Innovation

Machen wir, was wir wollen, oder wollen wir, was wir machen?

Uhr | Aktualisiert
von Constantin Ettingshausen / Stefan Pieren

In welche Richtung sich die Onlinepräsenzen der Finanzdienstleister entwickeln sollten, darüber herrscht ein breiter Konsens. Doch ist den Trends zu folgen alles? Was braucht es, um sich von der Konkurrenz abzuheben und authentisch zu sein? Unternehmen müssen sich auch online auf ihre Stärken konzentrieren.

die "Digital Natives" lautstark das Vorhandensein von allem überall und jederzeit. Der Innovationszyklus wird kürzer und kürzer. Als wichtigste Frage stellt sich in diesem Zusammenhang: Ist eine langfristige Onlinestrategie in diesem Umfeld überhaupt noch denkbar?

Die Antwort ist klar: Sich dem ständigen Zugzwang auszusetzen und darauf zu reagieren, ergibt nicht nur keinen Sinn – es schafft auch Unzufriedenheit, intern wie extern. Ein Unternehmen, das allen Onlinetrends folgen würde, verlöre seine Authentizität. Nur unter Berücksichtigung dieses Grundsatztes kann eine langfristige digitale Strategie erstellt werden.

Zwei Überlegungen dazu sind zentral: Was sind meine "Must-haves", die ich digital anbieten muss, und anhand welcher Leistungsmerkmale kann ich meine eigenen Stärken in die digitale Welt transformieren und somit authentisch online auftreten?

Den Kundenbedürfnissen folgen

Unbestreitbar gibt es in der heutigen Onlinewelt so etwas wie "digitale Hygienefaktoren", welche die Kunden voraussetzen. Wenn sie vorhanden sind, steigert das die Zufriedenheit nicht, erst ihre Abwesenheit fällt auf und beeinflusst die User Experience negativ.

Kunden – und explizit nicht nur die Digital Natives – erwarten heute etwa zu Recht, dass ihre Bedürfnisse auf den Websites im Zentrum stehen: Fühle ich mich mit meinen Bedürfnissen angesprochen? Finde ich schnell und intuitiv, was ich suche? Ist das Inhaltsangebot massgeschneidert und hochwertig? Gerade die Erstellung von onlinegerechten, qualitativen Inhalten ist nicht nur eine Herausforderung für Redaktoren und Fachmitarbeiter, sondern auch entscheidend für eine konsistente Markenbotschaft. In den letzten drei Bench­mark-Studien "Banking & Insurance" von Unic ist unschwer zu erkennen, dass zahlreiche Unternehmen zu Recht in die User Experience und in eine Content-Strategie investierten.

Mobile Geräte stärker einbinden

Weniger durchgehend ist noch heute die Integration von mobilen Geräten. Neue Nutzungsmuster der zunehmend mobilen Gesellschaft setzen den Informationszugang mit den gerade zur Verfügung stehenden Geräten voraus – dies mit einer hohen Performanz und einfachen Kontaktmöglichkeiten mit zeitnahen Antworten auf gestellte Fragen. Zudem möchten die Kunden den so gewählten Kanal auch ungern verlassen. Gerade in der Versicherungsbranche sehen sie sich aber immer noch mit Medienbrüchen konfrontiert.

Die Geschwindigkeit der Entwicklungen im Onlinebereich ist hoch. Daher gibt es Funktionalitäten, die in absehbarer Zeit zu den "Must-haves" zählen werden, wo sie heute noch zu einer positiven Differenzierung beitragen.

In der Versicherungsbranche etwa entwickeln sich Kundenportale erst zögerlich. Ist die Versicherung gewählt, schätzen Kunden die Möglichkeit, möglichst viel mit dem Unternehmen online abzuwickeln. Ebenfalls am Anfang stehen die Bestrebungen, dem Kunden in absehbarer Zeit eine integrale Customer Journey anzubieten. Dabei kann der Kunde seine Reise zum idealen Produkt Schritt für Schritt auf denjenigen Geräten abwickeln, die er in verschiedenen Situationen zur Verfügung hat – online und offline – und dies trotz unterschiedlicher Touchpoints aus einem Guss. Möglicherweise mit personalisierten Angeboten, die gestützt auf Kundendaten oder aufgrund des Besucherverhaltens erstellt werden können und die Konversionsrate noch einmal beträchtlich steigern.

Die digitale Transformation ist nicht aufzuhalten

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Und wie gesagt: Die "Must-haves" werden auch von anderen Unternehmen integriert werden. Zur Differenzierung braucht es deshalb zusätzlich Begeisterungskriterien, die den Kunden überraschen und seine Zufriedenheit deutlich steigern. Die Stärken eines Unternehmens müssen daher auch im Onlinekanal zur Geltung kommen. Es dürfen dabei auch andere Stärken sein, als die anderen haben.

Grundlage, um diese "Begeisterungskriterien" zu erkennen und umsetzen zu können, sind die Kunden und das Wissen um deren Bedürfnisse. Hier sprechen wir nicht mehr über die Anforderungen aufgrund weltweit gültiger Internetstandards an die Onlinepräsenz, sondern über Forderungen, die Kunden gegenüber einem Unternehmen haben.

Die Menschen leben verhaltensökonomisch in zwei verschiedenen Welten, die entweder den sozialen Normen oder den Normen des Marktes unterworfen sind. Werden die beiden Normen im Geschäftsleben vermischt, geraten Unternehmen in Schwierigkeiten. Es ist daher eine tolle Idee, Kunden als Partner zu behandeln, wie es etwa eine Versicherung in den USA mit dem Slogan "State Farm ist für Sie da wie ein ­guter Nachbar" handhabt. Würde diese Versicherung allerdings bei Zahlungsverzug statt eines freundlichen Anrufs beim Kunden direkt eine Mahnung mit entsprechender Gebühr verschicken, wären die Normen vermischt und der Kunde würde sich alsbald abwenden.

Dieser Verhaltensökonomie sollten sich Unternehmen auch bei der Erarbeitung der Onlinestrategie und der Gestaltung des Onlinekanals bewusst sein. Zentrale Fragen sind: Was hat Unternehmen im Offlinemarkt erfolgreich gemacht? Wurden die Onlineleistungen mit der eigenen Markenidentität abgeglichen? Wie sind die Aussenstellen in die Customer Journey integriert? Wissen Firmen, wer auf der Website nach was sucht? Kennen Unternehmen nicht nur den typischen "Branchen-Onlinekunden", sondern auch ihren eigenen Kunden wirklich?

Die digitale Transformation findet statt. Irgendwann werden die Finanzdienstleister durchgängige digitale End-­zu-End-Prozesse über alle Systeme hinweg zur Verfügung stellen und ihre Hausaufgaben gemacht haben. Aber jedes Unternehmen erarbeitet sich seine Online-Erfolgsfaktoren selbst. Unternehmen sollten sich daher ausser auf die Must-haves auch auf ihre Stärken konzen­trieren. Die Strategie sollte dabei auf der Grundlage von gesicherten Erkenntnissen beruhen.

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