Finnova Sessions #1

Was die Digitalisierung mit den Banken macht

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von Joël Orizet und ebe

Das heutige Businessmodell der Banken hat sein Ablaufdatum überschritten – so lautet eine von fünf Thesen zum Banking der Zukunft, die zum Auftakt der Finnova-Sessions zu reden gegeben haben. Zur Debatte stand auch die Frage: Wie kann eine Schweizer Bank heutzutage Innovation betreiben?

(Source: krugli / iStock)
(Source: krugli / iStock)

Finnova veranstaltet seinen jährlichen Partner- und Kundenanlass dieses Jahr in einem etwas anderen Format. Statt einem grossen "Finnova Day" gibt es nun vier virtuelle "Finnova Sessions", die unter dem Motto "The Future Is Now" verschiedene Themen beleuchten. Den Auftakt machte der Lenzburger Hersteller von Bankensoftware mit einem Onlineevent zur Frage: Wie sieht die Zukunft der Bankenbranche aus?

Das Eröffnungsreferat hielt die IT-Ökonomin und Unternehmerin Sita Mazumder, die als Professorin für Wirtschaft und Informatik an der Hochschule Luzern (HSLU) forscht und lehrt. Mazumder formulierte fünf Thesen zur Zukunft der Banken, die weder abschliessend noch bestätigt sind, wie sie sagte. Für eine anregende Diskussion sorgten die Thesen allemal.

1. Technologie ist ein Werkzeug: notwendig, aber nicht hinreichend

Technologie ist ein unabdingbares Mittel zum Zweck – das heisst aber nicht, dass sie automatisch zum Ziel führt. Tools wie beispielsweise Machine-Learning-Anwendungen werden gut und gerne als Enabler fürs Business vermarktet; sie können aber genauso gut als Disabler fungieren, wie Mazumder sagte. "Nur weil man an einem Blockchain-Seminar war und dann unbedingt eine Blockchain möchte, heisst das noch lange nicht, dass eine Blockchain auch die richtige Lösung ist."

Die Wahl einer Technologie sollte also wohlüberlegt sein. Denn ein gewünschtes Vorhaben lässt sich nur mit dem passenden Werkzeug erreichen. Welches Tool ist das richtige? Was kann man damit tun? Fragen wie diese klingen vielleicht banal. Doch in der Praxis würden solche Überlegungen oftmals vernachlässigt, sagte Mazumder. "Es schickt sich an, gewisse Technologien zu haben, ohne dass man sich vorher überlegt hat, wie man diese einsetzen und wie man daraus einen Nutzen generieren möchte."

2. Das heutige Geschäftsmodell der Banken hat sein Ablaufdatum überschritten

"Die ursprüngliche Aufgabe jedes Unternehmens ist es, einen Nutzen zu generieren", sagte Mazumder. Doch was bedeutet das heute? Für welchen Nutzen sind die Kundinnen und Kunden von morgen bereit, Geld auszugeben? Auch solche Fragen würden heutzutage zu wenig ernsthaft diskutiert, insbesondere in der Finanzbranche.

Stattdessen steht auf vielen Prioritätenlisten ganz oben: Kosten sparen. "Momentan versucht man vielerorts, bestehende Businessmodelle aufrechtzuerhalten, indem man einfach Kostensenkung ohne Ende betreibt – aber es gibt hier Grenzen", sagte Mazumder. "Irgendwann bürdet man sich damit Risiken auf." Kosten in den Griff zu kriegen, sei selbstverständlich wichtig – für Banken ganz besonders. Sie wären jedoch gut beraten, wenn sie mehr daran arbeiten, einen Business Case für die Zukunft zu entwickeln.

Sita Mazumder, IT-Ökonomin, Unternehmerin und Professorin an der Hochschule Luzern (HSLU). (Source: Screenshot)

Die Welt der Technologie dreht sich scheinbar immer schneller – und die Banken müssen aufpassen, dass sie nicht stehen bleiben. "Wir müssen Gas geben, um den Anschluss nicht zu verpassen", sagte Mazumder. Als Beispiele nannte die IT-Ökonomin etwa das Aufkommen der Plattformökonomie und die Durchsetzung von Mobile Payment in China, wo 95 Prozent aller Zahlungen entweder via Alipay oder über Wechat liefen. Solche Tendenzen könnten auch auf die Schweiz zukommen – "vielleicht sogar im selben Ausmass".

