Interview mit Christine Antlanger-Winter

Wie Google die Informationen dieser Welt für wirklich alle zugänglich machen will

Uhr
von Coen Kaat

Google hat Grund zum Feiern: Die Schweizer Niederlassung wird in diesem Jahr 20 Jahre alt. Was das Unternehmen für das Jubiläum plant, verrät Christine Antlanger-Winter. Im Interview sagt die Schweiz- und Österreich-Chefin von Google ausserdem, wie sich KI auf den Arbeitsmarkt auswirkt und wie man mehr Frauen für IT begeistern könnte.

Christine Antlanger-Winter, Country Director Switzerland und Regional Director Austria & Switzerland, Google. (Source: Netzmedien)
Christine Antlanger-Winter, Country Director Switzerland und Regional Director Austria & Switzerland, Google. (Source: Netzmedien)

Sie haben vor rund einem Jahr die Leitung von Google in der Schweiz übernommen. Wie ist Ihnen dieses erste Jahr in Erinnerung geblieben?

Christine Antlanger-Winter: Es war ein spannendes erstes Jahr. Wir nehmen uns vor, ein offener und guter Partner für die Schweiz zu sein. Dieser Anspruch prägte natürlich auch das vergangene Jahr. Entsprechend haben wir mit den verschiedensten Partnern viele Projekte umgesetzt. Wir haben auch vielen Unternehmen geholfen, weiter zu wachsen, in andere Länder zu expandieren und ihre Resilienz zu stärken. Zudem pflegen wir mit unseren Hochschulpartnern und den hiesigen Behörden einen sehr regen Austausch. Wir führen beispielsweise mit dem AWA Zürich gemeinsame Jobscoutings durch. So wollen wir die Schweiz und auch Zürich als IT- und Technologiestandort fördern.

Was reizte Sie daran, die Leitung in der Schweiz zu ­übernehmen?

Die Schweiz ist für Google ein unglaublich spannender Standort. Mit rund 5000 Mitarbeitenden ist es einer der grössten Engineering-, Research- und Development-Standorte von Google in Europa. Entsprechend decken unsere hiesigen Teams ein sehr breites Feld von unterschiedlichen Themen ab. So entwickeln wir in Zürich unter anderem Search, Youtube und Google Maps mit und weiter. Zu den aktuellen Projekten zählen etwa die klimafreundlichen Routen, die in Google Maps angeboten werden, oder dass Fahrradrouten nun besser angezeigt werden. Mein Fokus liegt darauf, das Beste aus diesem Innovationspotenzial herauszuholen und gemeinsam mit unseren Schweizer Partnern zu verwirklichen.

Können Sie noch mehr Beispiele nennen, woran die Teams gerade arbeiten?

Viele Teams, die mitunter an unserer künstlichen Intelligenz (KI) Gemini mitarbeiten und forschen, sitzen ebenfalls hier in Zürich. Unsere Produkte sollen den Nutzerinnen und Nutzern eine Hilfe im Alltag sein – hierbei spielt KI schon seit vielen Jahren eine grosse Rolle. Wir setzen bei der Forschung in den Bereichen Medizin und Klima auf KI. Wir arbeiten etwa gemeinsam mit der Swiss an einem KI-Projekt. Mit der Technologie konnte die Fluggesellschaft in verschiedenen Bereichen ihre Produktivität steigern und innerhalb von einigen Wochen eine Million Franken einsparen. Das zeigt, wie wichtig diese Zusammenarbeit mit den Unternehmen ist. Wir tragen dazu bei, dass sich dieses Ökosystem in Zürich weiterentwickeln kann. Das sieht man auch an den über 110 Start-ups, die von ehemaligen Google-Mitarbeitenden in der Schweiz gegründet wurden. Diese Jungunternehmen wiederum haben hierzulande rund 1700 Stellen geschaffen.

Wie verändert KI die Art, wie wir arbeiten, beziehungsweise wie wir zusammenarbeiten?

Aufgrund der Fortschritte, welche die KI derzeit macht, und der resultierenden Aufmerksamkeit, die das Thema nun erhält, beginnen wir nochmal ganz neu darüber nachzudenken. KI, beziehungsweise Machine Learning, steckt schon seit Jahren in vielen Produkten – etwa in der Bildersuche. Unser CEO Sundar Pichai sagte bereits 2016 an einer I/O-Entwicklerkonferenz, dass Google eine «AI-first company» sei. Nun hat sich die Auseinandersetzung mit dem Thema deutlich verändert. Entwicklungen wie generative KI erlauben es uns als Gesellschaft, ganz andere Möglichkeiten zu nutzen und Arbeitsprozesse neu zu definieren.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

