Ein Mann, der für Innovation lebt
In vielen Büros ist er heute Standard. Der zweite Monitor auf dem Tisch. Es ist noch nicht lange her, da hielt man zwei oder mehr Monitore an einem einzelnen PC für Science-Fiction. Patrick Wyss änderte das.
"Die Schweiz ist das innovativste Land der Welt", sagt Patrick Wyss und hält seine rechte Handfläche vor eine schwarze, glänzende Fläche neben der Eingangstür in der Parkstrasse 1b in Schenkon. Die Fläche ist etwa so gross wie ein Fünf-Franken-Stück. Ein kaum wahrnehmbares Pfeifen ertönt und die Tür öffnet sich. "Wenn es darum geht, Innovationen umzusetzen, liegt die Schweiz allerdings weit zurück. Nicht mal auf Platz 50 kommen wir."
Patrick Wyss will das ändern. Mit aller Kraft versucht er, Bestehendes aufzubrechen und Platz für Neues zu schaffen. In seiner Firma etwa braucht niemand mehr einen Schlüssel. Es gibt auch keine Badges. Nur diese schwarzen Flächen. Venenscanner sind das. Handfläche hinhalten, eine Sekunde warten und der Drucker druckt, der Thin-Client gibt den Bildschirm frei, die Haustür öffnet sich. Wyss’ Hand schwebt wieder vor einer schwarzen Fläche. Die Türen gleiten zu, der Lift fährt in den dritten Stock.
Fast jedes Bauteil und jede Zeile Code in den Venenscannern tragen den Namen von Wyss’ Firma: BWO Systems. Nur das Herzstück, der Sensor, stammt von Fujitsu.
Die Venenscanner könnten überall sein
Die Software von BWO funktioniert so gut, dass Fujitsu selbst sie verwendet. Wyss und sein Team mussten einige grosse Hürden nehmen, um dieses Ziel zu erreichen. Ein Ziel, das in seinen Augen nur ein Zwischenhalt ist. "Ich will das als Nächstes im Auto im Einsatz haben", sagt Wyss. "Dann bin ich komplett schlüssellos."
Wyss sieht die Venenscanner eigentlich überall. Selbst im Bezahlprozess. Kontaktlose Karten und all das, was da im Moment mit Twint und dem Handy passiere, sei der völlig verkehrte Weg, sagt er.
2011 zeigten Wyss und sein Team einen Bankomaten mit Venenscanner an einer Sicherheitsmesse. "Ich habe immer gedacht, im Bankenland Schweiz wird sich das durchsetzen", sagt Wyss und schüttelt den Kopf. "In Asien und Brasilien gibt es heute zehntausende Bankomaten mit Venenbiometrie." Die ersten europäischen Länder, die die Technologie jetzt umsetzten, seien Portugal und Spanien. "Und wir als Bankenland Schweiz kriegen das nicht auf die Reihe", sagt Wyss.
Wyss ist an Zweifler gewöhnt
Für Wyss als selbsternannter Innovationstreiber ist das sehr ernüchternd. Aber auch nichts Neues. Er bekam die abwehrende Haltung und den Zweifel aus allen Ecken und Enden früh zu spüren.
Kurz nachdem er 1993 seine Firma gegründet hatte, kam ein Kunde mit einem Spezialauftrag zu ihm. Dieser Kunde wollte einen PC, an den er zwei Bildschirme anschliessen konnte. "Das hat es damals einfach nicht gegeben", erinnert sich Wyss. "Niemand konnte zwei Bildschirme an einen PC anschliessen." Wyss nahm die Herausforderung an, recherchierte und fand ein Unternehmen in England. Das baute ihm eine Grafikkarte, an die man zwei Bildschirme anschliessen konnte. Kurz darauf entwickelte das Unternehmen eine Karte mit vier Anschlüssen.
An der Orbit im September 1997 in Basel hatte BWO Systems dann einen Messestand. Vor dem Stand versammelten sich Menschen in vier, fünf Reihen, wie Wyss sagt. Allesamt bestaunten einen PC, an dem acht Bildschirme hingen. "Das war wie von einem anderen Stern." Vor allem auch, weil es Flachbildschirme waren. Fujitsu X150F, 15 Zoll Diagonale, 12 000 Franken Verkaufspreis. Pro Stück. "Die Leute sind damals völlig durchgedreht", erinnert sich Wyss. "Sie sagten, so etwas gibt es gar nicht. Das war kompletter Wahnsinn."
Wyss’ Kunde war zufrieden. Aus der Branche hagelte es aber viel Kritik. Das menschliche Hirn sei gar nicht in der Lage, so viele Informationen auf einmal zu verarbeiten, hiess es. Es sei unmöglich, sich auf zwei Bildschirme zu konzentrieren. Ganz zu schweigen von acht.