Schweizer Banken sehen sich gerne als smart Followers, im Sinne von: Bloss nicht den ersten Schritt wagen, sondern abwarten, von anderen lernen und dann schnell nachziehen. Heute stellt das die Finanzinstitute jedoch vor ein Problem, denn "schnell ist nicht schnell genug". Die Konsequenz: "Wir befinden uns in einem potenziellen Kodak-Moment", sagte Mazumder. Der Untergang des einst grössten Fimherstellers zeige, wie schnell ein etabliertes Unternehmen vom Markt verschwinden könne.

3. Vorsicht vor dem bösen Wolf: Die Konkurrenz macht sich stark

Die vermeintlich grössten Konkurrenten der Banken sind längst bekannt. Es sind die grossen Technologiekonzerne, Fintechs und Neobanken. Tatsächlich könnte sich aber ein anderer Gegenspieler als gefährlicher erweisen. "Vielleicht ist es Aldi", sagte Mazumder. "Wir müssen darauf gefasst sein, dass der komplette Unbekannte oder der bislang Unverdächtige um die Ecke kommt und etwas bringt, das unser Geschäftsmodell komplett durcheinanderwirbelt." Deswegen sollten die Entscheidungsträger der Banken eine gewisse Alarmbereitschaft im Hinterkopf behalten. Dies bedingt jedoch keine Abwehrhaltung – im Gegenteil: Die Gefahr des Unbekannten erfordert geistige Offenheit.

Ideenmanagement ist allerdings eine hohe Kunst. Nur 0,0333 Prozent aller Ideen würden zu Innovationen respektive zu marktfähigen Produkten, sagte Mazumder unter Berufung auf eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 1997.

Den Ergebnissen zufolge braucht es also 3000 Ideen, um ein kommerziell erfolgreiches Produkt zu entwickeln. Das heisst: "Wir brauchen eine Kultur, die offen ist gegenüber neuen, vielleicht sogar verrückten und skurrilen Ideen."

4. Innovation ist mehr als Iteration und Imitation

Für Finanzinstitute ist das alles andere als selbstverständlich, denn sie sind weit weg von dem, was man gemeinhin als innovativ bezeichnet. Dafür sind Banken darin erprobt, Bestehendes anzupassen und von anderen abzukupfern. "Wir nehmen Dinge, die wir schon haben, machen sie etwas besser und verkaufen sie mit dem Zusatz 2.0", sagte Mazumder. Iteratives Vorgehen und Nachahmung brauche es natürlich auch, doch man erreiche damit nicht die grossen, dringend benötigten Innovationen.

Etwas Neues zu erschaffen, das unser Leben verändert, erfordert Kreativität. Was das bedeutet, veranschaulichte Mazumder anhand eines Zitats, das Albert Einstein zugeschrieben wird: "Creativity is intelligence having fun." Eine neue Art von Banking sei dementsprechend auf beides angewiesen: Rationalität und kreative Verspieltheit.

5. Kein Kapital ohne passendes Humankapital

Dies müsse sich auch im Management widerspiegeln: "Es kann nicht sein, dass IT-Nerds nur die Geduldeten sind, die Zulieferer, die man zu Rate zieht, wenn etwas nicht funktioniert." Stattdessen sollte man sie strategisch ins Unternehmen einbinden und auf Augenhöhe mit ihnen zusammenarbeiten. "Seien Sie nett zu den Nerds", sagte Mazumder, "Sie könnten eines Tages für einen arbeiten".

Nicht jeder hat das Zeug zum Nerd – es soll auch nicht jeder einer werden, wie Mazumder sagte. Doch das Berufsbild des Bankers verändere sich. Und die Banken sollten diesen Wandel nicht nur zulassen, sondern ihn mitgestalten und ihn mit offenen Armen begrüssen.

Banken brauchen hybride Talente

Nach dem Inputreferat bat Finnova-CEO Hendrik Lang zum Gespräch bei Cocktails in einer improvisierten Bar. Die fünf Thesen zum Banking der Zukunft gaben einiges zu reden. Bezüglich des sich wandelnden Berufsbildes des Bankers fragte Hendrik Lang scherzhaft in die Runde: "Darf ich mir als Technologe erhoffen, in zehn Jahren CEO einer Bank zu sein?"

