Live

"Ein Rechenzentrum ist immer nur so stark wie sein schwächster Teil"

Uhr | Aktualisiert
von Christoph Grau

Laut einer Studie vom Bund wird in Schweizer Rechenzentren noch immer viel Energie verschwendet. Für mehr Nachhaltigkeit in der IT werben Christen Oesterbye, Managing Director, und ­Robert Nilsson, Operations Director bei Born Green Technologies.

Ihr Leitspruch ist "Sustainable IT with Business Outcomes". Was genau ist darunter zu verstehen?

Robert Nilsson: Für uns ist es zentral, die Verbindung zwischen Nachhaltigkeit und energiesparenden Ansätzen mit ökonomischen Vorteilen herzustellen. Denn Nachhaltigkeit bringt auch immer Vorteile für das Business mit. Dies sowohl kurzfristig wie auch langfristig.

Christen Oesterbye: Genau. Die ökonomischen Vorteile gehen sogar viel weiter als eine Einsparung von Energiekosten. Hier ist eine ideologiefreie Sichtweise sehr hilfreich, denn "grüne IT" hat nichts mit Umweltaktivismus zu tun. Daher haben wir uns von dem Begriff etwas entfernt und nutzen vermehrt die Bezeichnung Nachhaltigkeit anstelle von "Grün".

Wie sind Sie auf das Thema gekommen?

Oesterbye: Anfangs waren wir uns nicht sicher, was wir genau machen sollten. Wir wollten uns auf  Dienstleistungen für mehr Nachhaltigkeit konzentrieren. Vor drei Jahren war das Angebot hier aber noch sehr dürftig. Gerade jetzt sehen wir bei den Dienstleistungen für Energieeffizienz starke Entwicklungen. Im Gegensatz dazu ist die Hardwareseite bei diesem Aspekt schon eher eine "Mature Industrie". Hier sind die Margen auch sehr gering, und für Newcomer ist es ein hartes Feld.

Auf welche Bereiche haben Sie sich daher konzentriert?

Oesterbye: Als Erstes entdeckten wir das Energiemanagement. Als erste Lösung verwendeten wir Joulex. Dabei ging es noch um das Management von physischer Energie, also Energie, die aus dem Gebäude kommt – etwa "hot aisle" oder "cold aisle" im Rechenzentrum –, aber auch um die Geräte, die im Innern liegen.

Wo genau sehen Sie sich in dem Markt?

Oesterbye: Wir sehen uns als Vorreiter in dem Feld. Wir haben Interesse an Technologien, die im Hype-Cycle noch nicht an der Spitze sind oder bereits sinken. Wir wollen die Phase erwischen, wenn eine Technologie wächst und ein Markt dafür entsteht. Gleichzeitig ist dieser Bereich riskanter, denn wenn man einen Markt aufbaut, gibt es keine Garantie, dass er sich durchsetzten wird.

Nilsson: Im Prinzip sucht heute der Kunde, wie schon vor drei Jahren, nach einem Weg, um bei den Energiekosten zu sparen. Durch die neuen Möglichkeiten im Feld Analystics und Big Data gibt es ungeahnte Möglichkeiten beim Energie- und RZ-Infrastrukturmanagement. Dieses ermöglicht Einblicke sogar bis ins einzelne Rack. Wie sich das RZ von heute von dem von morgen unterscheiden wird, liegt am Mehr an Dienstleistungen, die man mit dem RZ bereitstellen kann. Und genau in diesem Feld wollen wir mit unseren Softwarelösungen spielen.

Um auf das Thema Rechenzentren zu kommen: Wie gross ist ­deren ökologische Fussabdruck in der Schweiz?

Oesterbye: Eine kürzlich veröffentlichte Studie geht davon aus, dass alle Schweizer Rechenzentren zusammen rund 3 Prozent des Stroms in der Schweiz verbrauchen. Dies ist im Vergleich zu anderen Ländern vergleichsweise hoch, denn dort liegt der Wert um die 2 Prozent. Die Zahl für die Schweiz zeigt aber auch, dass es momentan viele Neubauten von RZs hierzulande gibt. Daher wird die Frage des Energiemanagements immer zentraler werden.

