Nachgefragt

Warum es einen Datenstandard für medizinische Beschwerdebilder braucht

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von Interview: Pascal Sieber, Sieber & Partners

Barbara Biedermann ist Ärztin, Wissenschaftlerin, Softwaredesignerin und Visionärin. Mit der von ihr entwickelten ­«COBEDIAS»-Methode werden einfache Daten aus der allerersten Begegnung mit Patientinnen und Patienten strukturiert, dokumentiert und ­auswertbar. Warum das nötig ist, sagt Biedermann im Interview.

Barbara Biedermann ist Ärztin, Wissenschaftlerin, Softwaredesignerin und Visionärin. (Source: zVg)
Barbara Biedermann ist Ärztin, Wissenschaftlerin, Softwaredesignerin und Visionärin. (Source: zVg)

Unser Gesundheitswesen ist schon enorm leistungsfähig. ­Dennoch gibt es Kritik an der heutigen Situation. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Barbara Biedermann: Wir können uns als Schweiz unser heutiges Gesundheitswesen nur leisten, weil wir klein und reich sind. Der Reichtum hilft, die dysfunktionale Digitalisierung im Gesundheitswesen händisch zu beheben. Die Kleinheit macht Reparaturwege kurz und lässt teure Work­arounds nicht ins Uferlose eskalieren – lange geht das aber nicht mehr gut. Das Hauptproblem aus meiner Sicht: Wir verlieren den besten Nachwuchs, weil er sich eine dysfunktionale Digitalisierung nicht bieten lässt. Damit sind wir beim Fachkräftemangel angekommen. Zudem verlieren wir ohne international kompatible und interoperable Daten den Anschluss an die moderne, personalisierte Medizin der Zukunft.

Mit "COBEDIAS" verwirklichen Sie eine visionäre Idee. Wie ­formulieren Sie Ihre Idee, Ihre Vision für das "Gesundheits­management" der Zukunft?

"COBEDIAS" steht für "comprehensive bedside diagnosis". Diese Methode basiert auf der umfassenden, klinisch-medizinischen Sicht auf einen Menschen, um ihn medizinisch ganzheitlich zu verstehen. Dieses vollständige Bild einer Person gewinnt man als Ärztin mit einem sorgfältig und aufmerksam durchgeführten Gespräch und einer einfachen, händischen körperlichen Untersuchung. Inhaltlich haben wir das nicht neu erfunden – es stellt die Basis der abendländischen Schulmedizin dar. Aber wir haben mit der Digitalisierung dieses Prozesses einen Beitrag geleistet, damit die Daten aus der klinischen, umfassenden Untersuchung einer Person in ihren digitalen, persönlichen Datenteppich einfliessen können. Eigentlich sollten diese Daten immer am Anfang einer klinischen Fragestellung – eines Symptoms oder eines Gesundheitsproblems – stehen. Die Digitalisierung dieser Daten trägt entscheidend dazu bei, dass ich mich nicht nur auf meine eigene Erfahrung verlassen muss, sondern, dass ich von meinen Kolleginnen und Kollegen laufend lernen kann.

Sie wollen die Leistung der Medizin verbessern und dazu sind Daten ein wichtiger Treiber. Um welche Art von Daten geht es?

Aus meiner Sicht sind es die ganz einfachen Daten, die uns heute fehlen, um die Medizin in eine neue Sphäre zu bringen. Sobald technische Instrumente zur Beschreibung des Gesundheitszustandes verwendet werden – Laborgeräte, Elektrokardiogramme oder Röntgenapparate –, verfügen wir heute schon über strukturierte Daten. Wie aber erfassen wir das Beschwerdebild und die Symptome von Patientinnen und Patienten? Immer noch weitgehend in einem unstrukturierten Freitext. Nur wenn es uns gelingt, hier eine gewisse Strukturierung und einheitlich standardisierte Dokumentationsweisen einzuführen, können wir auch auf den allerfrühesten Daten basieren, um das Entstehen von Krankheit zu verstehen. Auch Gesundheit selbst, nicht nur Krankheit, lässt sich nur mit der strukturierten und standardisierten Erfassung von Daten zur Befindlichkeit und zum Zustand eines Menschen beschreiben. In diesem Sinne: "Big data is small data".


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