Majorana 1

Microsoft verkündet vermeintlichen Durchbruch mit neuem Quanten-Chip

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von Joël Orizet und rja

Microsoft hat einen neuartigen Quantenprozessor namens Majorana 1 präsentiert - den angeblich ersten Quanten-Chip, der auf topologischen Qubits basiert. Der Softwarekonzern will damit einen Durchbruch erzielt haben. Doch die Fachwelt zeigt sich mehr als skeptisch.

Mit dem Quantenprozessor namens Majorana 1 will Microsoft einen Durchbruch erzielt haben - Experten sehen das jedoch anders. (Source: Microsoft)
Mit dem Quantenprozessor namens Majorana 1 will Microsoft einen Durchbruch erzielt haben - Experten sehen das jedoch anders. (Source: Microsoft)

Microsoft verfolgt in der Forschung zu Quantencomputern einen eher unkonventionellen Ansatz. Im Gegensatz zu Google und IBM, die supraleitende Bauteile und aufwendige Kältetechnik verwenden, setzt Microsoft auf sogenannte topologische Qubits - eine besondere Art von Quantenbits, die besonders gut skalierbar und robust gegenüber Störungen sein sollen. Mehr über Qubits und die Funktionsweise von Quantencomputern erfahren Sie hier

Das Besondere an solchen topologischen Qubits wäre, dass sie Informationen nicht in einzelnen Teilchen oder Atomen speichern würden, sondern in räumlichen Zuständen respektive in den topologischen Eigenschaften eines Systems. Aufgrund dessen wäre diese Art der Speicherung von Informationen weniger anfällig für Fehler, womit sich eine grosse Herausforderung in der Entwicklung von Quantencomputern bewältigen liesse. Was vielversprechend klingt, hat jedoch einen Haken: Bislang ist es noch keinem Forschungsteam gelungen, topologische Qubits zu erzeugen. 

Es gab allerdings wichtige Fortschritte und Forschungsergebnisse, die darauf hindeuten, dass die Erzeugung von stabilen und funktionierenden topologischen Qubits zumindest möglich wäre. Als potenzielle Bausteine (im übertragenen Sinne) gelten sogenannte Majorana-Fermionen. Das sind exotische Quasi-Teilchen, die der italienische Physiker Ettore Majorana 1937 vorhergesagt hatte - deren Existenz jedoch nach wie vor noch nicht endgültig nachgewiesen wurde. 

Jahre statt Jahrzehnte?

Mit der Lancierung eines neuen Quantenprozessors will Microsoft nun den lang ersehnten Durchbruch geschafft haben. Der Chip namens Majorana 1 stelle einen entscheidenden Fortschritt auf dem Weg zu praxistauglichem Quantencomputing dar, teilt Microsoft mit. Mithilfe dieses Prozessors liessen sich Quantencomputer realisieren, die in der Lage sein würden, echte Probleme im industriellen Massstab zu lösen - und zwar nicht erst in Jahrzehnten. Innerhalb "weniger Jahre" will der Softwarekonzern den weltweit ersten Prototyp eines fehlertoleranten und skalierbaren Quantencomputers realisieren. 

Ein Bild des von Microsoft vorgestellten neuen Quantenprozessors - eine mit Gold verzierte Platine, auf der "Microsoft" und "Majorana 1" stehen.

Microsoft will in seinem Quantenprozessor Majorana 1 bis zu einer Million Qubits unterbringen. (Source: Microsoft)

Microsoft bezeichnet den Prozessor als "weltweit erste Quantum Processing Unit (QPU) mit einem topologischen Kern, konzipiert für die Skalierung auf bis zu eine Million Qubits auf einem einzelnen Chip". Dass sich solch eine alternative Qubit-Architektur realisieren liesse, will Microsoft mit Forschungsergebnissen beweisen, die in der Fachzeitschrift "Nature" publiziert wurden. In der Forschungscommunity stösst diese Publikation jedoch auf grosse Skepsis, um nicht zu sagen: Ablehnung. 

