Digitalisieren, nicht Scheissprozesse automatisieren!
Das herbeigeredete «neue Normal» fühlt sich irgendwie unfertig an – es steckt wohl immer noch in der Entwicklung. Obwohl wir schon seit zehn Jahren über die bevorstehende Digitalisierung sprechen, wird wohl der grassierenden Covid-19-Pandemie der grösste Beitrag zur digitalen Transformation von Unternehmen zugeschrieben werden. Viele Firmen fühlen sich nach der Hauruckimplementierung von Homeoffice bereits in der digitalen Welt angekommen, ohne sich bewusst zu sein, dass man gleichzeitig noch ein paar kritische Sicherheitsschwachstellen mit integriert hat. Digitalisierung ist zwar in aller Munde, aber längst noch nicht in aller Köpfe.
Bei der Digitalisierung geht es um viel mehr als darum, alte, analoge Prozesse zu automatisieren oder webbasiert zu verpacken. Wie hat sich doch der frühere Vorstandschef von Telefonica Deutschland, Thorsten Dirks, so trefflich ausgedrückt: «Wenn Sie einen Scheissprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiss digitalen Prozess.» In Digitalisierung ist implizit auch Innovation und Erneuerung enthalten. Sie muss Sinn ergeben, indem sie Effizienz schafft und dadurch Umsätze eines Betriebs erhöht oder die Zufriedenheit der Mitarbeiter. Gerade hier tun sich Organisationen sehr schwer, sind zäh wie Teig und lassen sich von ihren bewährten Abläufen nur ungern abbringen. So ist man eher bereit, die neu elektronisch erfassten Formulare mittels E-Mail an die zu bearbeitenden Stellen zu senden, anstelle den gesamten Ablauf zu hinterfragen. Das elektrische Licht wurde aber auch nicht durch Weiterentwicklung von Kerzen erfunden.
Digitalisierung heisst vor allem, sich lösen können und zu lernen, den gesamten Ablauf aus einer Wertstrom-Perspektive zu betrachten. Es braucht eine klare Vorstellung davon, was an Wert am Schluss erzielt werden will, bevor man einfach loslegt. Mit der Wertvorstellung am Schluss des Ablaufs kann man sich zum Start, zum Kunden hin vorarbeiten und den Prozess neu skizzieren. Wenn der Kunde mit einem Wow-Effekt überzeugt und damit gebunden werden will, muss gut überlegt werden, wie dies entstehen kann und was es dazu braucht. Man durchläuft quasi den Prozess von hinten nach vorne und erarbeitet sich alles, was es dazu braucht, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Der Fokus muss auf der Integration der Daten und Partner liegen. Es braucht kein manuelles Zutun mehr, wenn heute eine Checkliste genügt, den Ablauf zu steuern.
Es schleckt keine Geiss weg: Da werden Funktionen und Stellen auf der Strecke bleiben. Daher ist es verständlich, dass sich viele Leute vor der Automatisierung fürchten und daher eher skeptisch reagieren. Aber anstatt die Kunden bloss zu administrieren, kann man nun direkter mit ihnen arbeiten. Das macht erstens viel mehr Spass und zweitens empfindet der Kunde das Unternehmen als nicht mehr so bürokratisch.