Die All-IP-Ära beginnt jetzt
Ende 2017 wird Swisscom ihr ISDN-Netz abschalten. Viele tausend Nutzer müssen deshalb auf IP-Telefonie umsatteln. Vor allem bei KMUs ist die Technologie noch weit verbreitet. Bei der Umstellung gibt es aber einiges zu beachten.
In den 90er-Jahren revolutionierte ISDN als erster digitaler Standard die Telekommunikation, da auf einer Leitung nun gleichzeitig mehrere Dienste abgewickelt werden konnten. Als Internetstandard ist ISDN schon lange durch das deutliche schnellere DSL abgelöst worden. In der Telefonie hält sich die Technologie aber noch hartnäckig.
Viele KMUs setzten immer noch auf ISDN
Vor allem bei KMUs ist ISDN noch immer sehr beliebt. Dies mag auch historische Gründe haben, wie Armin Blum, Leiter Festnetzdienste und Grundversorgung beim Bundesamt für Kommunikation (Bakom), in einem Gespräch erklärt: "ISDN war der Inbegriff einer End-to-End-Digitalisierung." Beim Umstieg von analog auf digital hätten sich die meisten Unternehmen für ISDN entschieden und seien dabei geblieben. Dies habe auch an der grossen Zuverlässigkeit des Netzes gelegen, sagt Blum weiter.
Die ISDN-Ära neigt sich ihrem Ende entgegen. Spätestens Ende 2017 wird Swisscom ISDN abschalten. Bereits vor einem Jahr machte der Telko seine Pläne publik. Damit liegt Swisscom bei der Umstellung auf IP- beziehungsweise Voice-over-IP(VoIP)-Telefonie im internationalen Trend. Die Deutsche Telekom wird ISDN nur ein Jahr später abschalten. Einige Länder werden sich früher von der Technologie verabschieden oder sind sogar schon ganz ausgestiegen.
Laut Olaf Schulze, Mediensprecher von Swisscom komme das Unternehmen mit der Umstellung auch den gewandelten Anforderungen der Nutzer entgegen, die deutlich mehr wollen, als ISDN ihnen liefern kann. Nach dieser Argumentation erscheint die Abschaltung des Netzes nur logisch.
Einer Studie des Offertenportals Gryps zufolge waren Mitte 2014 allerdings noch 70 Prozent aller Schweizer KMUs auf ISDN unterwegs. Hingegen waren es bei den Grossunternehmen nur 30 Prozent. Die Mehrzahl der ISDN-Nutzer seien vor allem kleine Unternehmen mit nur wenigen Telefonanschlüssen, ordnet Gaby Stäheli, Co-CEO beim Offertenportal Gryps, die Zahlen ein. Spätestens 2017, also in weniger als drei Jahren, werden jedenfalls noch viele tausend KMUs eine alternative Lösung zu bestehenden ISDN-Anlagen brauchen.
Im Gespräch zeigt sich Patrick Venzin, Berufsschule Uster und VoIP-Berater bei Globacom,von dieser hohen Zahl überrascht. Seiner Meinung sollten es inzwischen deutlich weniger KMUs sein, aber fundierte Zahlen kann er nicht nennen. Vielmehr beruft sich Venzin auf seine Erfahrungen aus der Zeit als CTO beim ehemaligen VoIP-Anbieter Foxfon.
Vorteile der IP-Telefonie
Viele ISDN-Nutzer verfolgten aber immer noch den Ansatz: "Es funktioniert doch, warum soll ich also auf etwas anderes umstellen?", sagt Patrick Venzin, Lehrer an der Berufsschule Uster im Fach VoIP und VoIP-Berater bei Globacom. Der Umstieg werde rein aus Bequemlichkeit nicht in Angriff genommen. Dabei böten neue Technologien einen deutlich grösseren Funktionsumfang als ISDN. Angefangen bei der Übermittlung von Namensinformationen, erweiterten Konferenz- und Weiterleitungsfunktionen bis hin zur mobilen Integration.
Die Umstellung bietet auch die Möglichkeit, grundlegend über die Zukunftsfähigkeit der Telefonie-Infrastruktur nachzudenken. Neben klassischen vor Ort gehosteten Telefonanlagen kommen unter Umständen auch extern gehostete Lösungen, virtualisierte Cloud-Varianten – private und öffentliche oder auch Kombinationen davon – infrage. Grössere Unternehmen mit mehreren Standorten könnten zudem durch eine Dezentralisierung der Infrastruktur Kosten sparen.