Seit wann ist Energiesparen für RZ-Betreiber überhaut ein Thema?

Nilsson: Früher lag die Hauptüberlegung auf dem Rackspace. Die Energierechnung kam dann vom Provider und wurde kaum beachtet. Durch Virtualisierung und Software-Defined Netwoking hat sich dieses Denken etwas geändert. Mit mehr Analytics-Fähigkeiten rückte die optimalere Ausnutzung der RZ-Kapazitäten immer mehr in den Mittelpunkt, anstelle einfach neue Server hinzuzukaufen. Aber um dies tun zu können, ist eine starke Analy­tics-Lösung nötig. Jedes neue RZ wurde in diesem Sinne gebaut. Es gibt einige Vorbilder wie Swisscom in Worblaufen oder Datahub in Winterthur. Diese erhielten sogar weltweite Beachtung für die Energieeffizienz. Ein Anbieter eines RZs muss mit den Analytics-Fähigkeiten ein Blick auf das Gesamtbild haben.

Energieeffizienz steht dennoch nicht oft ganz oben auf der Agenda. Ist die Energie einfach zu billig, um einen Anreiz zu setzen?

Nilsson: Die Antwort für die Frage ist definitiv: ja. Die Energie ist zu billig. Daher gibt es keinen ausreichenden Druck auf die Provider, dass sie sich um Energieeffizienz kümmern. Durch den niedrigen Energiepreis ist es auch schwierig für sie, Investitionen in diesem Umfeld zu rechtfertigen. Denn die Technologien sind nicht billig.

Beobachten Sie Bewegung in diesem Feld?

Nilsson: Es bewegt sich nur langsam. Es könnte meiner Ansicht nach viel schneller gehen.

Der Wettbewerbsvorteil durch Energieeinsparungen reicht als Argument für Investitionen also nicht aus?

Nilsson: Das Problem liegt auch auf der Endkundenseite. Die Kunden wünschen schon ein RZ, das effizient und grün ist. Denn dies wirkt sich auch positiv auf ihr Image aus. Aber der Druck aus dieser Richtung ist nicht stark genug, um die Provider zum Handeln zu bewegen. Meiner Meinung nach ist der Energiepreis noch viel zu niedrig, um eine Wirkung zu haben. Wenn er zwei, drei Mal höher wäre, dann würde es deutlich mehr Investitionen geben.

Wirkt sich der Energiepreis nicht auf die Endkunden aus?

Nilsson: Momentan ist es so, dass die RZ-Betreiber an den Stromkosten nichts verdienen können. Es ist ihnen nicht erlaubt. Die neu gebauten RZs kommunizieren dies auch sehr klar, dass sie nichts am Stromverbrauch verdienen. Dies ändert sich aber, und ich finde es sehr gut. Denn dies bringt die RZ-Betreiber mehr dazu, sich zu überlegen, wie die Dienstleistungen optimiert werden können.

Oesterbye: Um hier noch einen Punkt hinzuzufügen: Wichtig ist auch, woher die Energie kommt, ob nun fossile Brennstoffe, Atom- oder Wasserkraft. In der Schweiz gibt es vergleichsweise viele günstige Energiequellen. Die relativ teuren erneuerbaren Energien gewinnen aber immer mehr an Bedeutung. Wenn also RZ-Betreiber vermehrt auf diese Quellen setzen, dann könnten die Strompreise schon erheblich steigen, was wiederum mehr Investitionen anregen könnte. Die Frage bei den RZ-Betreibern ist dabei immer: Wie nachhaltig wollen wir wirklich werden? Bei einem hohen Grad an Nachhaltigkeit ist der Preis entsprechend höher. Wir versuchen dabei, so zu argumentieren, dass mit der richtigen Technologie auch bei höheren Stromkosten am Ende noch mehr eingespart werden kann. Dies muss jedoch immer im Einzelfall genau angesehen werden.

