Interview mit Urs Lehner

So verlagert Swisscom relevante Teile seiner eigenen IT-Workloads in die Public Cloud

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Urs Lehner verantwortet bei Swisscom das B2B-Geschäft; ein Bereich, in dem der Telco weiterhin ambitionierte Wachstumsziele verfolgt. Im Gespräch führt er auch aus, wie sich Swisscom vom Telekommunikations- zum ICT-Unternehmen entwickelt und welche Rolle AWS dabei spielt.

Urs Lehner, Leiter Business Customers und Mitglied der Konzernleitung von Swisscom. (Bild: Gerry Amstutz)
Urs Lehner, Leiter Business Customers und Mitglied der Konzernleitung von Swisscom. (Bild: Gerry Amstutz)

Bereits im Januar 2020 hat Swisscom das KMU-­Geschäft mit dem Enterprise-Geschäft in der Unit Business Customers zusammengelegt. Wie hat sich dieser Bereich unter Ihrer Führung in den vergangenen drei Jahren entwickelt?

Urs Lehner: Der Bereich entwickelt sich ausgesprochen gut. Trotz des sehr dynamischen Marktes, der unter starkem Preisdruck steht, konnten wir unsere Position als Full Service Provider festigen. Die Kundenzufriedenheit bleibt hoch und die Nachfrage nach Cloud, Security sowie IoT- und SAP-Lösungen und Businessapplikationen nimmt weiter zu. Auch im KMU-Segment verzeichnen wir ein solides Umsatzwachstum mit IT- und Cloud-Angeboten. 

Die Bedürfnisse von KMU- und Enterprisekunden sind doch sehr unterschiedlich. Wie können Sie die beiden Geschäftskundengruppen aus derselben Abteilung heraus adäquat bedienen?

Die Spannweite vom Kleinst-KMU bis zum internationalen Konzern ist tatsächlich gross. Deshalb erbringen wir sehr bedürfnisgerechte Dienstleistungen und Services für KMU- und Grosskunden und haben die jeweiligen Spezialisten dafür. Wir haben zudem eine dedizierte Vertriebsorganisa­tion für Enterprise- und für KMU-Kunden sowie Teams, die sich den jeweiligen Produktanforderungen widmen. 

Internet, Telefonie, Netzwerk, Cloud-Dienste, Cyber­sicherheit: Das KMU-Angebot von Swisscom ist inzwischen sehr breit. Wie behalten Sie selbst und Ihre potenziellen Kunden den Überblick über die Vielfältigkeit und die gegenseitigen Abhängigkeiten Ihrer Angebote?

Wir unterstützen KMUs Schritt für Schritt bei der Einführung flexibler Arbeitsformen, mit Tools für die einfachere Kommunikation und Zusammenarbeit im Team. Wir kümmern uns um das IT-Outsourcing, ihre IT-Security oder unterstützen sie mit cloudbasierten Diensten, etwa einer modernen Infotainment-Lösung für Restaurant und Hotels oder zum Beispiel auch einem digitalen Kassensystem. Im Vordergrund stehen dabei die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden. Und davon leiten wir die passenden Services, Dienstleistungen sowie deren Ausprägungen ab. Der Kunde selbst kann und muss die Angebote nicht im Detail kennen. Viel wichtiger ist es, dass KMUs uns sowie unsere Swisscom-Partner als kompetente Ansprechpartner für Ihre Telco- sowie IT-Anliegen wahrnehmen. Der Rest ergibt sich im persönlichen Gespräch. 

Sie sprachen in einem früheren Interview über die Bedeutung der digitalen Transformation. Wie unterscheiden sich die Herangehensweisen bei KMU- und Enterprisekunden?

