Update: Jugendschutzgesetz kommt nicht vors Volk
Mit einem neuen Gesetz will der Bund Kinder und Jugendliche vor Pornografie und Gewaltdarstellungen schützen. Das Gesetz führe zu einem Ausweiszwang für alle, argumentieren die Gegner. Die für ein Referendum nötigen Unterschriften konnten sie jedoch nicht sammeln.
Update vom 23.1.2023: Das Referendum gegen das neue Jugendschutzgesetz kommt nicht zustande. Dies bestätigt die Bundeskanzlei in einer knappen Mitteilung. Zuvor hatte auch schon die Piratenpartei im Namen des Referendumskomitees mitgeteilt, es zeichne sich immer mehr ab, dass die Schätzung zur eingereichten Anzahl Unterschriften zu optimistisch gewesen sei. Wie die Bundeskanzlei nun schreibt, verfehlte das Referendumskomitee die benötigten 50'000 Unterschriften um mehr als die Hälfte.
Die Piratenpartei zeigt sich in ihrer Mitteilung dennoch verhalten zuversichtlich. Ihr Präsident Jorgo Ananiadis kommentiert: "Mehrere Parlamentarier haben inzwischen glücklicherweise realisiert, was für einen Unsinn da durchgewunken wurde. Wir werden sie mit unserer Expertise unterstützen, damit dieses Gesetz vor Inkrafttreten mit grundlegenden Änderungen auf die richtige Bahn gebracht wird."
Originalmeldung vom 19.1.2023: Darum stösst das neue Jugendschutzgesetz auf Widerstand
Der Bund will Minderjährige besser vor ungeeigneten Medieninhalten schützen. Dazu gehören laut einer Mitteilung Darstellungen von Gewalt, Sexualität und bedrohlichen Szenen. National- und Ständerat haben zu diesem Zweck im vergangenen Herbst das neue "Gesetz über den Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele" (JSFVG) verabschiedet.
Youtube und Co. in der Pflicht
Das Gesetz vereinheitlicht die bislang von Kanton zu Kanton unterschiedlichen Regelungen zu Alterskennzeichnung und -Kontrollen schweizweit. Namentlich verpflichte es alle hiesigen Kinos, Detailhändler, Online-Versandhändler und Abrufdienste zu Alterskennzeichnungen und -kontrollen, teilt der Bund mit.
Auch in die Pflicht nehmen will er Anbieterinnen und Anbieter von Onlinediensten für Videos oder Videospiele - also beispielsweise Youtube und Twitch. Diese sogenannten Abruf- oder Plattformdienste müssten Minderjährige mit geeigneten Massnahmen schützen. In den Artikeln 8 und 20 des Gesetzesentwurfs nennt der Bund zwei konkrete Massnahmen, welche die Anbieter einführen müssen. Einerseits ist dies ein System zur elterlichen Kontrolle und andererseits ein System "zur Alterskontrolle vor der erstmaligen Nutzung des Dienstes".
Ausweiszwang, Datenschutzdesaster, zahnloser Tiger
Mit dieser Pflicht zur Alterskontrolle vor der ersten Nutzung geht die Schweiz weiter als andere Länder Europas, wie die Tech-Journalistin Adrienne Fichter in einem Artikel auf "dnip.ch" ausführt. Zwar sei der Trend der Identifikation und Altersprüfung auf dem Vormarsch. Doch in anderen Ländern beschränke sich diese auf spezifische Inhalte, wo hingegen die Schweiz pauschal die gesamte Kontoerrichtung an die Kontrolle knüpfe.
Bei den Gegnern des Gesetzes, die das Referendum ergriffen haben, stösst dies auf Kritik. Die eindeutige und sichere Verifizierung zum Schutz von Minderjährigen könne nur mit einem Scan der ID oder dem Pass erfolgen, argumentieren sie. Somit werde für die Nutzung von Plattformen wie Youtube und Co. ein Ausweiszwang verhängt.