Mehr Marketing als Wissenschaft

Microsoft behauptet in einem Blogbeitrag, die in der Fachzeitschrift publizierte Studie sei eine unter Peer-Review-Verfahren erbrachte Bestätigung dafür, dass es Microsoft geschafft habe, Majorana-Teilchen zu erzeugen und zuverlässig zu messen - diese Behauptung ist allerdings falsch. Denn im Peer-Review-Protokoll (PDF) zur Studie heisst es bereits in der Einleitung: "Das Redaktionsteam möchte darauf hinweisen, dass die Ergebnisse in diesem Manuskript keinen Beweis für das Vorhandensein von Majorana-Nullmoden in den berichteten Geräten darstellen."

Darüber hinaus sind sich die meisten Fachleute sicher, dass die vollmundigen Behauptungen von Microsoft nicht stimmen, wie spektrum.de berichtet. "Der Ansatz, einen Quantencomputer auf der Grundlage topologischer Majorana-Qubits zu bauen, wie er von Microsoft verfolgt wird, wird grundsätzlich nicht funktionieren", lässt sich der am Forschungszentrum Jülich forschende Quantenphysiker Vincent Mourik vom Wissenschaftsmagazin zitieren. Und weiter: "Die Microsoft-Manager verbreiten seit Jahren die Geschichte, dass ihre Qubits und ihre Architektur viel besser und störungsresistenter seien als jede andere Plattform. Das ist einfach nicht wahr."

Die Kritik richtet sich auch gegen die Fachzeitschrift "Nature", insbesondere bezüglich der Wahl der Gutachter des Artikels. Einer von ihnen, der Physiker Hao Zhang, hatte in der Vergangenheit nicht nur mit Microsoft zusammen veröffentlicht, sondern auch als Koautor zweier "Nature"-Fachartikel über Majorana-Zustände fungiert, die aufgrund von Unregelmässigkeiten zurückgezogen wurden, wie spektrum.de weiter schreibt. 

Ein Foto des Physikprofessors Daniel Loss von der Universität Basel.

Daniel Loss, Professor für Theoretische Physik an der Universität Basel. (Source: unibas.ch)
 

Unrealistische Annahmen

Daniel Loss, Professor für Theoretische Physik an der Universität Basel, zeigt sich auf Anfrage ebenfalls kritisch. Man müsse klar unterscheiden zwischen der Untersuchungsanlage respektive der in "Nature" publizierten Forschungsergebnisse und dem im Microsoft-Blog vorgestellten Majorana-1-Chip. Zu letzterem, also zum angekündigten Quantenprozessor, gebe es keine wissenschaftliche Publikation und dementsprechend sei es unmöglich, Microsofts Behauptungen zum neuen Chip zu verifizieren. 

"Ausserhalb von Microsoft sieht die Community diese Behauptungen sehr kritisch", sagt Loss. "Sie erscheinen sehr unrealistisch, vor allem auch im Hinblick auf die Tatsache, dass der 'Nature'-Artikel den Beweis nicht erbracht hat, dass es Majorana-Teilchen sind, die die gemessenen Effekte erklären." Unter "normalen Umständen" würde solch eine Arbeit nicht in "Nature" erscheinen, sagt Loss und stellt klar: "Diese Arbeit ist kein Durchbruch."

Schliesslich gibt Loss auch zu bedenken, dass topologische Majorana-Qubits nur einen von vielen möglichen Ansätzen zur Entwicklung von Quantencomputern darstellen - allerdings keinen besonders plausiblen. "Microsoft geht von unrealistischen Hypothesen aus und es bestehen grosse Zweifel daran, dass dieser Zugang tatsächlich besser sein soll als andere." An der Universität Basel werde beispielsweise im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts "Spin-Qubits in Silizium" (NCCR SPIN) seit vielen Jahren an Spin-Qubits in Halbleitern (Silizium) geforscht. "Hier ist man bedeutend weiter und Firmen wie Intel haben bereits Chips mit vielen funktionierenden Qubits", sagt Loss. 

 

Ende 2024 haben übrigens Quantumbasel und IonQ den Betrieb des ersten physischen und kommerziellen Quantencomputers der Schweiz aufgenommen - mehr dazu lesen Sie hier.

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