So tickt das Crypto Valley
Es tut sich einiges im Crypto Valley. In den vergangenen Jahren sind im Raum Zug rund 130 Firmen entstanden, die mit und an der Blockchain arbeiten. Die Redaktion hat sich einen Überblick verschafft, Angebote verglichen und mit den Entwicklern der Community gesprochen.
Die Blockchain erobert die Schweiz. Laut einer aktuellen Studie von IBM hat die Zahl der Schweizer Unternehmen, die am Einsatz der Blockchain interessiert sind, im vergangenen Jahr stark zugenommen. Der Anteil derjenigen Firmen, die an konkreten Projekten mit der dezentralen Krypto-Datenbank arbeiten, sei im Vergleich zu 2016 von gut einem Drittel auf mehr als 50 Prozent angewachsen. 40 Prozent bekundeten zumindest Interesse an der Technologie der dezentralen Buchführung. Vor allem Firmen der Finanzwelt und Logistik beschäftigen sich mit dem Thema. Doch auch in anderen Branchen steigt das Interesse. Die Erwartungen an die Blockchain sind hoch, wie sich der Studie entnehmen lässt. Firmen erhoffen sich bessere Produkte, mehr Effizienz bei den internen Prozessen, neue Geschäftsfelder und engeren Kundenkontakt. Doch es gibt einen Wermutstropfen. Ein Viertel der befragten Firmen ist nach Angaben von IBM noch auf der Suche nach dem Wertversprechen der Blockchain. Was die Technologie für die Unternehmenswelt wirklich leisten kann, das ist auch in der "Crypto Nation" Schweiz noch eine offene Frage.
Verschiedene Firmen versuchen, Antworten auf diese Frage zu geben. IBM selbst arbeitet an einer ganzen Reihe von Kundenprojekten. Auf Basis der Open-Source-Plattform "Hyperledger Fabric" entstehen beim US-Unternehmen Blockchain-Anwendungen für verschiedene Branchen und Anwendungsfälle, wie Andreas Kind, Manager Industry Platforms and Blockchain bei IBM Research – Zürich, sagt. Mithilfe der Blockchain will IBM etwa den Weg von Lebensmitteln bis in den Einkaufskorb dokumentieren, Parkbillets automatisch bezahlen und Start-ups schneller gründen. Auch in seinem Forschungslabor in Rüschlikon am Zürichsee arbeitet IBM an Blockchain-Lösungen. Es geht dabei vor allem um die technischen Grundlagen, wie Kind erklärt. Am Schweizer Standort versuche IBM etwa, die Vertraulichkeit innerhalb von Hyperledger Fabric zu erhöhen und sicherzustellen, dass die verschiedenen Instanzen der Blockchain stets im Einklang miteinander sind. IBM setze dabei auf das Prinzip der "Permissioned"-Blockchain. Im Unterschied zu vollkommen anonymen Systemen wie Bitcoin könne an Permissioned-Systemen nur eine bestimmte Auswahl von autorisierten Teilnehmern mitwirken, was sich positiv auf die Performance auswirke. Trotzdem seien nicht alle Informationen im Netzwerk für alle Teilnehmer sichtbar. Beides ist laut Kind entscheidend, um die Technologie für Unternehmen attraktiv zu machen. Die vollkommene Anonymität und begrenzte Leistungsfähigkeit der bekannten Blockchains wie Bitcoin oder Ethereum sei dagegen für den produktiven Einsatz häufig problematisch.
(Source: https://www.google.com/mymaps und https://cryptovalley.directory/)
Im Tal der Krypto-Start-ups
IBM gehört zu den grössten, ist aber keineswegs das einzige Unternehmen, dass in der Schweiz Blockchains für den professionellen Einsatz entwickelt. Doch wie viele Unternehmen umfasst die Blockchain-Branche eigentlich? Die Zuger Firmen Lakeside Partners und Inacta haben sich zum Ziel gesetzt, diese Frage mit einer Online-Datenbank zu beantworten. Aktuell verzeichnet das "Cryptovalley Directory" 433 Firmen in der Schweiz. Die meisten von ihnen haben sich im namensgebenden "Crypto Valley" rund um die Stadt Zug niedergelassen. Ungefähr 200 Firmen seien es aktuell, sagen Stadt und Kanton Zug. Die Blockchain habe damit zirka 500 bis 700 Arbeitsplätze geschaffen.