Finnova-CEO Hendrik Lang (3.v.l.) moderierte das Bargespräch. (Source: Screenshot)

Im Prinzip: ja. Denn es werde künftig mehr und mehr Banker geben, die ihre Karriere nicht nur im Banking machen würden, sagte Simone Stebler, Consultant bei Egon Zehnder. "Wir sehen eine zunehmende Migration von Talenten – und zwar nicht zwingend in geographischer Hinsicht, sondern vielmehr zwischen verschiedenen Branchen", sagte sie. Infolgedessen werde man "hybride Talente" häufiger in den Chefetagen der Banken antreffen. Künftige Banken-CEOs sollten allerdings nicht nur ein Technologieverständnis mitbringen, sondern auch richtig kommunizieren und Empathie zeigen können.

Die Erwartungen an eine Karriere verändern sich und die Lebensläufe werden vielfältiger – was im Umkehrschluss heisst: So etwas wie Mitarbeitendenbindung wird schwieriger. "Eine lebenslange Anstellung ist wohl ein Ding der Vergangenheit", sagte Stebler. "Wir sehen kürzere Karrieren an einzelnen Orten; die Leute füllen sich ihren Rucksack mit Erfahrungen und ziehen dann weiter."

Simone Stebler, Consultant bei Egon Zehnder. (Source: Screenshot)

Bleibt die Frage: Was kann eine Bank dagegen tun? Vielleicht hilft es, zunächst einmal den Gedanken zu verinnerlichen, der hinter Open Banking steht. "Da geht es im Kern darum, dass man sich in einem grösseren Kontext wahrnimmt und akzeptiert, dass sich nicht immer alles um sich selbst dreht", sagte Stebler.

Dirigieren statt schwadronieren

Hendrik Lang knüpfte daran an, bezeichnete Open Banking als Chance für Geschäftsmodell-Innovationen, gab sich dann aber irritiert: "In unserer Wahrnehmung passiert in der Schweiz noch sehr wenig". Ob das nur daran liege, dass PSD2 hierzulande nicht gesetzlich vorgeschrieben ist?

Zweifellos ein wichtiger Grund, sagte Sascha Gysel, Leiter des Think Tanks E-Foresight der Swisscom. Viele EU-Banken begnügen sich mit der Compliance, andere gehen weiter – doch in der Schweiz passiere sicherlich auch deswegen relativ wenig, "weil man einfach nicht muss". Ein weiterer Grund liege darin, dass die Schweizer Banken in der Rolle des Followers feststeckten. "Man wartet ab und schaut zu, welcher Standard sich durchsetzt – Hauptsache, nicht als Erster einen Fehler machen."

Sascha Gysel, Head E-Foresight, Swisscom. (Source: Screenshot)

Es fehlt hierzulande aber noch an etwas anderem, wie Gysel sagte. "Es gibt noch keine klare Vision für das Schweizer Banking der Zukunft." Ein Manko der Führungsebene, die in solchen Fragen teilweise hilflos zu sein scheine.

Auch das Thema Talentmanagement werde in den Verwaltungsratsgremien der Banken sträflich vernachlässigt, ergänzte Simone Stebler. Das beginnt bereits beim CEO-Jobprofil. "Früher suchte man noch eine oder einen CEO, der gewissermassen als Superheld auftreten kann und auf sämtliche Fragen eine Antwort hat." Heute seien jedoch andere Fähigkeiten gefragt. CEOs sollten in die Dirigentenrolle schlüpfen können, in der es darum geht, Antworten und Ideen aus verschiedenen Teilen der Organisation aufzunehmen und sie zu orchestrieren. Das erfordere allerdings die Fähigkeit zur Selbstreflektion und vor allem: integrative Führungsqualitäten. "Durch Integration fördert man Innovation", sagte Stebler.

Kürzlich hat übrigens E-Foresight gemeinsam mit dem Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ untersucht, wie hoch der Digitalisierungsgrad von 35 Retailbanken in der Schweiz ist. Analysiert wurden digitale Funktionalitäten, Dienstleistungen und Produkte. Die Resultate wurden anlässlich der IFZ-Konferenz "Innovationen im Banking" vorgestellt. Lesen Sie hier mehr dazu.

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