Jeden Morgen stapelten sich die Bestellungen
Den Zweiflern und Kritikern zum Trotz liessen die Kunden, Firmen wie Reuters, Bloomberg und Siemens, nicht lange auf sich warten. Siemens entwickelte mit der Multiscreen-Technologie von BWO Leitstände für Bahnhöfe und Kraftwerke. "Für uns war das eine phantastische Zeit", sagt Wyss. "Jeden Morgen, wenn ich ins Geschäft kam, lag auf dem Faxgerät eine Stapel Bestellungen. Wir mussten praktisch gar nicht akquirieren."
Die Skeptiker hielten an ihren Argumenten fest. Zu viele Informationen, zu viel Strahlung und alles, was sie sonst noch Negatives finden konnten. Wyss und sein Team waren aber überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein. Irgendwann würde sich das durchsetzen, zum Standard werden, sagten sie sich. "Mit weniger als zwei Bildschirmen kann heute fast niemand mehr arbeiten", sagt Wyss und grinst.
Im Geschäft mit den Venenscannern sieht er sich wieder auf dem richtigen Weg. Er und sein Team haben seit 2008 über 450 Projekte umgesetzt. "Wir bewegen uns in Richtung des 500. Projekts", sagt Wyss. In der Schweiz, in Deutschland und in Österreich.
Für dieses Jahr sieht Wyss ein Potenzial von 10 000 neuen Zutrittsstellen. Das entspricht etwa 2500 Kunden, wie er sagt. Pro Kunde braucht es in der Regel vier Sensoren. "Es gibt aber auch solche, die privat über 30 Sensoren verbauen." Da gehe der Komfort sehr weit. "Man kann dann alles steuern. Den Lift, Tresor, den Zugang zum Weinkeller oder zur Garage. Von A bis Z wirklich alles."
Ideen, die wie Glühbirnen verlöschen
Wieso hat sich das System noch nicht überall durchgesetzt? Fehlender Innovationswille, Zweifler und Totdiskutierer, wie Wyss sie nennt. "Ich vergleiche das immer mit einer Glühbirne", sagt er. "Die strahlt am Anfang ganz hell von der Idee. Dann wird sie stufenweise abgedimmt." Es sei immer das gleiche Muster: Das müssten wir noch haben, den müssten wir noch ins Boot holen, in diesen Ländern müssten wir überall sein. Können wir das überhaupt machen? Am Schluss ist die Glühbirne erloschen.
"So ticken wir vielerorts in Europa. Aber ich kann das nicht", sagt Wyss. "Mir geht das alles zu langsam. Ich will mehr Power, mehr Innovation!"
Ganz frei von Zweifel ist aber auch Wyss nicht. Er zweifelt an dem, was viele im Markt als Cloud anbieten. "Cloud-Services verstehen wir ganz anders als diejenigen, die heute von Cloud reden", sagt er. "Microsoft macht eine Cloud, um Microsoft-Applikationen in der Cloud anzubieten. Office, Mail, Sharepoint und so weiter." Sein Cloud-Verständnis sei aber ganz anders.
"Cloud heisst für mich Sage, Abacus, SAP, CAD, Ingenieurssoftware, Anwaltssoftware, Garagensoftware, Anbindung zu Analysegeräten und Spezialdrucker!", sagt Wyss. Er redet sich in Rage. "Es bringt doch nichts, wenn unsere Kunden ihre Fachanwendungen auf zehn Servern selbst betreiben und das, was wirklich keinen Aufwand gibt, kaufen sie teuer in der Cloud." Das sei im Verhältnis nämlich sehr teuer. Wer Fachanwendungen und Büroautomation als Ganzes betrachte, sei am Ende am günstigsten unterwegs. "Aber das hat man jetzt einfach getrennt."
Wer zu Patrick Wyss und seinem Team kommt, erhält ein Komplettpaket. Professionelle Dienstleistung, nennt er es. "Wir machen dem Kunden konzeptionelle Vorschläge, wie er seine Anforderungen erfüllen kann", sagt Wyss. Wenn das geklärt ist, wählen Wyss und sein Team aus ihrem Baukastensystem die passenden "Bauklötze" aus und bauen eine Lösung für den Kunden, realisieren und betreiben sie. Und wenn ein Bauklotz fehlt? "Bei den fehlenden Bauklötzen gibt es nur eins: Immer vorausschauen und planen. Was kommt als Nächstes, welchen Kunden würde das einen grossen Nutzen bringen", sagt Wyss. Er könne nicht etwas entwickeln, das niemand wolle oder brauche. "Ich kann Innovationen schaffen, aber ich muss auch schauen, wo und zu welchem Kunden sie passen. Ich muss in seiner Sprache darstellen können, welchen Nutzen ihm meine Innovation bringt."