Ein ausführlicher Abklärungsprozess über die Möglichkeiten, unter Einbeziehung aller Beteiligten sollte deshalb der Umstellung auf All-IP vorausgehen, hebt Rolf Wagner, Bereichsleiter Telekom und Service Provider beim Bertungsunternehmen AWK, hervor.
Zumeist sind IP-Lösungen im Betrieb kostengünstiger als die ISDN-Telefonie, sagt auch Stäheli von Gryps. Kunden würden besonders von Kombi-Flatrate-Tarifen profitieren können. Bei der Umsetzung der Lösungen fallen je nach Aufwand unterschiedlich hohe Kosten an, ergänzt Rolf Wagner, Bereichsleiter Telekom und Service Provider beim Bertungsunternehmen AWK. Einzelanschlüsse gebe es bereits zwischen drei und zehn Franken pro User und Monat. Eine umfangreiche Managed-UCC-Lösung könne hingegen mit 40 – 60 Franken zu Buche schlagen. Auch wichtig ist die Wahl des Providers. AWK empfiehlt, Mobile und IP-Festnetz vom gleichen Anbieter zu beziehen.
Klassische Festnetzanschlüsse hingegen brauchen viele KMUs laut Venzin eigentlich nicht mehr. Mittels Virtualisierungslösungen könnten die Anforderungen dieser Unternehmen zumeist erfüllt werden. Beim Fax sei die Entwicklung schon fast abgeschlossen, sagt Venzin. Die meisten KMUs verschicken heute Dokumente per Email. Auch die VoIP-Telefonie könnte ähnliche Entwicklungen nehmen, zeigt sich Venzin überzeugt.
Telefonie-Infrastruktur grundlegend überdenken
Wagner rät die Umstellung mittelfristig mit "dem regulären Lifecycle-Management der bestehenden Infrastruktur abzustimmen." Auf diesem Wege könnten Kosten gesenkt und Ausfallzeiten minimiert werden, zeigt er sich überzeugt.
Er weiss wovon er spricht: Sein Unternehmen rüstete 2012 sein Telefonie-System um. Ein Projekt, das sechs Monate in Anspruch nahm und Geduld erforderte. Allein drei Monate musste das Team für Tests und das Lösen von Problemen aufwenden.
ISDN kann teilweise weiterverwendet werden
Mit der Abschaltung von ISDN durch Swisscom ist die Technologie aber noch nicht tot. Bestehende ISDN-Telefonanlagen können weiterhin über Adapter betrieben werden. Für das Bakom sei von besonderer Wichtigkeit, dass bei der Umstellung die Vorwärts- und Rückwärtskompatibilität gewährleistet sei, sagt Blum. Einige Unternehmen können und wollen ihre internen Netze nicht von ISDN auf VoIP umstellen.
Besonders Banken würden für die interne Kommunikation weiterhin die ISDN-Technologie bevorzugen. Ein Grund dürfte die IT-Sicherheit sein. Sind aus Wörtern erst einmal Datenpakete geworden, können diese einfacher entwendet, kopiert oder anderweitig manipuliert werden. Daher wird ISDN zumindest mittelfristig in einigen Bereichen weiterleben.
Als Beispiel nennt Stäheli Sunrise, das für Geschäftskunden ISDN schon heute nur in einer Kombination mit VoIP anbietet. Das Signal werde per IP auf dem Netz versandt und vor Ort mittels eines Konverters auf das interne ISDN umgestellt.
Auch bei Swisscom kann die bestehende Hausverkabelung weiter genutzt werden. "Bedingung dafür ist, dass die Endgeräte direkt oder via S-Bus an der ISDN-Schnittstelle des Routers (aktuell Centro Business) angeschlossen werden", erklärt Swisscom Unternehmenssprecher Schulze. Er weist aber darauf hin, dass bei diesem Modell nicht der volle Funktionsumfang der ISDN-Telefonie unterstützt wird.
Die Schwachstellen bei der Umstellung
Bei der Umstellung von ISDN auf VoIP sind vor allem die Aspekte Bandbreite und internes Netzwerk entscheidend. Flaschenhals Nummer eins ist die Bandbreite. Nach Angaben von Rolf Wagner, Bereichsleiter Telekom und Service Provider beim Beratungsunternehmen AWK, ist für eine Sprachleitung eine Bandbreite von 100 kbit/s nötig. Seit der Erhöhung der Anforderungen für die Grundversorgung am 1. Januar diese Jahres auf 2000 kbit/s Downstream und 200 kbit/s Upstream, sollte dies für zumindest eine Leitung ausreichen, erklärt er.