Das "Cryptovalley Directory" steckt die Branche im Sinne eines Blockchain-Ökosystems sehr weit ab. Es umfasst Softwarehersteller, Beratungsfirmen, Verbände, Investoren, Hochschulen und Behörden. Lässt man diese Organisationen einmal aussen vor, finden sich im Crypto Valley insgesamt 132 Firmen, die Produkte auf Grundlage der Blockchain-Technologie entwickeln. Die überwiegende Mehrheit davon ist in der Stadt Zug ansässig. Dort haben sich eigentliche Blockchain-Hubs gebildet, wo jeweils mehrere Firmen unter einem Dach untergebracht sind.
Kryptowährungen und Finanzdienstleistungen waren diejenigen Bereiche, in denen die Blockchain-Technologie erstmals zum Einsatz kam. Fast 36 Prozent der Krypto-Firmen im Raum Zug arbeitet auch heute noch an solchen Lösungen. Das können eigene digitale Zahlungsmittel sein, wie etwa der "Loyalty Coin", mit dem dereinst ein System tauschbarer Treuepunkte realisiert werden soll. Oder der "Swiss Real Coin", der den Wert einer Kryptowährung an den Schweizer Immobilienmarkt koppeln will. Dazu kommen Dienstleister, die etwa digitale Portemonnaies, Mining-Lösungen oder Investitionsplattformen im Bitcoin-Umfeld anbieten. Mit rund 20 Prozent ebenfalls zahlreich vertreten sind Firmen, die sich in irgendeiner Form an der technologischen Weiterentwicklung der Blockchain beteiligen. Der bekannteste Name und Pionier in dieser Kategorie ist Ethereum. Das Projekt um den russischen Programmierer Vitalik Buterin setzt zwar auch auf eine eigene Kryptowährung namens "Ether", will darüber hinaus aber eine weltweite Plattform zur Ausführung von dezentralen Programmen sein. Viele der Start-ups im Crypto Valley setzen mittlerweile auf das technische Gerüst von Ethereum. Auch die Stadt Zug nutzt Ethereum als Basis für ihr Projekt einer digitalen Idenität.
Vom Kunsthandel bis zum Weltgehirn
Immer mehr Firmen sind mit der Blockchain allerdings auch abseits von Bitcoin & Co. unterwegs. Der Handel verspricht sich beispielsweise von der Blockchain eine einfachere Abwicklung von Transaktionen. 17 Start-ups im Crypto Valley entwickeln Lösungen für diese Branche. Seien es Autos, Kunst, Energie, Immobilien oder Rohstoffe – mit der sogenannten "Tokenization" sollen Güter oder Dienstleistungen in der echten Welt auf der Blockchain eine digitale Repräsentation erhalten. So liessen sich Handelsgeschäfte in Zukunft für jedermann einsehbar, fälschungssicher und ohne Mittelsmann durchführen, versprechen die Entwickler. Ebenfalls mehrfach vertreten sind Firmen, die Produkte für Versicherungen und den Regtech-Bereich entwickeln. Hier soll die Blockchain Kosten senken, Prozesse vereinfachen und Betrug verhindern. Weitere Firmen wollen mit Krypto das Gesundheitswesen, Social Media, die Landwirtschaft oder die Immobilienbranche aufwirbeln.
