"Shareholder Value ist tot"
Die Managerausbildung ist nicht mehr zeitgemäss. Dieser Meinung ist Christa Muth, Professorin für Management an der Haute Ecole d’Ingénierie et de Gestion in Yverdon-les-Bains (HEIG-VD) im Kanton Waadt. Dazu hat sie den Studiengang "Human Systems Engineering" entwickelt, der an der Fachhochschule Westschweiz und der ZHAW angeboten wird.
Warum muss die Managementausbildung Ihrer Meinung nach grundlegend reformiert werden?
Christa Muth: Es sind die unerwarteten Auswirkungen der Globalisierung, die eine Neuausrichtung notwendig machen. Ein gutes Management ist heute viel differenzierter als noch vor ein paar Jahren. Die alten Managementmethoden mögen noch für sehr traditionelle Branchen angemessen sein, aber wo gibt es die noch? Ganze Branchen flaggen aus, um mit billigeren Arbeitskräften in aufstrebenden Ländern günstiger zu produzieren. Dazu müssen nur drei Bedingungen erfüllt sein: Erstens eine kritische Masse, das heisst eine industrielle Grössenordnung bei der Herstellung der Güter oder der Dienstleistungen, zweitens ein gesichertes Grundlagenwissen, das in Hochschulen vermittelbar ist, und drittens ein gesichertes Know-how, das in Qualitätssystemen erfassbar sein soll. Sind diese Bedingungen erfüllt, ist der Zugriff eines aufstrebenden Landes nur noch eine Frage der Zeit. Dort warten Heerscharen von wissbegierigen Ingenieuren und Facharbeitern. Wissbegierig bedeutet, dass sie in absehbarer Zeit gut werden. Mit Qualitätssystemen und guter Ausbildung machten wir die Basis unserer Wirtschaft transparent und verwandelten sie somit in eine Commodity, die man mit überschaubaren Kosten überall aufstellen kann.
Wie muss auf diese Herausforderung reagiert werden?
Wir müssen uns fragen, was die Aufgaben sind, die wir in den westlichen Ländern in einer globalisierten Wirtschaft wahrnehmen sollen. Unsere Stärken liegen wahrscheinlich in unserer Fähigkeit zum "Trendsetting". Damit meine ich, sowohl mit technischer wie auch sozialer Innovation zu experimentieren und dazu die entsprechenden Businessmodelle zu entwickeln. Das geht mit den herkömmlichen Managementmethoden nicht so gut, sie sind für Innovationen eher hinderlich. Damit steht die traditionelle Managementausbildung unseren zukünftigen Realitäten gegenüber, sie ist bestenfalls noch für die aufstrebenden Länder gut. Aber auch die haben das schon verstanden und orientieren sich inzwischen neu.
Welche Konsequenzen ziehen Sie aus diesen Entwicklungen?
Um es ganz pointiert zu sagen: Shareholder Value ist tot, Stakeholder Value ist adäquater; auch bei den Businessmodellen bewegt sich viel: Die an sich gesunde Idee der Profitcenter löst bei jüngeren, auf neue Technologien eingeschworenen Leuten nur noch ein müdes Lächeln aus. Was man an die Stelle einer darauf aufbauenden analytischen Buchhaltung stellen soll, ist noch offen. Sicher ist jedoch, die alte Denkart greift nicht mehr.
Welchen Nutzen steuern die von Ihnen beschriebenen X-Teams dabei?
Das ist genau der Punkt. X-Teams setzen sich aus Personen verschiedener Organisationen mit unterschiedlichen Interessen zusammen, die sich aber gleichwohl auf eine gemeinsame Zielsetzung geeinigt haben. Darin finden sich Kunden, Lieferanten, NGOs der Zivilgesellschaft, Erfinder, öffentlich-rechtliche Stellen und andere Akteure zusammen. Von früher kennt man Gremien, die etwa Standards für eine ganze Branche festlegen. X-Teams gehen da viel weiter und können auch wirtschaftliche Eigeninteressen entwickeln, die nicht unbedingt in die Produkt- oder Dienstleistungspalette der entsendenden Organisation der Mitglieder passt. Deshalb könnte ein Interessenkonflikt entstehen: Man entsendet und bezahlt Mitarbeiter, um irgendwo mitzumachen, weiss aber nicht so richtig, ob daraus etwas Interessantes für die Firma entsteht.
Können Sie diese Entwicklung an einem Beispiel veranschaulichen?
Ein sehr typisches Beispiel eines institutionalisierten X-Teams war das Palo Alto Research Center (PARC). Es entstanden dort sehr viele Grundlagen der heutigen Informationstechnologie, wie Mikrochips, GUI (Graphical User Interface), WYSIWYG oder Laserprinter. Aber trotz des immensen Nutzens hat PARC einem der Initianten (Xerox) fast Kopf und Kragen gekostet. Man wusste einfach nicht, wie man diese Innovationen bewerten und mit wirtschaftlichem Nutzen verbinden sollte. Inzwischen ist das Problem bei PARC mit einer eigenständigen unabhängigen Firma gelöst. Trotzdem stellt sich diese Frage, worin der Nutzen sonst liegt, bei jedem neuen X-Team wieder. Traditionelles Management kann eine entsprechende Anfrage entweder abschlägig beantworten oder eine Zustimmung von unerfüllbaren Bedingungen abhängig machen. Wenn man so fragt, dann macht man damit das Ganze für die, die an Innovationen arbeiten wollen, unerträglich schwerfällig. Somit stellt sich die Frage, wie wir Managern beibringen können, mehr auf den globalen Nutzen von Innovationen zu schauen und die Frage nach Profit, ganz besonders kurzfristigem, als nachrangig zu betrachten. Wahrscheinlich braucht es dafür drastische Änderungen in den Accounting- und Governance-Systemen. Unsere französischen Kollegen arbeiten gerade an der Beantwortung dieser Fragen.
