Focus: E-Partizipation

Was eine Behörde für ein erfolgreiches E-Partizipationsprojekt braucht

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Caroline Brüesch leitet das Institut für Verwaltungs-Management an der ZHAW. Im Interview spricht sie über den Stand der digitalen Partizipation in der Schweiz und erklärt, was eine ­Behörde für ein erfolgreiches E-Partizipationsprojekt braucht.

Caroline Brüesch, Leiterin des Instituts für Verwaltungs-Management, ZHAW. (Source: Stephan Fässler - fotofaessler.ch)
Caroline Brüesch, Leiterin des Instituts für Verwaltungs-Management, ZHAW. (Source: Stephan Fässler - fotofaessler.ch)

Wo steht die Schweiz bezüglich E-Partizipation heute?

Caroline Brüesch: Grundsätzlich ist zwischen der E-Partizipation auf politischer Ebene und bei digitalen Behördendienstleistungen zu unterscheiden – auch wenn diese Abgrenzung nicht immer trennscharf möglich ist  – etwa bei der partizipativen Entwicklung eines Gesamtverkehrskonzepts. Ferner gibt es verschiedene Stufen von digitaler Partizipation – von reinen Informationen, etwa webbasierte Informationen, Mails oder soziale Medien, bis hin zur Mitentscheidung, Stichwort E-Voting. Auf politischer Ebene haben gemäss der nationalen E-Government-Studie aus dem Jahr 2022 lediglich 6 Prozent der Bevölkerung elektronische Kanäle zur politischen Mitwirkung in ihrer Wohngemeinde oder ihrem Kanton genutzt, währenddem fast 60 Prozent noch nie einen solchen Kanal verwendet haben und auch keinen Bedarf dafür sehen. Gut ein Viertel hat noch nie einen elektronischen Kanal genutzt, würde dies aber gerne tun, beziehungsweise plant die Verwendung eines solchen Kanals zur politischen Mitwirkung. Dies deutet darauf hin, dass in der Bevölkerung ein Interesse an E-Partizipation vorhanden ist. Gemäss UN E-Government-Survey aus dem Jahr 2020 ist die Schweiz im Vergleich zu 2018 um 23 Plätze gestiegen und belegt mittlerweile Rang 18 von insgesamt 193 Ländern. Die digitale politische Partizipation in der Schweiz entwickelt sich folglich langsam und weist gemäss dem "DigiPart"-Index zwischen den Kantonen grosse Unterschiede auf. Einige Kantone und Gemeinden bieten digitale Partizipa­tionsmöglichkeiten an, etwa die Städte Luzern (dialogluzern.ch), Lausanne (participer.lausanne.ch) und Zürich (quartieridee.ch) oder auch der Kanton Genf (participer.ge.ch). Digitale Behördendienstleistungen nimmt die Bevölkerung grundsätzlich eher selten aktiv in Anspruch, und dann wohl eher als Nutzende und weniger als Partizipierende.

Ihr Forschungsprojekt "Partizipation neu denken" befasst sich mit den Beteiligungsmöglichkeiten in politischen Prozessen und Behördenprozessen im Kanton Zürich. Weshalb muss Partizipation neu gedacht werden?

Einerseits eröffnet die technologische Entwicklung neue Formen der Partizipation, die es ermöglicht, grosse Bevölkerungsgruppen zu geringen Kosten zu erreichen und in politische Prozesse und Behördendienstleistungen einzubeziehen. Andererseits führt der gesellschaftliche Wandel dazu, dass verstärkt auch Personen in Partizipationsprozesse einbezogen werden sollen, die bisher davon ausgeschlossen waren – etwa Kinder bei der Gestaltung von Kinderspielplätzen, Pendler und Gewerbetreibende in städtischen Gebieten ohne eigenen Wohnsitz oder Personen ohne Schweizer Bürgerrecht. Partizipative Ansätze sind jedoch nur dort sinnvoll, wo diese erstens einen Nutzen generieren und zweitens gleichzeitig der damit verbundene Aufwand für die Verwaltung und die Beteiligten in einem angemessenen Verhältnis steht. Der vom Institut für Verwaltungs-Management der ZHAW mit Einbezug von Expertinnen und Experten entwickelte Partizipationsbaukasten soll als Anleitung dienen, um zu prüfen, ob sich ein konkretes Thema beziehungsweise Projekt für eine Partizipation eignet und wie diese Partizipation unter anderem analog, digital oder hybrid (analog-digital) gestaltet werden kann.

Wie sieht ein idealer Mix aus digitalen und analogen Beteiligungsmöglichkeiten aus?

Dieser Mix hängt von verschiedenen Rahmenbedingungen und Kriterien ab. Bei den übergeordneten Rahmenbedingungen geht es darum, die Bedürfnisse nach einer Partizipation, die Wertvorstellung der Gesellschaft bezüglich dieser Partizipation, die politischen und rechtlichen Vorgaben sowie die zur Verfügung stehenden Ressourcen zu klären. Erst wenn diese Rahmenbedingungen eine Partizipation ermöglichen, ist in einem weiteren Schritt zu klären, ob eine digitale, analoge oder eine Mischform von digitaler und analoger Partizipation sinnvoll ist. Dazu sind verschiedene Kriterien zu berücksichtigen, etwa die Komplexität der Thematik, der Grad der Betroffenheit und auch, was überhaupt das Ziel der Partizipation sein soll. Ferner ist es ein Unterschied, ob es darum geht, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten (eher analog oder analog-digital) oder über verschiedene Optionen zu entscheiden (sowohl analog als auch digital). Natürlich sind auch die Skills der Betroffenen bei diesen Überlegungen einzubeziehen. Bei der partizipativen Gestaltung eines Kinderspielplatzes sind etwa Kinder und Erwachsene mit unterschiedlichen Partizipationsformen einzubeziehen.

