Wild Card von Urs Bucher

Eine herbstliche (News-)Wanderung

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Wir mäandern (ein Wort, das man heutzutage viel zu wenig braucht) vom «Plateau of inflated expectations» (Gartner Hype Cycle, anybody?), auf dem die künstliche Intelligenz campiert, auf den Mount Rainier (bei Redmond, WA) und von dort auf den Engelberg (bei Gösgen). Die Aussichten sind durchwachsen.

(Source: Syda Productions/Adobestock.com)
(Source: Syda Productions/Adobestock.com)

Wir besteigen ein paar News-Gipfel, die aus dem dichten herbstlichen Informationsnebel hervorstechen.

Zu dem Film aus dem Jahr 1990 "Kevin home alone" könnte man heute eine Fortsetzung mit dem Titel "Open­AI – Sam home alone" produzieren. Die Frequenz, in der  Führungskräfte das Unternehmen OpenAI verlassen, ist schon fast höher als Donald Trumps unsägliche Posts auf Truth Social (ja, ich gehöre zum Team Harris/Walz). Da kann der gute Sam Altman noch so viel Risikokapital horten – aktuell sind’s locker 150 Milliarden US-Dollar.

Brillantes Stunt Marketing

Überhaupt, OpenAI, der Name ist brillantes Stunt Marketing. Seit 2019 ist da nichts mehr "open"; zu der Zeit verwandelte sich die Non-Profit-Organisation in eine hundskommune profitorientierte Firma.
Und dann? Along came Polly Microsoft und investierte. Anfang 2023 10 Milliarden Dollar – wie üblich spät, aber dann mit voller Wucht eingestiegen. "Normalerweise gut unterrichtete Kreise" vermelden ja, dass man sich damit 75 Prozent der OpenAI-Gewinne gesichert habe, bis man dann 49 Prozent der Aktien besitzt. Nice move, Satya!

Hab ich was verpasst?

Damit besteigen wir den nächsten News-Gipfel, irgendwo bei Redmond. All diese KI-Anfragen sind sehr, sehr hungrige Stromfresser. So hungrig, dass sich Micro­soft dazu verstieg, mit dem Besitzer des Atomkraftwerks Three Mile Island (Pennsylvania, USA) einen Vertrag abzuschliessen, mit dem man sich Stromlieferungen für die nächsten 20 Jahre sicherte. Moment, Three Mile Island ... da war doch was. Ach ja, da schmolz 1979 ein Reaktor. Der Besitzer investiert jetzt, mithilfe von Microsoft, 1,6 Milliarden Dollar, um es wieder in Betrieb zu nehmen. Man hofft, ab 2028 jährlich 835 Megawatt Strom generieren zu können. Das reicht aus, um 700 000 Haushalte mit Strom zu versorgen, oder eben, um viele hungrige KI-Copiloten zu füttern. Wie diese Investition von Microsoft auf das Sustainability-Ziel des Unternehmens einzahlt, bis 2030 "carbon negative, water positive and zero waste" zu sein, ist mir jetzt grad nicht mehr klar. Diese Atomkraftwerke produzieren immer noch nuklearen Abfall, oder hab ich da was verpasst?

Was ist schlimmer?

Unsere Herbstwanderung führt uns nun direttissima ins Schweizer Mittelland. Ich wuchs in der Nähe von Gösgen auf und erinnere mich noch immer lebhaft an das Jahr 1977, als "die Schweiz" gegen das geplante AKW demonstrierte. Das hinterliess bei mir einen bleibenden Eindruck. Nun diskutieren wir heute erneut, ob die Schweiz nicht wieder AKWs bauen soll. Ernsthaft jetzt? Ich könnte da drei Gründe aufzählen, die dagegen sprechen: Fukushima, Chernobyl und, ja eben, Three Mile Island. Lassen Sie mich mit einem kleinen Denkanstoss schlies­sen: Was ist schlimmer: Windkraftwerke, die zugegebenermassen wenig ästhetisch aussehen, oder nuklearen Abfall 1000 bis 10 000 Jahre zu lagern? 

Diese Kolumne entstand ganz ohne irgendwelche bewusst­seinsverändernde Substanzen, auch ohne halluzinierende Werkzeuge; alles selbst geklöppelt; einzig und allein mit guter Musik im Hintergrund: Robert Cray, 40 Nights of 40 Years Live. Brillant.

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