Denn ein nachhaltiges RZ sollte auch mit nachhaltigen Energien betrieben werden?

Oesterbye: So ist es. Dies ist durchaus auch ein Marketinginstrument. Es gibt einige Unternehmen, die viel Wert auf ihr Image als nachhaltiges Unternehmen legen. Auf lange Sicht kann ein Engagement hier Vorteile bringen.

Braucht es also einen gewissen Druck?

Oesterbye: Ich sehe hier nicht nur Druck, sondern auch Anreize wie Steuerreduktionen. Wenn ein RZ ein gewisses Mass an Energieeffizienz erreicht, wäre das sinnvoll. Dann würden die Technologien viel schneller adaptiert werden.

In einer Studie sieht der Bund bei RZs noch erhebliches Einsparpotenzial. Warum wird immer noch so viel Energie verschwendet?

Nilsson: In Colocations bringen Kunden ihre eigenen Rechenzentren unter. Diese haben dabei oft noch Bare-Metal-Server. Auch wenn sie mit Virtualisierung begonnen haben, ist es zumeist noch kein optimiertes System. Hier gibt es noch viel zu tun. Insbesondere müssen die zu wenig genutzten Geräte und veraltete Stromfresser identifiziert werden. Beispielsweise hat es in den letzten Jahren bei Stromadaptern einen deutlichen Effizienzsprung gegeben.

Oesterbye: Die technologische Entwicklung in den letzten Jahren war wirklich enorm. Geräte können etwa jetzt verschiedene Power-Level nutzen, um nur so viel Energie zu verbrauchen, wie auch wirklich nötig ist. Sie müssen nicht immer auf Volllast laufen wie noch vor wenigen Jahren ...

... Was wiederum Energie und Ressourcen spart.

Nilsson: So ist es. Wenn alle zwei Jahre neue Server gekauft werden, dann braucht deren Herstellung auch sehr viel Energie. Viel sinnvoller ist es, ältere Geräte, zugeschnitten auf die Worklaods, weiter zu nutzen, was natürlich Verbesserungen in einzelnen Teilen oder der Software nicht ausschliesst. Das einfache Austauschen ist eigentlich ein sehr ineffizienter Weg. Die Verlängerung des Lebenszyklus’ ist ein wichtiger Punkt, um mehr Nachhaltigkeit zu erreichen und den Ressourcenverbrauch zu verringern.

Der Bund spricht von sehr vielen einfachen Mitteln, um viel Energie zu sparen, etwa von einer 1 bis 2 Grad höheren Temperatur im Serverraum. Warum werden die RZ-Betreiber hier nicht aktiv?

Oesterbye: Es gibt diverse Zertifikate, welche die optimale Temperatur für die einzelnen Geräte festlegen. Die neuesten Geräte können bei deutlich höheren Raumtemperaturen operieren. Der Knackpunkt ist hier aber, dass ein RZ immer nur so stark ist wie das schwächste Teil. Wenn etwa ein zehn Jahre alter Mainframe noch im RZ steht, dann fängt dieser schon bei 1 bis 2 Grad mehr an, Probleme zu machen. Dann ist es völlig egal, ob der Rest des RZs auf dem neuesten technischen Stand ist. Ein einziges Element bremst das ganze System. Um die Temperatureinsparungen zu erreichen, muss alles auf dem gleichen Stand sein, was nicht einfach ist, wenn nicht gerade ein RZ neu gebaut wird.

Können sich die Betreiber langfristig diese Ineffizienz leisten?

Nilsson: Dies ist sehr von politischen Entscheidungen abhängig. Die Frage ist, wie das Verhältnis zwischen Investitionen und Einsparungen ist. Die Betreiber können so lange ineffizient bleiben, wie die Energiekosten niedrig sind und von dieser Seite kein Druck kommt.