Allgemein geht die politische Partizipation im Land zurück. Inwiefern können elektronische Partizipationsmöglichkeiten helfen, diesem Trend entgegenzuwirken?

In unserer Studie haben wir festgestellt, dass nicht oder nicht ausschliesslich die Form der Partizipation – analog, digital oder in einer Mischform – entscheidend ist, ob sich eine Person an einem Partizipationsprozess beteiligt, sondern die persönliche Betroffenheit und unter anderem der damit verbundene Aufwand.

Welche Massnahmen können ergriffen werden, um die Partizipation der Bevölkerung zu erhöhen?

Dazu müssen wir zuerst betrachten, was der Ausgangspunkt ist. Allgemein sind wir es in der Schweiz auf allen Ebenen und in vielen Bereichen gewohnt, uns einzubringen, etwa in Vernehmlassungsverfahren oder mit Petitionen, mitzuwirken, etwa bei grossen Partizipationsprojekten in Städten, oder auch mitzuentscheiden bei Abstimmungen und Wahlen auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene. In Interviews weisen uns deshalb ausländische Experten darauf hin, dass die Schweiz traditionell eine ausgeprägte Partizipationskultur lebt. Das ist allenfalls auch eine Erklärung dafür, dass ein gesellschaftliches Bedürfnis nach noch mehr Partizipation weniger wahrgenommen wird.

Welche Rolle spielen soziale Medien und Onlineplattformen bei der Förderung der Partizipation?

Dieses Thema ist sehr weitläufig und komplex. Was unsere Bevölkerungsbefragung im Kanton Zürich zeigt, ist, dass die Befragten der Ansicht sind, eine digitale Partizipation erreiche Jugendliche besser. Eine weitere Erkenntnis der Studie ist, dass Jugendliche sich eher an partizipativen Prozessen beteiligen, wenn sie einen solchen Aufruf über ihr persönliches Netzwerk oder über vertraute Personen erhalten. In diesem Zusammenhang können soziale Medien und Onlineplattformen sicher eine Rolle spielen.

Wie können digitale Partizipationskanäle so gestaltet werden, dass sie auch für ältere Menschen zugänglich und attraktiv sind?

Wir haben in einer Online-Bevölkerungsumfrage festgestellt, dass die erste Person, die unseren Fragebogen beantwortet hat, eine 86-jährige Frau war. Gleichzeitig berichten dänische Behördenvertreter, dass sie Jugendliche nicht mehr mit E-Mails erreichen, weil diese nur auf Instagram oder X unterwegs sind. Es ist wichtig, dass mit partizipativen Verfahren keine Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen werden. Aus diesem Grund kann es notwendig sein, neben einem digitalen Kanal auch einen analogen Kanal zur Partizipation anzubieten. Das erhöht zwar den Aufwand, aber gleichzeitig besteht in der Schweiz eine hohe gesellschaftliche Werthaltung, durch die Digitalisierung etwa ältere Menschen nicht von einer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben auszuschliessen.

Welche drei Tipps würden Sie Behörden geben, die einen partizipativen Prozess mit der Bevölkerung starten möchten?

Persönlich würde ich immer zuerst die Frage stellen, was mit der Partizipation erreicht werden soll. Geht es darum, eine möglichst hohe Beteiligung sicherzustellen und damit die Legitimität eines Verfahrens oder eines Entscheids zu erhöhen, oder dient ein Partizipationsprozess dazu, die Qualität eines Ergebnisses  – etwa durch Befragung von Expertinnen und Experten – zu erhöhen. Als Zweites würde ich die Betroffenheit thematisieren. Denn ohne eine hohe Betroffenheit der Bevölkerung oder zumindest eines Teils der Bevölkerung wird eine grössere Beteiligung an einem Partizipationsprozess nicht gelingen. Letztlich stellt sich die Frage nach dem Partizipationskanal, das heisst, ob analog, digital oder gemischt analog-digital, erst nachgelagert.

Wie können Partizipationsprozesse so gestaltet werden, dass sie effizient und effektiv sind?

Allgemein haben sich Partizipationsprozesse an den vorhin erwähnten Rahmenbedingungen, insbesondere auch den zur Verfügung stehenden Ressourcen, zu orientieren sowie den Fokus auf das Ziel der Partizipation zu setzen.

Seit den eidgenössischen Wahlen von 1975 lagen schweizweite Wahlbeteiligungen stets unter 50 Prozent. Glauben Sie, dass ein schweizweit verfügbares E-Voting dazu beitragen kann, die Quote wieder ansteigen zu lassen?

Ergebnisse in Studien deuten nicht darauf hin, dass die Einführung des E-Votings zu einer höheren Stimmbeteiligung führen würde. Eine Ausnahme dazu bildet ein E-Voting bei Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern. Bei diesen wird angenommen, dass die Stimmbeteiligung um 4 bis 6 Prozentpunkte steigen würde.

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