Warum Chatbots die neuen Apps sind
Facebook und Microsoft haben dieses Jahr verkündet, dass Unternehmen ihre Dienstleistungen nun über Chatbots anbieten könnten, die in Facebook Messenger oder Skype integriert sind. So bräuchten Firmen in Zukunft keine Apps mehr zu entwickeln. Was wie Zukunftsmusik klingt, setzen einige Schweizer Unternehmen bereits um.
Im Frühling dieses Jahres haben Facebook und Microsoft an ihren Entwicklerkonferenzen "F8" respektive "Build" für Aufhorchen gesorgt. Chatbots sollen Apps den Rang ablaufen. Solche Chat-Programme sind nichts Neues. Die Technologie gibt es bereits seit den 60er-Jahren. Nun sollen sie neu aber für Unternehmen Dienstleistungen und Produkte an den Mann und die Frau bringen. Facebook und Microsoft öffneten deshalb ihre Messaging-Apps für die Chatbots von Unternehmen und gingen sogleich zahlreiche Partnerschaften ein, etwa mit CNN, Uber oder der Fluggesellschaft Icelandair. Kunden können nun über den Chatbot der Fluglinie Flüge buchen, anstatt dies auf der Website, im Callcenter oder mit der App zu tun. Dazu brauchen sie in der Facebook-Messenger-App im Suchfeld lediglich "Icelandair" einzugeben und den Account, der unter "Bots und Unternehmen" erscheint, wie jeden Kontakt anzuschreiben. Bei Bedarf kann der Bot Kunden auch direkt an einen Berater weiterleiten.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt KLM. Bei der niederländischen Airline haben Kunden nach der Buchung die Möglichkeit, Flugdokumente wie den Boardingpass über den KLM-Chatbot im Facebook Messenger zu erhalten. Wer mit seinem Sitz nicht zufrieden ist, kann den Bot nach einem anderen Platz fragen.
Facebook und Microsoft sind aber nicht die einzigen Unternehmen, die dem Chatbot-Trend folgen. 2013 öffnete der chinesische Internetkonzern Tencent seine Chat-App "WeChat" mit ihren 300 Millionen Nutzern für Bots von Unternehmen. Und auch die Messenger-Apps Slack und Telegram integrierten Chatbots.
Baukästen für Entwickler
Für die Entwicklung der Bots lancierten Facebook wie Microsoft eine Plattform. Auf der "Facebook Messenger Platform" beziehungsweise dem "Microsoft Bot Framework" können die Unternehmen ihre eigenen Bots entwickeln. Hierfür greifen Entwickler auf Tools wie Codes, Links und Plug-ins zu. Anschliessend publizieren sie den Bot auf der Plattform und beantragen die Einbindung in die gewünschte Messenger-App.
Seit dem Launch der Plattform von Facebook lancierten Nutzer nach Angaben des Unternehmens über 11 000 Chatbots (Stand Ende Juni 2016).
Vorteile für User wie für Unternehmen Sascha Corti, Entwickler bei Microsoft Schweiz, sieht die schnelle Abfrage von Informationen als klaren Vorteil der Chatbots. Nutzern werde auf diese Weise die Geduldsprobe in der Warteschleife eines Callcenters oder langes Durchklicken auf einer Website erspart, um zu den gewünschten Informationen zu kommen. Hamza Harkous, Forscher am Laboratory of Distributed Information Systems LSIR an der EPFL, betont zudem, dass Bots den Usern eine einfache und intuitive Chat-Oberfläche böten, die sie bereits kennen.
Für Unternehmen ist ein Chatbot einfacher und auch kostengünstiger zu entwickeln als eine App. Ein kostspieliges Design etwa fällt gänzlich weg, da es bei einem Chatbot lediglich ein Eingabe- und Ausgabefeld gibt. Corti selbst entwickelte einen Test-Bot über das Bot-Framework von Microsoft. Den Bot, der einfache Abfragen zum SBB-Fahrplan beantwortet, konnte Corti seinen Angaben nach in wenigen Stunden entwickeln. Unternehmen können laut Corti zudem Kosten im Support sparen, wenn Bots anstelle von gut qualifizierten Mitarbeitern einfache Kundenanfragen beantworten. Und auf diese Weise ihre Ressourcen besser einteilen. Heike Simmet, Professorin an der Hochschule Bremerhaven, ist deshalb überzeugt, dass eine weitere Automatisierungswelle im Kundenservice nicht zu vermeiden ist.
Ein weiterer Vorteil der Chatbots ist laut Harkous, dass Unternehmen ihre Dienstleistungen dort anbieten können, wo die meisten Nutzer sind. Und diese sind in den Messaging- und Social-Network-Apps. Facebook Messenger etwa verzeichnet 1,71 Milliarden monatliche User weltweit (Stand: Ende Juni 2016). So viele Nutzer könnten Unternehmen mit ihrem Chatbot, der in den Messenger integriert ist, theoretisch erreichen. Auch für User ist es einfacher, einen Chatbot in der Messaging-App anzuchatten, die sie bereits auf ihrem Smartphone installiert haben, statt eine neue App herunterladen zu müssen.
Chatbots könnten Apps verdrängen
Aufgrund der Vorteile, die Chatbots gegenüber Apps bieten, wird bereits spekuliert, ob dies nun das Ende der Apps bedeute. "Bots sind die neuen Apps", sagte Microsoft-CEO Satya Nadella an Microsofts Entwicklerkonferenz. Marktforscher wie Forrester und Gartner zeigen, dass die meisten Smartphone-User 90 Prozent ihrer Zeit nur fünf Apps widmen, die meisten davon Messenger-Apps. Laut dem Wirtschaftsportal Businessinsider verzeichnen Messaging-Apps erstmals mehr monatlich aktive User als die sozialen Netzwerke.