Die Start-ups des Crypto Valley sind zahlreich, arbeiten in verschiedenen Bereichen und sind um grosse Worte nicht verlegen. Die nächste Generation des Internets, die Entwicklung künstlicher Intelligenz (KI) oder der Aufbau eines global vernetzten Supercomputers – manche der Versprechungen aus dem Crypto Valley muten beinahe fantastisch an. Doch lauffähige Produkte haben erst wenige Firmen auf dem Markt. Die Redaktion wollte von 63 Firmen aus dem Crypto Valley wissen, woran sie arbeiten, wo die Herausforderungen liegen und was sie sich von Politik und Wirtschaft wünschen. Von 12 Start-ups, die antworteten, gaben 3 an, bereits fertige Produkte anzubieten oder Minimum Viable Products zu testen. Die Mehrheit peilte einen Start im weiteren Verlauf des Jahres 2018 an.
Was Firmen ins Crypto Valley zieht
Auf die Frage, weshalb das Crypto Valley für Blockchain-Firmen besonders attraktiv ist, waren sich die Befragten weitgehend einig. Zum einen ist es die wachsende Krypto-Community selbst, die von den Start-ups geschätzt wird. Die Nähe zu anderen Blockchain-Firmen, aber auch zu potenziellen Partnern und Beratern, biete Expertenwissen, bewirke gegenseitige Inspiration und schaffe ein innovationsfreundliches Klima. "Das Crypto Valley vereinigt auf kleinem Raum eine unglaubliche Menge und Vielfalt an Krypto-Firmen", sagt etwa Remo Frey, CEO und Mitbegründer der Datenhandelplattform Human AI. "Man denkt vielleicht, dass ein verbindender Ort im digitalen Zeitalter nicht mehr nötig ist und die Kommunikation jederzeit und überall stattfinden kann. Doch gerade weil die digitale Welt ein unendlich weites Feld ist, braucht es einen Ort zum gegenseitigen Finden." Allerdings dürfe man sich von der Zahl der Firmennamen im "Cryptovalley Directory" nicht blenden lassen, merkt Perica Grasarevic, Gründer des Regtech-Start-ups Contract Vault, an. "Von den meisten Unternehmen kann man leider keinen Mitarbeiter vor Ort antreffen, sie existieren ausschliesslich in Form eines Briefkastens", sagt Grasarevic.
Zum anderen seien es rechtliche, finanzielle und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die den Standort Zug – und den Rest der Schweiz – für die Branche attraktiv machen. Die Behörden stünden den Blockchain-Projekten mit Wohlwollen gegenüber und die Regulation sei ebenso fortschrittlich wie verlässlich, sagt eine Mehrheit der Befragten. Dazu komme, dass die Ideen hinter der Blockchain – Dezentralisierung, Mitbestimmung, Transparenz – zur politischen Kultur der Schweiz passten. "Der Standort Schweiz ist dazu prädestiniert, Blockchain-Projekte zu entwickeln, weil wir ein tiefes Verständnis von Föderalismus und Demokraktie und dazu eine ausgeprägte Sicherheitskultur haben", erklärt sich Matthias Loepfe, Head des Adnovum Incubators, den Erfolg der "Crypto Nation".
Schattenseiten des Hypes
So viel Lob Politik und Behörden für ihre Unterstützung der Blockchain-Branche erhalten, die Regulierung ist auch ein Sorgenkind für die Unternehmen. John Patrick Mullin von der Trading-Plattform Trade.io sieht etwa das Risiko, dass "unnötige und umständliche" Vorschriften oder Verbote die weitere Verbreitung der Technologie aufhalten. Zwar brauche es eine Aufsicht, um Konsumenten und Firmen vor Gefahren zu schützen. Diese müsse aber berücksichtigen, dass die Blockchain noch ganz am Anfang stehe. Auch zu wenige oder unklare Regeln seien ein Problem für die Branche. "Solange wir nicht wirklich wissen, was illegal ist, wird der Markt niemals wirklich gedeihen und vernünftige Risiken eingehen", sagt Shiv Malik von Streamr, einer Peer-to-peer-Plattform für den Austausch von Echtzeitdaten.