Oesterbye: Einig Firmen, die wir betreuen, haben sich Corporate-Social-Responsibility-Ziele auferlegt. Wenn sie über die Bücher gehen, dann sehen sie den hohen Energie- und Ressourcenverbrauch. In einigen Fällen ist dies ein Ansatzpunkt, aktiv zu werden und Einsparungen anzugehen. Dies kann schon allein beim Sparen von Papier beginnen. Auch wenn die Kosten höher sind als die direkten Gewinne, der Imagegewinn ist für viele Unternehmen auch wichtig und sollte in der Überlegung nicht ausser Acht gelassen werden. Heutzutage haben immer mehr Firmen eine Nachhaltigkeitsagenda, und wir sehen hier viel Bewegung, und nicht nur bei den grossen Unternehmen.

Warum sollte man bei der Nachhaltigkeit bei der Energie beginnen?

Oesterbye: Das Thema Energie fliesst auch in Entscheidungen für Hardwareanschaffungen ein. Etwa wenn ältere Laptops gegen effizientere Modelle ausgetauscht werden sollen. Auch ist Energie der Aspekt, den sich Menschen am leichtesten vorstellen können. Es ist nicht so abstrakt wie das Konzept der Nachhaltigkeit.

Nilsson: Es ist gut, irgendwo zu starten. Bei uns läuft gerade das Geschäft mit den Distributed Office Devices sehr gut – etwa beim Management von Bildschirmen und PCs. Firmen sind hier viel sensibler geworden.

Und diese Denke ist noch nicht in den Rechenzentren angekommen?

Nilsson: Nein. Dort herrscht immer noch die Vorstellung vor: Wir brauchen das stärkste und schnellste RZ. Server-Performance steht an erster Stelle, die Höchstleistung muss zu jedem Zeitpunkt möglich sein. Indem die RZs immer mehr vernetzt werden und die Workloads verschoben werden können, tut sich hier viel. Gerade die zunehmende Virtualisierung wird die Dinge in Zukunft stark verändern. Meiner Meinung nach hat die Reise gerade erst begonnen.

Oesterbye: Die Entwicklungen waren auch nicht so geplant. Die Cloud beispielsweise wurde nicht entwickelt, weil sie energieeffizienter ist. Die Cloud ist mehr oder weniger ein Nebenprodukt, wenn auch ein sehr interessantes Nebenprodukt.

Auf welcher Ebene sollte das Thema Energiesparen behandelt werden?

Nilsson: Es müsste schon sehr hoch angesiedelt sein. Ich sehe die Entscheidung beim CEO oder CFO. Der CEO muss der Öffentlichkeit oder den Aktieninhabern Rechenschaft ablegen. Und für den Image-Aspekt ist es sehr wichtig. Etwa wenn es um das Erreichen eines CSR-Ziels geht. Der CFO hingegen kann mit den Einsparungen punkten.

Wie können sich Unternehmensentscheider über Einspar­potenziale informieren?

Oesterbye: Die Fachgruppe Green IT der Schweizer Informatik Gesellschaft hat auf ihrer Website (greenit.s-i.ch) ein kostenloses Angebot von Dienstleistungen geschaffen, mit denen Firmen und Haushalte die Nachhaltigkeit ihres Informatikbetriebs überprüfen können. Mit Checklisten, Online-Assessments und Empfehlungen kann die Maturität in den drei Nachhaltigkeitsdimensionen Wirtschaftlichkeit, Ökologie und Soziales verbessert werden. Betreiber von IT-Infrastrukturen können eine vollständige und anonyme Einschätzung ihres Energiestandards bekommen.

Nilsson: Die Fachgruppe an sich kann die Firmen nicht durch den Prozess führen. In der Gruppe befinden sich aber zahlreiche Unternehmen, unter anderem auch wir,  die mit ihren Dienstleistungen bei den Prozessen zur Seite stehen können. Auch Unternehmen wie ABB oder die Zurich Versicherung können helfen, denn teilweise sind sie mit ihrer Entwicklung schon weiter und können als Vorbild für andere dienen.

Tags
Webcode
4678