E-Commerce-Unternehmen müssen beispielsweise nicht mehr sämtliche Produktbeschreibungen von Hand erstellen; nun kann ein KI-Tool Vorschläge für eine Vielzahl von Produkten automatisiert verfassen, die dann nur noch geprüft werden müssen. Das wirkt sich natürlich auf die Arbeitsprozesse aus und darauf, wie wir Teams aufstellen. Wir sind alle noch dabei, herauszufinden, wo hier die Möglichkeiten sind, die wir nutzen könnten und sollten. In dieser AI-first-Welt ist es wichtig, das Fundament dafür zu legen, dass diese KI-Tools für uns nützlich sind. Google nahm 2018 diesbezüglich eine Vorreiterrolle ein, als wir unsere KI-Prinzipien veröffentlichten.

Was sind das für Prinzipien?

Diese Sammlung von Grundsätzen ist das ethische Grundkonstrukt, auf Basis dessen wir bei Google KI-Technologien entwickeln und anwenden. Die ersten vier Punkte dieser Prinzipien thematisieren den Nutzen für die Gesellschaft, die Vermeidung von Voreingenommenheit, die Sicherheit bei der Entwicklung und beim Einsatz von KI sowie die menschliche Verantwortlichkeit. Ich halte es für wichtig, diese Aspekte immer mitzudenken. Ein schönes Beispiel dafür, wie KI den Menschen helfen kann, ihren Alltag noch besser zu meistern, ist unser Smartphone ­Pixel  8. Unser Google-Pixel-Portfolio zeichnet sich nicht nur durch das Design aus, sondern vor allem durch hilfreiche KI-Funktionen, wie etwa Funktionen zur Bildbearbeitung. Dies wurde auch am Mobile World Congress in Barcelona gewürdigt: Das Pixel 8 Pro erhielt die Auszeichnung als «Phone of the Year».

Wie wird sich KI auf den Arbeitsmarkt auswirken?

Der technische Fortschritt ist seit jeher eine Konstante in der Entwicklung unserer Arbeitswelt. Auch in der Vergangenheit führte dieser zur Veränderung von Unternehmen und Berufen – und damit auch zu Veränderungen des Arbeitsmarktes selbst. Mit den aktuellen Entwicklungen im Bereich KI und der Automatisierung werden einerseits in der Tech-Branche zutiefst menschliche Elemente unserer Arbeit, wie Kreativität, Innovationsfähigkeit und das Verstehen komplexer Zusammenhänge, bedeutender. Andererseits spielen digitale Produkte und Technologien heute eine immer wichtigere Rolle in Arbeitsabläufen generell. So ist beispielsweise die Brustkrebsfrüherkennung dank KI sehr effizient geworden. Ärzte können ihre Zeit so anderen Themen widmen. Ich bin zuversichtlich, dass wir alle, ob im Alltag oder im Berufsleben, zunehmend von KI-gestützten Innovationen werden profitieren können. Wir sind derzeit als Gesellschaft dabei, die Chancen und Risiken dieser neuen Technologien zu verstehen und dieses Verständnis zu nutzen, um diese bestmöglich und verantwortungsvoll einzusetzen.

Was steht 2024 auf dem Programm?

Etwas sehr Erfreuliches: In diesem Jahr feiern wir 20 Jahre Google Schweiz. Es sind anlässlich dieses Jubiläums einige Ankündigungen geplant – sowohl neue Produkte als auch eine Partnerschaft mit dem ETH AI Center zur technologischen Unterstützung von Start-ups. Und Mitte Mai haben wir unser Accessibility Discovery Center (ADC) in Zürich eröffnet. Es ist ein physischer Raum und Begegnungsort, an dem Menschen mit und ohne Behinderung zusammenkommen können, um Technologien zur Unterstützung von mehr Barrierefreiheit erlebbar zu machen und gemeinsam die nächste Generation bar­rierefreier Technologie zu gestalten.

Was motiviert Google, sich in diesem Bereich zu ­engagieren?

Unsere Mission ist es, die Informationen dieser Welt für alle zugänglich und hilfreich zu machen. Und zwar wirklich für alle – das steckt tief im Kern unserer Produkte. Jede Person soll denselben Zugang zu allen Informationen erhalten. Deshalb ist es wichtig, an die Hürden zu denken, die der Barrierefreiheit im Weg stehen. Aus demselben Grund unterstützen wir in Zürich auch die Digi-Cafés der Nachbarschaftshilfe. Diese richten sich an ältere Personen, denen es nicht so leichtfällt, mit den technologischen Entwicklungen Schritt zu halten. Da immer mehr Alltagsaufgaben digital abgewickelt werden, beispielsweise das Kaufen von Zugtickets, wird dies zunehmend wichtiger. Mit diesen Cafés wollen wir Menschen helfen, den Anschluss an die Gesellschaft nicht zu verlieren.