Den aktuellen Hype um Kryptowährungen und Inititial Coin Offerings betrachten mehrere der befragten Firmen mit Skepsis. Er sorge etwa dafür, dass die Blockchain als Allheilmittel in allen möglichen Bereichen missverstanden werde, obwohl man dort besser auf klassische, zentralistische IT-Lösungen setzen würde. Im Prinzip sei die Blockchain heute so weit, wie das Internet 1993 war – doch der Hype habe längst Dotcom-Ausmasse erreicht, sagt Raj Unny, Gründer und CEO des Blockchain-Entwicklers Indus Finch. Dazu komme eine Vielzahl an Betrugsversuchen, Sicherheitslücken und überzogene Erwartungen im Krypto-Umfeld. Dies könne einen Schatten auf die ganze Branche werfen. Die Folgen könnten schwerwiegend sein, geben einige zu bedenken. "Wir gehen davon aus, dass wir einige gescheiterte Blockchain-Projekte sehen werden", sagt Tom Sprenger, CTO von Adnovum. Vielleicht stehen wir am Anfang einer langen Entwicklung, in der sich die Blockchain am Ende auf breiter Front durchsetzen wird, fügt Remo Frey an. "Es kann aber auch sein, dass die Blockchain in einigen Jahren nur noch eine Anekdote der Geschichte ist."
Behörden sind gefordert
Angesichts dieser Herausforderungen ist es nicht erstaunlich, dass das Crypto Valley ganz konkrete Wünsche an die Politik hat. Eines ihrer drängendsten Probleme besteht nach einhelliger Auffassung der befragten Firmen darin, dass Blockchain-Firmen keine Geschäftsbeziehungen mit Schweizer Banken eingehen können. Sprich: Sie können keine Konten eröffnen. Zwar habe sich die Blockchain Taskforce des Bundesrats und auch die Schweizerische Bankiervereinigung dem Thema angenommen, "konkrete Lösungsansätze oder gar Massnahmen" seien aber noch nicht erkennbar, sagt Perica Grasarevic von Contract Vault.
Wenn es um die Förderung der Blockchain-Branche geht, sieht sich der Kanton Zug vor allem in der Rolle des Enablers und Netzwerkers. Ein "Masterplan", um die Branche ins Crypto Valley zu holen, gebe es nicht, sagt Bernhard Neidhart, Leiters des kantonalen Amts für Wirtschaft und Arbeit. Man sei bestrebt, möglichst gute Rahmenbedingungen für alle Firmen zu schaffen, unabhängig von der Branche. Die Stadt Zug engagiert sich laut Kommunikationsleiter Dieter Müller indirekt für die Start-ups, indem sie sich mit deren Exponenten austauscht und versucht, auf ihre Bedürfnisse soweit möglich einzugehen. Mit der auf Blockchain basierenden E-ID und der Akzeptanz von Bitcoin bei der Einwohnerkontrolle beteilige sich die Stadt auch technologisch an der Entwicklung.
Die Blockchain verspricht, die digitale Wirtschaft gehörig aufzuwirbeln, gar ganze Branchen zu revolutionieren, wie Bernhard Neidhart sagt. Dass sich ein Teil der dahinter stehenden Firmen im Crypto Valley niedergelassen habe, bietet grosses Potenzial für die Region. Die Blockchain bringe nicht nur neue Arbeitsplätze und Geschäftsideen, sondern stärke auch die Wettbewerbsfähigkeit des Kantons Zug.
Vom Grossunternehmen bis zum Start-up im Crypto Valley – viele IT-Firmen entwickeln heute in der Schweiz Produkte auf Blockchain-Basis. Welche davon sich am Ende durchsetzen werden, ist noch nicht absehbar. Raj Unnys Vergleich mit dem Dotcom-Hype gibt zu denken. Vielleicht steht der Krypto-Community noch bevor, was mit der Internetbranche um die Jahrtausendwende passierte.