Längerfristig werde damit alles, was sich eine Person im Internet ansehe, nachvollziehbar. Weiter betont das Komitee, dass der Gesetzesentwurf aktuell explizit nur die Daten Minderjähriger schützt. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass die Daten von volljährigen Personen weiterverwendet werden und an Dritte verkauft werden dürfen.
Zusätzlich kritisieren die Gegner zahlreiche Lücken im vorgeschlagenen Gesetz. So fallen etwa Bilder mit pornografischen Darstellungen nicht darunter. Diese dürfen weiterhin ohne Schutzmechanismus konsumiert werden. Auch zu P2P-Plattformen oder Messenger-Apps sagt das Gesetz nichts.
Ausserdem liessen sich schweizweite Kontrollmechanismen leicht umgehen, etwa durch einen ausländischen VPN-Zugang. Und schliesslich seien die definierten Strafbestimmungen ein zahnloser Tiger. "Der Anbieter im Ausland wird sich gar nicht um eine Umsetzung des Gesetzes bemühen. Dafür ist der Schweizer Markt mit der Anzahl von Nutzerinnen und Nutzern nicht lukrativ", schreibt das Komitee weiter.
E-ID als Hoffnungsträgerin
Befürworter des Gesetzes wollen insbesondere von einem Ausweiszwang nichts wissen. SP-Nationalrat Matthias Aebischer spricht gegenüber dem "Tages-Anzeiger" von einer "Ente". Wer Youtube benutze, ohne sich auf der Plattform einzuloggen, könne das weiterhin tun. Harald Sohns, Sprecher des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV), welches das Gesetz ausarbeitete, konkretisiert im selben Artikel: "Nur dann, wenn man zusätzlich auch Inhalte sehen will, die ausschliesslich für Erwachsene sind, muss man sich anmelden."
Dem halten die Autoren eines weiteren Beitrags auf "dnip.ch" entgegen, Youtube sei rein von der Masse an Filmmaterial her gar nicht in der Lage, sämtliche Videos altersspezifisch zu markieren. Dies, zumal eine Alterseinstufung grundsätzlich schwierig sei und je nach Land unterschiedlich erfolge.
Wie die Jugendschutzmassnahmen technisch umgesetzt werde, stehe aktuell noch nicht fest, sondern werde erst in einer Verordnung definiert, heisst es im "Tages-Anzeiger" unter Berufung auf FDP-Ständerat Matthias Michel. Gegenüber der "NZZ" bringt das BSV die noch nicht fertige elektronische Identität (E-ID) ins Spiel. Mit dieser könnten Nutzerinnen und Nutzer einem Plattformanbieter gegenüber ihre Volljährigkeit nachweisen, ohne gleichzeitig weitere persönliche Daten zu übermitteln.
Referendumskomitee hofft auf Endspurt
Angeführt wird das Referendumskomitee von der Piratenpartei. "Die digitalpolitische Naivität von Verwaltung und Parlament hat uns wieder mal ein unsägliches Gesetz beschert", lässt sich deren Präsident Jorgo Ananiadis in einer Mitteilung zitieren. Die Kampagne nahm erst kurz nach Jahreswechsel an Fahrt auf und wurde von zahlreichen Medien aufgegriffen.
Ob die für das Referendum nötigen 50'000 Unterschriften zusammengekommen sind, ist jedoch noch nicht sicher. "Wir wurden in so kurzer Zeit von Unterschriften überflutet, dass wir gar nicht mehr nachzählen konnten", sagt Kampagnenleiter Pascal Fouquet, der sich jedoch positiv gestimmt zeigt. Offiziell übergibt das Komitee die Unterschriften am Nachmittag des 19. Januar an die Bundeskanzlei.
In einem im Januar 2023 veröffentlichten Bericht zeigt der Bundesrat auf, mit welchen Massnahmen er Kinder und Jugendliche besser vor Cyber-Sexualdelikten schützen will. Ein wichtiger Teil kommt dabei der Prävention zu. Der Bundesrat plädiert aber auch für verstärkte Koordination der involvierten Akteure und für weiterführende Studien. Mehr dazu lesen Sie hier.