Welchen Managementformen gehört die Zukunft und warum?
HP hatte schon sehr früh die Team-Organisation propagiert, übrigens mit beachtlichem Erfolg. Argyris und Schön sprachen im Zusammenhang mit der lernenden Organisation vom sogenannten Dooble Loop Learning, einem Ansatz, bei dem nicht nur die Mitarbeiter vom Unternehmen lernen, sondern das Unternehmen auch intensiv von den Mitarbeitern lernt. Ich glaube, dass Organisationen sich mit diesen oder ähnlichen Gedanken vermehrt beschäftigen müssen, weil sie sonst die engagierten und talentierten Mitarbeiter verlieren oder gar nicht erst finden. Junge talentierte Leute wollen sich engagieren, ein "krankes Management" und starre Organigramme kommen bei dieser Generation nicht gut an. Mir schienen die Ansätze der Team- und der lernenden Organisation äusserst sinnvoll, deshalb prägte ich den Begriff "Team Based Learning Organization" und auch mit den entsprechenden Instrumenten für eine erfolgreiche Einführung ausgerüstet. Damit arbeitete ich jahrelang als Turnaround Facilitator, das verpackte ich in den Master-Studiengang "Human Systems Engineering" .
Wie weit ist das neue Managementverständnis schon in der Schweiz angekommen, und wo steht die Schweiz im internationalen Vergleich?
In der Schweiz hat sich in den letzten zehn Jahren viel bewegt und sie steht im internationalen Vergleich nicht schlecht da. Trotzdem gibt es sehr viel ungenutztes Potenzial. Wenn man darüber spricht, könnte man meinen, wir wären schon sehr weit. Leider ist es nur Rhetorik, schöne Worte, es dominieren aber immer noch die alten Denkweisen. Taktgeber bei diesem Geschwätz sind die Hochschulen, die es nicht wagen, die Vergangenheit zu kritisieren. Deshalb können Alternativen nur in Nischen entstehen, durch Vordenker, die sich zwischen diskreter Bewunderung und unterschwelliger Anfeindung mit viel zu geringen Mitteln durchkämpfen müssen. Man könnte viel mehr, vieles schneller und besser, wenn man bereit wäre, die alten Zöpfe abzuschneiden. Das sind starre Hierarchien, Abgrenzungen vom Innovationsgeschehen auf der Basis kurzfristiger Rentabilitätsüberlegungen, eines geringen Verständnisses von Innovationsprozessen, der Missachtung grundlegender menschlicher Werte und nicht zu vergessen der internen organisationspolitischen Prioritäten.
Wie können Unternehmen ihre starren Organigramme aufbrechen?
Es gibt ja zahlreiche Beispiele von Unternehmen, die es geschafft haben, mehrere eigene Organisationskulturen nebeneinander koexistieren zu lassen. Zum Beispiel eine, die auf Qualität und Produktivität ausgerichtet ist, und eine, die innovationsorientiert ist. Unternehmen, die die Herstellung outsourcen, gehören sicher nicht dazu. Samsung hingegen oder in der Schweiz auch kleine Unternehmen wie Trisa oder Neopac sind Mitglieder dieses Clubs. Voraussetzung ist ein ernsthaftes Wollen im Topmanagement und dazu die Entschlossenheit, die entsprechenden Aktivitäten langfristig durchzusetzen. Trisa bringt diese Botschaften explizit auf seiner Website zur Sprache . Aber auch bei Neopac ist man stolz auf das "Creative Team" . Bei diesen Schweizer Unternehmen wird eine typische schweizerische Eigenschaft, die des eher introvertierten Tüftlers, genutzt. Denn in grossen Organisationen gehen solche Leute unter; wahrscheinlich werden sie gar nicht erst eingestellt.
Was machen diese Unternehmen richtig?
In diesen beiden Fällen besteht neben der traditionellen "Produktionskultur" eine weitere, die "Innovationskultur". Es ist natürlich vorstellbar, daneben noch weitere Kulturen entstehen und bestehen zu lassen, beispielsweise für den Service, das Kundenmanagement und Ähnliches. Es ist jedoch so, dass ein Managementstil von oben durchgegeben und unternehmensweit durchgesetzt wird. Verlangt es die Situation, werden eventuell ad hoc formell unabhängige Organisationen gegründet, die dann zwar eine eigenständige Kultur pflegen dürfen, jedoch vom Management der Mutterorganisation kontrolliert und letztlich nach deren Kriterien geführt werden.
Wie würden Sie die geänderten Anforderungen an die Ausbildung kurz zusammenfassen?
In den Hochschulen, ganz gleich ob privat oder öffentlich, müssten grundlegende menschliche Werte, Umweltbewusstsein und neue Organisationsformen ins Zentrum gestellt werden. Alles andere ist Beilage. Aber letztlich muss auch diese den neuen Notwendigkeiten angepasst werden, und da gibt es noch sehr viel zu tun.