Frauen sind in der IT-Branche klar unterrepräsentiert – vor ­allem in Führungspositionen. Viele sind schnell darin, mit dem Finger auf mögliche Ursachen dafür zu zeigen. Was sind aber ­Ihrer Meinung nach die möglichen Lösungen?

Das ist ein Thema, das mir wirklich sehr am Herzen liegt. Ich habe selbst ein technisches Studium absolviert und ich glaube, wenn wir das Problem lösen wollen, müssen wir schon beim Zugang zu diesen Themen ansetzen. Der Zugang sollte sich nicht nur auf ohnehin schon technisch interessierte Menschen beschränken, sondern viel breiter sein. Auch in der Schweiz werden Jungs oft technologisch mehr gefördert, das hängt auch mit gesellschaft­lichen Erwartungshaltungen zusammen. Das heisst nicht, dass Mädchen und junge Frauen keinen Zugang zu diesen Themen finden können. Aber dieser Zugang findet nicht auf derselben Basis statt. Ich spreche hier auch ein wenig aus persönlicher Erfahrung.

Können Sie das noch ein wenig vertiefen?

Ich hatte auch keine Prägung oder keinen besonderen Zugang zur Technologie, bevor ich mit meinem Studium begann. Ich hatte mich für meine Studienrichtung interessiert, weil sie «Medientechnik und Mediendesign» hiess. Ich wurde also dort abgeholt, wo meine Interessen bereits lagen und kam quasi über einen Umweg in die Technologiewelt. Über dieses Studium lernte ich aber auch Themenbereiche wie Software Engineering und Computer Science kennen. Wir sollten viel mehr in solchen interdisziplinären Kombinationsstudien denken und auch in anderen Fachrichtungen ein technisches Curriculum einbauen. Dies würde auch unter den Männern die Diversität erhöhen, denn nicht alle Männer interessieren sich per se für technologische Themen. Das wäre ein Lösungsansatz, der gar nicht so viel Energie erfordert – nicht nur beim Studium, sondern auch bei der Berufsbildung.

Was macht Google in diesem Bereich?

Wir setzen uns stark für das Thema «Women in Tech» ein. Einerseits engagieren wir uns bei den Ausbildungen und arbeiten dafür mit Hochschulen zusammen. Wir bieten aber auch andererseits eigene Programme für Auszubildende an. Dabei stellen wir sicher, dass sich Mädchen auch beispielsweise Bereiche wie Applikationsentwicklung ansehen können. Indem wir es ermöglichten, diese Themen vorab auf einfache Art und Weise kennenzulernen, konnten wir tatsächlich den Anteil an weiblichen Lernenden bei Google Schweiz erhöhen. Andererseits wollen wir natürlich Vorbilder fördern und versuchen, mit gutem Beispiel voranzugehen. Zu diesem Zweck unterstützen wir Hackathons und Schnuppertage – also Veranstaltungen, bei denen es um einen Austausch geht. Ausserdem arbeiten wir auch in unserem Unternehmen daran, eine Kultur zu schaffen, die Diversität ermöglicht und in der sich auch Frauen in einem technischen Umfeld wohlfühlen. Wir wollen jungen Frauen diesen Mut, diese Neugierde und diesen Willen zeigen, auch einmal etwas auszuprobieren.

Eine Frau in einer Führungsposition wird in der Regel automatisch in eine Vorbildrolle gedrängt. Sehen Sie das mehr als Chance oder als Verantwortung? Und wie gehen Sie damit um?

Prinzipiell glaube ich, dass jede Führungskraft eine Vorbildrolle hat. Diese wahrzunehmen, ist immer Chance und Verantwortung zugleich. Ich versuche, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Wenn ich mir anschaue, wo wir als Gesellschaft stehen und wie sich diese verändert, nehme ich diese Rolle gerne ein, um junge Frauen zu unterstützen und ihnen zu zeigen, was alles möglich ist.


Zur Person
Christine Antlanger-Winter ist Country Director von Google Switzerland und Regional ­Director Switzerland and Aus­tria. Davor war sie Country Director von Google Austria. Vor ihrem Wechsel zu Google war sie CEO der Media-Agentur Mindshare mit Sitz in Wien, wo sie zuletzt das Gesamtgeschäft verantwortet hatte. Sie hat einen Abschluss als Diplom-Ingenieurin in Software-­Engineering im Bereich Medientechnik/-Design der FH Hagenberg. Quelle: Google

Webcode
2TD6i6iS