Warum Microsofts Plan zur Produktivitätsmessung gefährlich ist
Digitalexpertin Sarah Genner leitet an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ) den CAS New Work. Im Gespräch beurteilt sie die Tools, mit denen Microsoft hybrides Arbeiten unterstützen will, und sagt, was das Unternehmen besser machen könnte.
In der Beschreibung des von Ihnen geleiteten CAS heisst es unter anderem: Die Weiterbildung "nimmt Hypes den Wind aus den Segeln". Welche Hypes entzaubern Sie aktuell am häufigsten und warum?
Sarah Genner: Dass mit New Work und vielen digitalen Produktivitätstools alles einfacher und produktiver wird. Die vielen neuen Möglichkeiten des mobil-flexiblen Arbeitens müssen auf die Organisation, das Team, auf Tätigkeiten und Persönlichkeiten abgestimmt werden. Das ist spannend, aber auch aufwändig.
Welche Rolle spielen Technologieanbieter wie Microsoft beim Thema New Work?
Eine sehr grosse. Microsoft prägt mit seiner Dominanz in der Business-Welt, mit welchen Tools die Mehrheit arbeitet. Auch wenn MS Teams in den vergangenen Jahren in Sachen Usability anderen Tools wie Zoom und Slack massiv hinterherhinkte, war es klar, dass die Microsoft-Produkte sich am Ende alleine durch die Marktmacht durchsetzen werden.
Gibt es eine Tech-Innovation im Bereich neuer Arbeitswelten, die Sie im Moment besonders fasziniert?
Ich bin sehr gespannt auf die noch jungen Debatten rund um People Analytics und Productivity Scores. Den Menschen mit Datenpunkten zu vermessen, ist beliebt und ein grosses Geschäftsfeld. Ich sehe aber auch zahlreiche Risiken: falsche Messungen, rechtliche Grauzonen und die Gefahr, gute Mitarbeitende mit falschen Anreizen zu demotivieren. Die Gefahr ist gross, dass wir das Falsche messen, nur weil es sich messen lässt.
Wie viel Kontrolle dürfen oder müssen sich Arbeitnehmende künftig gefallen lassen?
Produktivitätsmessungen sind in vielen Ländern rechtlich mindestens heikel. Es ist aus meiner Sicht richtig, dass hier kritische Fragen gestellt werden. Persönlich bin ich überzeugt, dass sich Organisationen ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie überwachen, statt in eine Vertrauenskultur zu investieren.
Microsoft hat inzwischen auf die Kritik reagiert, den Productivity Score unter dem Namen Adoption Score neu lanciert und dabei (laut Ankündigung) den Datenschutz erheblich verbessert. Gibt es Szenarien, in denen Sie einem Unternehmen einen solchen Adoption Score empfehlen würden?
Der Adoption Score liefert ja beispielsweise Handlungsempfehlungen, um die Nutzung von Office 365 zu verbessern. Wenn da Tipps gegeben werden, dass man Dokumente eher über die Cloud statt per E-Mail teilen soll, kann das einigen vielleicht weiterhelfen. Mit der Funktion Time Trend werden Daten zu digitalen Ereignissen im ganzen Unternehmen gemessen. Das mag Informationen über die Grosswetterlage der digitalen Kollaboration geben, aber am Ende sagt es nichts über die Qualität und Effektivität der Arbeit aus. Vielleicht wurden zentrale Dinge jenseits der Bildschirme oder mittels anderer digitaler Tools erarbeitet.
Statt Überwachungsmassnahmen eine Vertrauenskultur zu etablieren, klingt primär nach einer Aufgabe für Menschen. Gibt es dennoch Tech-Lösungen, welche die Menschen beim Schaffen einer solchen Vertrauenskultur unterstützen?
Ich sehe Technologien als Werkzeuge, die eine Art Lupen-Effekt haben. Hält man eine Lupe auf eine wenig wertschätzende Organisationskultur, dann werden digitale Tools möglicherweise für noch mehr Entfremdung und Missverständnisse sorgen. Hält man eine Lupe auf ein motiviertes Team mit wertschätzenden Führungskräften, dann kann Technologie das Vorhandende zusätzlich vergrössern.
Microsoft lanciert seit der Pandemie regelmässig Lösungen fürs hybride Arbeiten. Wie beurteilen Sie das generell? Sind das mehrheitlich nützliche Trends oder unsinnige Hypes?
Microsoft hat vor allem auf das enorme Bedürfnis nach besseren Tools für Remote Work reagiert. Am Ende sind es immer Tools und die Frage ist, wer diese wie einsetzt, ob das sinnvoll und nützlich ist oder nicht. Menschen kreieren Hypes, nicht Technik.
Sprechen wir über ein paar konkrete Produkte: Microsoft lancierte etwa eine Employee-Experience-Plattform namens Viva. Dazu gehört Viva Connections. Die App bietet Mitarbeitenden Zugang zu Informationen des Unternehmens und enthält Community-Foren für den Interessenaustausch. Entspricht eine solche App einem Bedürfnis im Bereich New Work?
Gut eingesetzt und gepflegt, sind diese Community-Foren ein echter Gewinn für Austausch und Zugehörigkeit. Im schlechtesten Fall werden diese Foren zu einer Spam-Schleuder oder Mobbing-Zone. Am Ende liegt es an der Unternehmens- und Führungskultur, was daraus wird. Im Zweifel rate ich zu möglichst wenigen und einfachen Tools und einem starken Fokus auf zwischenmenschliche Treffen und eine konstruktive Kommunikationskultur.
Eine andere App heisst Viva Insights und soll Mitarbeitende beim Finden der richtigen Work-Life-Balance unterstützen. Sie kann etwa an regelmässige Pausen erinnern, unterstützt beim Einrichten von Fokuszeiten für konzentriertes Arbeiten, soll aber auch das tägliche Pendeln zur Arbeit im Homeoffice simulieren können. Wie gefragt sind solche Tools?
Es gibt viele Menschen, die sich gerne von Technik Tipps geben lassen, wie sie mit Technik umgehen sollen. Ich persönlich gehöre nicht dazu, sehe aber regelmässig, dass das auch positiv genutzt wird.
Seit bald einem Jahr ist das Stichwort Metaverse in aller Munde. Laut manchen Werbeversprechen soll es bald auch unser Arbeitsleben verändern. Was halten Sie davon?
Persönlich finde ich es amüsant, wie die Umbenennung des Facebook-Konzerns in Meta es geschafft hat, diesen Hype auszulösen, den wir doch schon mal bei Second Life in den Nullerjahren erlebt hatten. Dass wir künftig mit noch immersiverer Technik als Zoom, Teams und Co. digital zusammenarbeiten werden, halte ich für sehr wahrscheinlich, aber sehe dieser Entwicklung gelassen entgegen.
Was geben Sie Microsoft auf den Weg: Was könnte der Konzern besser machen, um die Arbeitswelt der Zukunft positiv mitzugestalten?
Generell wünsche ich mir möglichst einfache, sichere und stabile Tools, die gut mit anderen Technik-Umgebungen interagieren. Das ist natürlich ein frommer Wunsch, denn Technologie-Konzerne leben ja vom Hype rund um immer mehr Funktionalitäten und schotten sich von ihrer Konkurrenz ab. Für mich, die auf Apple-Geräten intensiv diverse Google-Workspace- und Microsoft-365-Umgebungen nutzt, ist ironischerweise der kompatibelste Kalender eine Moleskine-Agenda.