Als weiteres Argument für den Erfolg der Chatbots dient die Einschätzung von Deloitte, dass bis zum Jahr 2020 90 Prozent der 100 besten Enterprise-Software-Unternehmen eine oder mehrere kognitive Technologien wie etwa Microsofts Sprachassistentin Cortana oder IBMs Watson integriert haben werden. Die kognitive Technologie findet ihren Einsatz bei Chatbots in der Spracherkennung. "Gewisse Marktanalysten gehen davon aus, dass sich um Chatbots ein Multi-Milliarden-Dollar-Markt aufbauen wird", sagt Harkous.
Schweizer Unternehmen investieren in Chatbots
Auch Schweizer Unternehmen haben die Vorteile von Chatbots erkannt. Doodle sieht auf dem Gebiet der Chatbots eine rasante Entwicklung und will mithalten. Der Anbieter des berühmten Terminplaners gab kürzlich bekannt, das israelische Start-up Meekan aufgekauft zu haben, das einen Chatbot zur Terminfindung entwickelt hat. Simon Marquard ist Digital Communication Manager bei der Mediengruppe Tamedia, die Doodle im Herbst 2014 übernahm. Er sieht die Integration des Chatbots als nächsten Entwicklungsschritt für Doodle. Der Bot erlaubt verschiedenen Teilnehmern einen schnellen und automatischen Abgleich der Kalender und ist darüber hinaus lernfähig.
Auch die Suchplattformen Local.ch und Search.ch von Swisscom Directories prüfen derzeit im Research-Center an der EPFL, ob ein Chatbot für ihre Kunden nützlich sein könnte. Dies ist laut François Bochatay, Head of New Business Lab bei Local.ch und Search.ch, nur dann der Fall, wenn die User dank des Chatbots schneller und einfacher an die gesuchten Informationen gelangen. Um dies zu testen, hat Search.ch auf dem Facebook Messenger drei Chatbots lanciert, die jeweils Informationen zu Fahrplan, Kinoprogramm und Wetter liefern. Zurzeit befinden sich die Bots noch in der Beta-Phase, können aber bereits getestet werden, wie ein Search.ch-Sprecher mitteilt.
Neue Technologie birgt neue Risiken
Wie nachhaltig der Hype um Chatbots auch in der Schweiz sein wird, hängt laut Harkous davon ab, ob Schweizer Softwareunternehmen in den Bots Potenzial erkennen, wie das etwa Doodle tut. Das Ökosystem der Schweizer Softwareunternehmen übernehme neue und ungetestete Ideen nicht so schnell wie etwa das Silicon Valley, sagt Harkous. Deswegen werde der Prozess wohl etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen.
Für generelle Abfragen via Chatbots von Wetterdaten oder Börsenkursen sieht Corti kein Problem. Bei sensibleren Daten sei es nötig, Nutzen und Risiko gegeneinander abzuwägen. Harkous nennt diese Abwägung ein "Threat Model": Jeder User müsse für sich bestimmen, mit wem er welche Daten teile, sagt Harkous. Denn neu werden die Nutzer von Chatbots ihre Daten nicht nur mit dem Chatbot-Unternehmen teilen, wie dies bisher der Fall bei Apps war. Zwischen Unternehmen und Kunden drängt sich ein dritter Player, nämlich die Betreiber der Messenger-Apps wie Facebook, Microsoft oder Tencent. Dies hat Konsequenzen für die User, derer sie sich beim Gebrauch von Bots bewusst sein müssen.
Verständnis der natürlichen Sprache ist verbesserungswürdig
Der aktuelle Technologiestand bei Chatbots bietet zudem laut Harkous noch Entwicklungsmöglichkeiten. Viele Chatbots würden besser funktionieren, wenn sie mehr über den Kontext der Nutzer wie etwa über das persönliche Profil, Interessen oder Standorte, "wüssten". In diesem Feld seien Chatbots momentan noch eingeschränkt. Die meisten Bots haben keine kontinuierliche Zugriffsberechtigung auf die Profile, Fotos und Standorte der User oder Gerätesensoren. Damit Chatbots mit Apps konkurrieren können, müssen sie laut Harkous solche Zugriffsberechtigungen erhalten, wie das auch bei Apps der Fall ist.
Die grössten Entwicklungen bei Chatbots finden laut Harkous beim Verständnis der natürlichen Sprache statt. Es gebe einen grossen Bedarf danach, dass Chatbots die Absichten der Nutzer verstehen können, auch wenn diese nicht die Wörter gebrauchen, die der Bot "erwarte". Weiter arbeiten Entwickler daran, dass Chatbots mit Texten antworten, die jenen von Menschen ähneln. Denn bisher produzieren viele Bots vorgefertigte Sätze. Sie sollten jedoch eine grosse Auswahl an Fragen beantworten und Erkenntnisse aus Daten auf solche Fragen liefern können – ohne vorprogrammierte Antworten. Die Technik bei der Satzgenerierung von Chatbots muss also noch verbessert werden. Bots müssen die Menschen davon überzeugen, dass sie eine Unterhaltung Wert sind.
Noch steht der Gebrauch von Chatbots am Anfang. Viele Bots und Bot-Plattformen befinden sich noch im Entwicklungsstadium. Ob sich die Chat-Systeme letztlich durchsetzen werden und Websites sowie Apps für Kundenservices obsolet machen, wird sich zeigen.