Was gute IT-Beratung ausmacht und was Schweizer Softwareentwicklern fehlt
Seit 2018 leitet Aleardo Chiabotti die Geschäfte des IT-Dienstleisters Emineo. Im Interview spricht er über die Veränderungen in seinem Unternehmen, die Herausforderungen bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen und über die idealen Eigenschaften eines IT-Beraters.
Seit 2018 sind Sie CEO von Emineo. Wie haben Sie Ihren 1000. Tag als Geschäftsführer gefeiert?
Aleardo Chiabotti: Grundsätzlich sind mir solche Jubiläen nicht so wichtig. Schau ich zurück, sind die tausend Tage wie im Flug vergangen. Als Firma haben wir uns stark entwickelt und vieles – sehr vieles – erreicht. Ich selbst habe in dieser Zeit wahnsinnig viel gelernt. Wenn eine Jubiläumsparty, dann für alle. Denn allein bewege ich nie so viel wie mit dem ganzen Team.
Wie hat sich Emineo seit Ihrem Stellenantritt entwickelt?
Wir sind von 82 Mitarbeitenden im Jahr 2018 bis heute mit fast 150 zusehends gewachsen, haben viele und teils sehr grosse Projekte ins Ziel gebracht, was sich in einer hohen Kundenzufriedenheit widerspiegelt. Das Rating auf Kununu von 4,6 (von 5) und die Mitarbeiterzufriedenheit sprechen für sich. Das ist nicht selbstverständlich heutzutage. Das alles schwarz auf weiss zu sehen, macht mich stolz und dankbar.
Was bedeutet das Wachstum der vergangenen Jahre für Sie als CEO?
Mit grösseren und heterogenen Teams eröffnen sich uns Chancen für spannende Projekte, was uns als Arbeitgeber attraktiv macht. Für mich persönlich bedeutet es, mit unterschiedlichsten und neuen Persönlichkeiten zusammenzuarbeiten. Auf der anderen Seite sind wir als wachsende Organisation gezwungen, in allen Bereichen das Bestehende ständig zu hinterfragen und professioneller zu werden. Unsere Projektmethodik wird jeden Tag besser, wir kommunizieren effektiver und entwickeln uns als Organisation ständig weiter.
Wie ist Emineo organisiert?
Bei Emineo sind alle Mitarbeitenden – auch der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung – operativ und nah beim Kunden tätig. Dies beschleunigt die Entscheidungsprozesse, und die Wissensbasis ist breit abgestützt. Unsere Gründer sind nach wie vor aktiv im Account-Management und pflegen die oft über lange Jahre gewachsenen Kundenbeziehungen. Anfang 2021 haben wir uns als Matrixorganisation mit kleineren Führungsspannen aufgestellt und eigene Fachbereiche (Centers of Excellence) geschaffen. Durch diese Struktur haben wir sehr flache Hierarchien und die Projekte noch mehr ins Zentrum gerückt.
Emineo bietet unter anderem SAP-Consulting an. Laut einer Umfrage von IG SAP sind Kunden durch die SAP-Produktstrategie verunsichert. Wie erleben Sie das?
Die Umfrage bestätigt, was wir in der Praxis erleben. Die Bereitschaft, die eigenen Daten in die Cloud zu bringen, ist geringer. Zum einen spielen hier grundsätzliche Sicherheitsbedenken eine Rolle, zum anderen, dass die Daten physisch von SAP nicht garantiert in der Schweiz gehalten werden. Hier braucht es mehr Überzeugungsarbeit und die Erweiterung des SAP-Angebots. Fakt ist, dass es künftig gewisse Applikationen nur noch in der Cloud geben wird. So gewinnen hybride Ansätze (on-premises als Kernsystem plus Cloud-Applikationen) immer mehr an Bedeutung.
Ihr Unternehmen ist unter anderem im Gesundheitswesen tätig. Welches Zeugnis stellen Sie Schweizer Spitälern in puncto Digitalisierung aus?
