Partner-Post Fachbeitrag

Peaks, Enden und die User Experience

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Der erinnernde Mensch ist ein seltsames Wesen. Denkt er an Erlebtes zurück, fallen ihm vor allem die Extremsituationen ein. Negatives bleibt ihm besser in Erinnerung als Positives und auch zum Faktor Zeit hat er ein bizarres Verhältnis. Das hat Folgen für die Entwicklung von digitalen Nutzerschnittstellen.

Christopher Müller, Gründer und VR-Präsident, Die Ergonomen Usability. (Source: zVg)
Christopher Müller, Gründer und VR-Präsident, Die Ergonomen Usability. (Source: zVg)

Was bleibt uns vom Besuch einer Website letztlich in Erinnerung? Ist es das innovative Farbkonzept, die kraftvolle Typografie vielleicht? Sind es die vielen kleinen Storys, die man uns neuerdings auf der Startseite erzählen zu müssen glaubt? Leider nein. Es wird wohl eher das Captcha sein, dessen Zeichen nicht nur für Roboter unleserlich bleiben, sondern selbst für Menschen. Auch das hakelige Check-out, das obendrein viel zu viele Daten einfordert, hat das Zeug, memoriert zu werden.

Kling vielleicht seltsam, aber so funktioniert der erinnernde Mensch. Zu verdanken haben wir diese Erkenntnis dem Nobelpreisträger Daniel Kahneman. Er hat unter anderem untersucht, wie sich Patienten an eine schmerzhafte medizinische Behandlung erinnern. Hierfür bat er sie, die Intensität des Schmerzes minütlich auf einer Skala von 1 bis 10 zu bewerten. Am Ende der Behandlung wurden sie zudem gefragt, wie gross die «Summe» der Schmerzen war, die sie ertragen mussten – also Schmerzintensität mal Schmerzdauer.

Erstaunlicherweise wurde die Behandlung nicht nach den zu ertragenden "Gesamtschmerzen" bewertet, sondern nach dem Schmerz, der im schlimmsten Moment auftrat, und dem am Schluss der Prozedur. Die Dauer der Behandlung beeinflusste die Bewertung hingegen kaum. Das führt dann etwa dazu, dass von zwei Patienten, die dieselbe maximale Schmerzintensität erlebt haben, jener die Behandlung als angenehmer empfindet, der ganz am Schluss weniger leiden musste. Dies gilt sogar dann, wenn seine Behandlung deutlich länger gedauert hat. Dieser Zusammenhang nennt sich Peak-End Rule. Wer sich näher damit auseinandersetzen möchte, dem sei der TED Talk von Daniel Kahneman dazu empfohlen.

Wie beim Arzt, so im Web

So weit, so gut, doch wie hilft uns das bei der Arbeit an der User Experience? Klar, es geht darum, negative Peaks und ungute Enden zu vermeiden. Aber hierfür müssen wir zuerst einmal wissen, wo genau die heiklen Stellen liegen. Dies lässt sich eigentlich nur mit Tests zuverlässig herausfinden.

Sinvollerweise beginnen solche Tests schon in der Define-Phase an Prototypen. So lassen sich Teilprozesse auf ihre Nutzerfreundlichkeit hin untersuchen und optimieren, bevor die erste Zeile Code geschrieben wird. Das ist deutlich effizienter und kostengünstiger, als wenn erst am Schluss, an der fertig entwickelten Site getestet wird. Das Konzept hinter diesem frühen Testen heisst übrigens User Centered Design (UCD). Er ist bestens erprobt und lässt sich in Form von Iterationsschlaufen elegant in alle Arten von Webprojekten integrieren. Später dann, wenn die Site in Betrieb ist, liefern die Seitenstatistiken wertvolle Hinweise auf kritische Bereiche. Die gilt es im Auge zu behalten und im Rahmen der Qualitätssicherung anzugehen.

Das Peak-End-Rule-Experiment: Der schlimmste Schmerz wurde bei A und B gleich intensiv empfunden. Die Behandlung A verlief deutlich kürzer als B. Dennoch wurde die Prozedur B dank des weniger schmerzvollen Endes als angenehmer empfunden. (Source: zVg)

Und die positiven Erlebnisse?

Jetzt liesse sich natürlich einwenden, man solle nicht bloss darauf aus sein, negative Erlebnisse zu vermeiden, sondern auch, positive zu ermöglichen. Das ist korrekt. Wer nun allerdings denkt, dass sich negative Peaks mit positiven kompensieren liessen, liegt falsch. Der Mensch erinnert sich nämlich intensiver an Negatives als an Positives. Das klingt zwar nicht grad nach "Positive Thinking", gilt aber als gesichert und scheint sich evolutionsmässig auch einigermassen bewährt zu haben.

Webcode
DPF8_173043