Dennoch kann im Einzelfall die Qualität über diese Leitung nicht ausreichen, hebt Stäheli hervor. Eine sehr hohe Ausfallsicherheit könne gewährleistet werden, indem ein zweiter Provider hinzugezogen wird, um schwache oder unsichere Verbindungen zu überbrücken. Für Venzin gehört das Thema Breitband hingegen der Vergangenheit an. In den meisten Regionen sei die Bandbreite für VoIP ausreichend und nur in ganz wenigen Regionen sei es noch wirklich ein Problem. Dem pflichtet auch Blum bei. Er schätzt, dass es in der gesamten Schweiz nur wenige Anschlüsse gibt, bei denen es wirklich zu Engpässen käme. Diese könnten über den Kabelanschluss oder Mobilfunk beliefert werden. Satelliten seien hingegen keine Lösung, da der Übertragungsweg für VoIP zu lang sei, so Blum.
Er hebt hervor, dass für die Sicherstellung der Mindestbandbreite alleinig Swisscom als Grundversorgungskonzessionärin verantwortlich sei. Dabei habe das Bakom die Anforderungen weitestgehend technologieneutral formuliert. Diese relative Freiheit bei der Erbringung der Grundversorgung hebt auch Olaf Schulze, Mediensprecher von Swisscom, hervor.
Roger Vogler, Sales Manager Deutschschweiz bei Peoplephone, und Roger Schaller, Mediensprecher bei Sunrise, sehen auch in den internen Netzwerken von Kunden eine Schwachstelle. Vor einer Umstellung muss dieses ausführlich auf dessen Eignung für die IP-Telefonie überprüft werden. Eine saubere Netzplanung und ein grosses Verständnis der VoIP-Technologie seien hierbei zentral, betont Vogler. "Noch vor 10 Jahren waren die Netzwerke katastrophal", bringt es Venzin auf den Punkt. Inzwischen habe sich hier aber viel getan, und oft seien die Unternehmensnetzwerke für die Umstellung gut gerüstet, sodass es hier nur noch wenige Probleme geben dürfte. Zudem hätten Firmen heute einen hohen Grad an Routine und technischem Know-how entwickelt, wodurch die Umstellung in den meisten Fällen problemlos vonstatten gehe.
Laut Stäheli und Venzin seien bei KMUs noch häufig die Vorurteile aus den Anfangsjahren der VoIP-Telefonie präsent. Diese würden häufige Ausfälle der Telefonie und langwierige Reparaturen befürchten. VoIP habe sich aber in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelt und sei deutlich stabiler, sagt Venzin. Bei überwachten und gemanagten VoIP-Anschlüssen für Unternehmenskunden seien Ausfälle im Vergleich zu privaten Anschlüssen äusserst selten. Daher seien diese seiner Meinung nach für businesskritische Anwendungen ein Muss.
Erreichbarkeit wird aufwendiger
Für Unternehmen ist bei geschäftskritischen Anwendungen die durchgehende Erreichbarkeit zentral. Für Venzin ist der einzige Vorteil von ISDN, dass diese Technologie (noch) ausfallsicherer ist als VoIP. Venzin rät daher immer zwei getrennte Bandbreitenzulieferer zu wählen, damit es einen Backup bei Ausfällen gibt. Die sogenannte "Life-Line" ist für geschäftskritische Anwendungen unverzichtbar.
Gerade auf dem Feld der Life-Line gebe es viele innovative Lösungen, sagt Venzin. Beispielsweise würden bei einigen Anbietern beim Ausfall der VoIP-Leitung sofort alle Anrufe auf das Handy umgeleitet. Viele kleine VoIP-Anbieter würden gemäss Venzin in diesem Feld mit Innovationen glänzen und sich von grossen Konkurrenten abheben.
Weichen jetzt stellen
Von der Einholung der ersten Offerte bis zur Realisierung der Umstellung sollten Unternehmen ein bis zwei Monate einplanen, empfiehlt Stäheli. Der Vergleich der Offerten, die interne Abstimmung und die Klärung des Projektumfangs nähmen die meiste Zeit in Anspruch. Die Umstellung könne dann häufig innerhalb eines Tages oder sogar im Laufe weniger Stunden durchgeführt werden, sagte Stäheli.
Keinen Anlass zum schnellen Handeln sehen auch Blum und Venzin. Bis zum Ende der ISDN-Telefonie wird noch viel Wasser den Rhein hinunterfliessen. Die Zeit für Abklärungen reiche noch. Doch warum nicht bereits heute vorsorgen?