Die Schweiz ist bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems klar im Rückstand. Dies hat die Coronakrise deutlich aufgezeigt. Sehr viel Kommunikation erfolgt nach wie vor per Papier oder Fax. Daten werden vielfach noch händisch in Tabellen erfasst, die Nutzung moderner Software-Tools ist nicht flächendeckend im Einsatz und die darunterliegenden Prozesse sind zu wenig integriert. Dies sind Gründe, weshalb der Datenaustausch zwischen Behörden und den Akteuren im Gesundheitswesen nicht optimal funktioniert. Bei den Spitälern zeichnet sich ein analoges Bild ab. Der Einsatz und die Nutzung von Software-Tools sind zwar mittlerweile hoch, aber die heterogene IT-Landschaft in einem Spital ist nach wie vor zu wenig integriert.
Wie findet eine Gesundheitseinrichtung den idealen Partner für die Digitalisierung?
Aufgrund der Heterogenität der IT-Landschaft benötigen diese Einrichtungen sehr viele und unterschiedlich spezialisierte Partner – gerade in den klinischen Bereichen bedarf es dedizierter Lösungen, die nur spezifische Softwarelieferanten oder Beratungsfirmen einführen können. Im Bereich der Administrations- und Support-Prozesse ist es sinnvoll, die Digitalisierung mit einem starken Partner anzugehen, der profunde Branchenkenntnisse vorweist.
Mit welchen grundsätzlichen Fragen kommen Neukunden auf Ihr Unternehmen zu?
Das ist je nach Branche und Technologie-Stack sehr unterschiedlich. Dass Kunden grundsätzlich viele Fragen und auch Ängste rund um die Digitalisierung haben, ist kein Geheimnis. Die Digitalisierung ist aus meiner Sicht in erster Linie aber eine Chance, die über Jahre gewachsenen Strukturen und Prozesse konstruktiv zu hinterfragen. Unser Anspruch ist es, bei der Digitalisierung genau diesen Mehrwert zu schaffen. Das heisst, Prozesse nicht einfach eins zu eins zu digitalisieren, sondern im gleichen Schritt zu optimieren und zu verschlanken. Es sind die Erfahrungen in der Konzeption und bei der Realisierung von Fachapplikationen, die wir bei Emineo vorzuweisen haben. Elementar ist es deshalb, hochspezialisierte Prozesse kundenspezifisch abzubilden und diese in bestehende Landschaften zu integrieren. Wenn wir – der Kunde und wir von Emineo – am Ende eines langen und vielleicht auch emotionalen Projekts gemeinsam zurückblicken und der Kunde feststellt, wie einfach, intuitiv und durchgängig ein Ablauf nun funktioniert, dann haben wir unseren Job gut gemacht.
Kunden Ihres Unternehmens können neu auch in Kryptowährungen bezahlen. Was hat zu dieser Entscheidung geführt?
Kryptowährungen erleben einen erneuten Hype, und mittlerweile setzten sich fast alle Zentralbanken mit dem Thema intensiv auseinander, was ein "Game Changer" sein könnte. Da ich persönlich ein grosser Verfechter der "Do it culture" bin, beschäftigen wir uns bei Emineo nicht nur rein theoretisch mit Themen, sondern wollen sie hinterfragen und verstehen lernen. Die Frage ist, mit welcher Lösung können wir den unterschiedlichen Herausforderungen begegnen. Dass unsere Kunden mit Kryptowährungen bezahlen können, ist demnach ein logischer Schritt.
Wo sehen Sie derzeit Potenzial in der Blockchain-Technologie.
Die Schwierigkeit sehe ich persönlich darin, dass aktuell versucht wird, bestehende IT-Lösungen mit Blockchain-Technologien abzulösen. Wahrscheinlich ist es so, dass die Blockchain-Technologie zukünftig bei Lösungen zum Einsatz kommen wird, die heute noch gar nicht bekannt sind. Am vielversprechendsten sind Anwendungen im Bereich von Smart Contracts. Denn die Qualität der Abwicklung erhöht sich, wenn Prozesse vereinfacht und automatisiert werden.
