass wirklich wir die eine besondere Zivilisation in der realen Realität sind, welche den Simulations-Stein ins Rollen bringt, praktisch Null. Denn das, was wir millionen- oder milliardenfach in unseren zukünftigen Simulationen beobachten werden (Zivilisationen, die sich so weit entwickeln, dass sie Universen simulieren können), ist identisch mit dem, was wir auch für unsere eigene Zivilisation beobachten werden (eine Zivilisation, die sich so weit entwickelt hat, dass sie Universen simulieren kann).

 

Was gegen die Simulationshypothese spricht

Die Simulationshypothese ist in ihrer Einfachheit fast schon erschreckend elegant: Das wahrscheinlichkeitstheoretische Argument ist klar und im Grunde wasserdicht. Bedeutet das, dass wir definitiv in einer Simulation leben? Ganz so einfach ist die Sache nicht.

 

Die Simulationshypothese ist aus erkenntnistheoretischer Sicht schwierig zu handhaben. Einerseits ist die Simulationhypothese grundsätzlich plausibel, im Unterschied etwa zu religiösen Schöpfungsmythen. Andererseits aber gibt es keinerlei empirische oder sonstige Evidenz, die darauf hindeutet, dass die Simulationshypothese wahr sein könnte. Die Beweise fehlen also komplett. Zudem ist die Simulationshypothese nicht wirklich widerlegbar, was zumindest ein Stück weit die Frage aufwirft, ob die Simulationshypothese mehr als ein amüsanter metaphysischer Mindfuck ist.

 

Eine weitere Ungewissheit rund um die Simulationshypothese betrifft unsere zukünftige Rechenpower und Programmierkunst. Wir können zwar davon ausgehen, dass unsere Computersimulationen in Zukunft immer besser werden. Es ist aber unklar, ob bloss mehr Rechenpower und bessere Programmierkunst genügen, um gewisse fundamentale Faktoren unserer Realität simulierbar zu machen.

 

Ein solcher Faktor ist Empfindungsfähigkeit. Der Philosoph Thomas Nagel hat in den 1970er Jahren gefragt, wie es sich eigentlich anfühlt, eine Fledermaus zu sein. Sein Argument ist, dass wir eine Fledermaus (oder ein beliebiges anderes empfindungsfähiges Wesen) bis auf das letzte Atom verstehen (oder simulieren) können, aber dass dies allein noch nicht unbedingt genügt, um die Empfindungen oder "Qualia" der Fledermaus herzustellen.

 

Super Mario mag heute in extrem detailreichen und grossen Welten herumtollen, aber wenn Bowser ihm mit seinem Feueratem einheizt, spürt Mario gleich viel wie vor 30 Jahren: absolut nichts.

 

Vielleicht leben wir in einer Simulation. Na, und?

Entweder leben wir in einer Simulation oder wir leben in der realen Realität. Ist diese Frage überhaupt relevant? Auch wenn wir in einer Simulation leben, nimmt uns das den Alltagstrott nicht ab; wir müssen morgen früh trotzdem aufstehen und zur Arbeit gehen, damit wir Ende Monat unsere Rechnungen bezahlen können.

 

Ganz ohne Alltagsbezug ist die Simulationshypothese allerdings nicht. Sollte es irgendwann konkretere Hinweise dafür geben, dass wir in einer Simulation leben, dürften beispielsweise alle Religionen hinfällig werden, weil sie dadurch endgültig widerlegt würden. Ganz allgemein könnte sich unsere Sicht auf uns selber und auf das, was unsere Gesellschaft sein soll, verändern. Wenn wir wüssten, dass wir alle in Tat und Wahrheit simuliert sind, könnten wir uns vielleicht eher zusammenreissen und versuchen, unsere Konflikte beizulegen. Macht es für zwei simulierte Staaten wirklich Sinn, um ein Stück simuliertes Land zu kämpfen?

 

Den vielleicht wichtigsten Grund, sich mit der Simulationshypothese zu befassen, hat George Hotz in seinem Vortrag bei South by Southwest genannt: Wenn wir in einer Simulation leben, können wir versuchen, die Simulation zu hacken. So könnten wir unsere Realität vielleicht ein bisschen weniger leiderfüllt und brutal gestalten (der ein oder andere Cheat Code wäre durchaus hilfreich, um unser aller Leben lebenswerter zu machen). Und vielleicht könnten wir sogar einen Blick erhaschen auf das, worüber wir im Moment nur spekulieren können: Die reale Realität ausserhalb der Simulation – und unsere tatsächlichen Schöpfer.

 

Dieser Beitrag erschien erstmalig bei "Watson".

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