Insgesamt lässt sich sagen: Schweizer Unternehmen sind so digital wie nie zuvor, natürlich auch stark getrieben durch die Coronapandemie. Bei Grosskunden dient die Technologie immer mehr der Gestaltung neuer Geschäftsmodelle. Es geht darum, einen optimalen Business Value aus der angepassten Infrastruktur und den wachsenden Datenmengen zu generieren. Prozesse können effizienter gestaltet werden, Informationen und Daten neu betrachtet und anders kombiniert werden. Dies mit dem Ziel, Kundenbedürfnisse, Kunden­interaktionen und Ansprüche von Mitarbeitenden besser zu bedienen. Kleinere und mittlere Unternehmen können ihre Geschäftsmodelle, Prozesse oder Daten einfacher digitalisieren als Grossunternehmen und spüren die positiven Auswirkungen schneller in ihrem Geschäftsgang. Gleichzeitig steigern sie damit ihre Arbeitgeberattraktivität für Fachleute, denn sie legen ihre Schwerpunkte auf spannende Themen wie Customer Experience oder Process Automation. Für KMUs wie auch Grosskunden gilt: Es braucht nicht allein ICT-Lösungen, damit die Digitalisierung fortschreiten kann. Der Mensch spielt eine ebenso zentrale Rolle. Arbeitgeber müssen den Aufbau digitaler Kompetenzen gezielt unterstützen. Darüber hinaus ist es natürlich zentral, dass die MINT-Kompetenzen im Schweizer Bildungswesen gefördert werden. Denn ohne qualifizierte Fachkräfte wird die digitale Transformation ausgebremst.

Welches sind die wichtigsten technologischen und unternehmerischen Herausforderungen für Firmen in der Schweiz, wenn sie ihre digitale Transformation meistern wollen? 

Eine grosse unternehmerische Herausforderung der aktuellen Zeit ist der Fachkräftemangel. Um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben, sind innovative Arbeitsplatzkonzepte, sinnhafte Arbeitsinhalte und Entwicklungsmöglichkeiten erforderlich. Es gilt zudem, mit passenden Umfeldbedingungen die Employee Experience hochzuhalten. Modernisiert werden sollen auch Prozesse, um das Effizienzpotenzial noch stärker auszuloten. Daten wandern zunehmend in die Cloud und hybride Szenarien sind die Realität. Dabei erfordert die parallele Nutzung von eigener IT-Infrastruktur und Cloud-Angeboten ein Nebeneinander verschiedener Betriebsmodelle. Die Transformation von Workloads zwischen diesen Modellen muss integral geplant und orchestriert werden, inklusive entsprechender Sicherheitsarchitekturen und Business-Continuity-Prozeduren.

Das reine Telco-Geschäft mit Festnetz und Mobilfunk stagniert seit Jahren beziehungsweise ist seit Jahren rückläufig. Wie will Swisscom diese Entwicklung umkehren oder anders gefragt: Wenn sie sich nicht umkehren lässt, was sind die Alternativen?

Es ist klar unser Ziel, unsere Stellung im Telco-Geschäft auch im sehr dynamischen Umfeld zu festigen. Parallel dazu wollen wir im IT-Lösungsgeschäft weiter wachsen und unsere Position als integraler Full Service Provider für B2B-Kunden festigen. Insgesamt streben wir im Geschäftskundensegment Wachstum durch die Service-Konvergenz von Netzwerk, Security und Cloud-Dienstleistungen an.

Das IT-Services-Geschäft mit Businesskunden von Swisscom floriert. Welche Bedeutung hat in diesem ­Zusammenhang Swisscoms Partnerschaft mit Hyperscalern wie AWS, Microsoft und Google?

Unternehmen in der Schweiz setzen vermehrt auf hybride Multi-Cloud-Lösungen, um Flexibilität zu gewinnen, die Kapazitäten der Cloud-Infrastruktur zu erhöhen und Kosten zu optimieren. Wir unterstützen unsere Kunden mit einer vielfältigen Palette an Cloud-Lösungen. Dabei setzen wir ausser auf unsere eigene Infrastruktur auch auf ein breit abgestütztes Netzwerk an Partnern – bei den Hyperscalern auf Microsoft und AWS. Dies ist Voraussetzung, um am Markt als relevant wahrgenommen zu werden und Kunden in ihrer Transformation zu begleiten. Denn es erlaubt uns, Lösungen zu offerieren, die auf die jeweilige Situation des Kunden zugeschnitten sind. 

Die Nummer zwei unter den Schweizer Telcos – ­beziehungsweise Techcos – will im KMU-Segment gegenüber Swisscom aufholen und unter anderem mit günstigeren Preisen Marktanteile gewinnen? Wie reagieren Sie darauf?