Sprechen wir wieder über Sie: Sie waren lange Zeit als IT-Berater tätig, zuletzt bei Emirates in Dubai. Gibt es Unterschiede im IT-Consulting zwischen den Emiraten und der Schweiz?
Zu meiner Zeit in Dubai von 2011 bis 2016 ist Emirates sehr stark gewachsen und die Aussichten waren grossartig. Konsolidierung oder gar Stellenabbau waren kein Thema. Im Fokus standen Wachstum, Ausbau und Investitionen. So auch im Technologie- und im IT-Bereich. Konnte das benötigte System auf dem Markt nicht gefunden werden, wurde nach kreativen Lösungen gesucht oder diese selbst entwickelt – nach dem Motto: weniger Ausreden, mehr Taten. Ein weiterer Unterschied zur Schweiz ist sicher der riesige Pool an Spezialisten. Das Team, das ich damals leitete, bestand zu 90 Prozent aus indischen Mitarbeitenden und war schlichtweg hervorragend. Allesamt top ausgebildet und hochmotiviert. Jedem Software Engineer in der Schweiz, der Offshore-Zentren belächelt, kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass er sich warm anziehen muss.
Welche Eigenschaft könnte sich ein Schweizer IT-Berater von einem aus Dubai abschauen?
In der Schweiz sind viele bequem geworden und sehen ihre Ansprüche an unseren Wohlstand quasi als Menschenrecht – ohne zu hinterfragen oder zu wissen, woher dieser eigentlich kommt. Wenn wir verlernen, für unser Ziel hart zu arbeiten, auch an uns selbst zu arbeiten, flexibel zu sein und auch einmal zurückzustecken, werden wir den Wohlstand eines Tages nicht mehr halten können. So vermisse ich den Hunger, den Biss, den ich in Dubai täglich gespürt habe. Leider beobachte ich auch, dass in unseren Breitengraden teils zu schnell resigniert wird.
Und umgekehrt?
Die Emirate können, ja müssen von uns lernen, wie unter Berücksichtigung der Menschenrechte Gesellschaften mit demokratischen Strukturen nachhaltig aufgebaut werden. Und ganz nebenbei bemerkt: dass finanzielle Ressourcen endlich sind und es durchaus möglich ist, pünktlich zu einem Meeting zu erscheinen.
Was muss ein IT-Berater Ihrer Meinung nach mitbringen, um erfolgreich zu sein?
Ein guter Berater braucht Leidenschaft, Erfahrung und Flexibilität. Kunden sind anspruchsvoll und es gibt viele sehr gute Mitanbieter sprich Konkurrenten. Wenn wir das Problem nicht lösen, löst es ein anderer. Darum ist es wichtig, dem Kunden genau zuzuhören und ihn situativ zu lesen. Nur so können wir als IT-Partner die Bedürfnisse im Detail erfassen. Ein Berater, der primär auf seine Work-Life-Balance beharrt, wird es schwierig haben. Der Wille, sich proaktiv der Materie zu widmen, sich weiterzubilden, sich weiterzuentwickeln, ist zentral – dafür gibt es keine fixen Stundenkontingente. Vielmehr ist es ein steter Prozess und nicht immer planbar. Genau deshalb schätze ich es nach wie vor, selbst operativ als Projektleiter auf grösseren Projekten tätig zu sein, denn so bleibe ich am Ball und flexibel.
Bald steht das nächste Jubiläum an: Nächstes Jahr feiert Emineo 20-jähriges Bestehen. Wie werden Sie das feiern?
Eines ist sicher: Es wird in erster Linie ein grosses Dankeschön an unsere Kunden, unsere Mitarbeitenden und die Gründer sein. Sie hatten damals den Mut, die Vision und die Überzeugung, dass Emineo – was in Latein "heraus-, hervorragen" bedeutet – eine ausgezeichnete und zukunftsträchtige Idee ist und sich durch Beratungs- und Umsetzungsstärke hervortun wird.