Wettbewerb belebt das Geschäft und fordert uns, uns gemeinsam mit unseren KMU-Partnern gezielt am Markt zu positionieren. In KMUs kümmert sich oftmals die Chefin, der Chef oder ein Mitarbeiter um die ICT. Diese suchen die Entlastung von ICT-Aufgaben und einen Partner an ihrer Seite, dem sie blind vertrauen können. Entsprechend liegt unser Fokus darauf, unseren Kunden einen Mehrwert zu erbringen und sie bereit zu machen, die Chancen der vernetzten Welt einfach, effizient und sicher zu nutzen. 

Swisscom bewerkstelligt ihre eigene digitale Transformation mit einer strategischen Partnerschaft mit AWS. So will sich Swisscom vom Telco zum ICT-Unternehmen entwickeln. Was steckt hinter dieser Strategie?

AWS spielt eine zentrale Rolle bei der Swisscom-Cloud-Native-Transformation, die einen weiteren Schritt vom Telekommunikations- hin zum Technologieunternehmen darstellt. Wir verlagern relevante Teile unseres eigenen IT-Workloads in die Public Cloud und entwickeln Applikationen heute bereits cloud native. So nutzen wir die Innovationsdynamik und Skalierbarkeit von globalen Cloud-Anbietern, um neue innovative Services noch schneller auf den Markt zu bringen oder Prozesse zu standardisieren und automatisieren – und dies bei gleichzeitig erhöhter Kosteneffizienz. Sehr wichtig ist dabei die kulturelle Transformation, etwa in der agilen Zusammenarbeit unserer Mitarbeitenden und die Fähigkeit, hybride Szenarien im Unternehmen effizient zu bedienen.

Wie will sich Swisscom als IT-Dienstleisterin gegen die Tech-Giganten positionieren?

Was uns auszeichnet, ist die Nähe zu unseren Kunden und die Kontinuität unserer Dienstleistungen. Dies stärkt das Vertrauensverhältnis. Wir punkten zudem durch Projekt­erfahrung, Branchenwissen und eine fundierte Beratung. Hinzu kommen unsere sicheren und hochverfügbaren Rechenzentren. Sie stehen in der Schweiz und werden in der Schweiz betrieben. Dies ist für besonders sensible Daten ein zentraler Faktor, um den Anforderungen der Gesetzgebung und Datensouveränität zu entsprechen.

Welchen Stellenwert wird Ihr Bereich, also das Geschäft mit Businesskunden, in fünf Jahren im Swisscom-Konzern haben? Welche Entwicklung prognostizieren Sie?

Der Markt für IT-Dienstleistungen wird nach Auffassung von Marktexperten in den nächsten Jahren in der Schweiz wachsen. Ein Treiber ist die zunehmende Digitalisierung und damit verbunden der steigende Einsatz von ICT in zahlreichen Branchen. Hier steht das B2B-Geschäft im Vordergrund. Entsprechend hat Swisscom im IT-Bereich für Geschäftskunden weiter ambitionierte Wachstumsziele – und für das laufende Geschäftsjahr sind wir auf Kurs. 

Welche Trends sehen Sie für das ICT-Jahr 2023 ­wirtschaftlich und technologisch auf Mikro- und ­Makroebene? 

Der Wunsch nach Remote Working nimmt weiter zu und erfordert hybride Arbeitsformen. Mit der Nutzung neuer Technologien steigt die Relevanz eines starken Breitband- und 5G-Mobile-Netzes weiter an. Dieses braucht es auch für die zunehmende Verbreitung von hybriden Cloud-Lösungen. Der Wettbewerb im Public-Cloud-Geschäft wird mit den fortschreitenden Preiserhöhungen weiterhin dynamisch bleiben. Die Zunahme der Cyberangriffe wird anhalten. Damit kommt der Geschäftsfortführung im Ereignisfall sowie dem Schutz von IT-Infrastruktur und Unternehmensdaten oberste Priorität zu. Wertschöpfungsketten werden zunehmend über Sensoren vernetzt, Lieferketten digitalisiert und Nachhaltigkeitsinitiativen in Form von ESG-Zielen auf Lieferketten ausgedehnt. Die Auseinandersetzung damit erachte ich als sehr relevant. 

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