Kunden wollen bessere Cross-Channel-Angebote
Zum zehnten Mal hat das Forschungszentrum für Handelsmanagement der Universität St. Gallen seinen Internettag veranstaltet. Die Besucher kamen nach Rüschlikon ans GDI, um über die Digitalisierung des Handels zu diskutieren.
"Innovationen sind wichtig. Viel wichtiger ist jedoch, dass sie von den Konsumenten wahrgenommen werden." Mit diesen Worten eröffnete Thomas Rudolph, Professor für Marketing und internationales Handelsmanagement an der Universität St. Gallen, die Vortragsreihe am Internettag in Rüschlikon. Rudolph präsentierte aktuelle Ergebnisse einer Langzeitstudie, die er vor 18 Jahren initiierte. Die Studie untersucht den Onlinehandel und die Internetnutzung in der Schweiz.
Mehr Freizeit im Netz
Das Internet ist allgegenwärtig. Doch in der Freizeit wird es nochmals deutlich häufiger genutzt, wie Rudolph festhielt. Den Ergebnissen zufolge verbringen unter 25-Jährige in ihrer Freizeit knapp vier Stunden pro Tag im Internet. Bei den über 55-Jährigen sind es über drei Stunden, nachdem dieser Wert im Jahre 2013 noch 1,3 Stunden betrug. Die zur Studie Befragten verbringen also über alle Altersgruppen hinweg immer mehr Zeit online. 25 Prozent aller Befragten nutzen stündlich das Internet. In den vergangenen zwei Jahren nahm dieser Wert um 4 Prozentpunkte zu.
Rudolph erklärte die steigende Nutzung des Internet vor allem mit der Zunahme an Angeboten. Ein weiterer Faktor sei die Entwicklung der Internetverbindungen, nämlich der Flatrate und insbesondere des mobilen Internets. "Das Smartphone wird zum dominanten Device, wenn wir von Internetnutzung sprechen", gab Rudolph zu verstehen. Dies führe dazu, dass die Unterscheidung zwischen On- und Offline immer schwieriger werde. Die aktive Nutzung werde durch eine permanente Passivnutzung abgelöst.
Mehr Vielfalt im Netz
Die Vielfalt der Angebote im Netz nahm zu, bilanzierte Rudolph. Die zehn meistbesuchten Websites erreichten 2017 nur noch 50 Prozent des Traffics. Zwei Jahre zuvor waren es noch 64 Prozent. Rudolph zog aus diesem Befund den Schluss, dass die Marktkonzentration im Netz abnimmt.
Menschen zögen grundsätzlich immer eine grosse Auswahl gegenüber einer kleinen vor, sagte Jens Uwe Intat, VP Hardlines von Amazon Deutschland. Ein endloses Sortiment würde allerdings sämtliche Marktteilnehmer überfordern. Folglich müssten Anbieter die entscheidende Aufgabe übernehmen, aus einem vielfältigen Angebot eine relevante Auswahl zu treffen. Was für den Kunden relevant ist, bleibt aus der Sicht der Anbieter allerdings fraglich.
Bewegung bei den meistbesuchten Websites
Die Studie von Rudolph weist regelmässig die meistbesuchten Websites in der Schweiz aus. Der Referent richtete den Blick auf die Veränderungen gegenüber der vorherigen Ausgabe der Studie, die im Jahre 2015 publiziert wurde.
Unter den Top 20 der meistbesuchten Websites kamen neu die NZZ (Platz 15) und Netflix (Platz 14) hinzu. An erster Stelle verdrängte Google Facebook auf den zweiten Platz, das 2015 noch an der Spitze lag. Wikipedia stieg von Platz 11 auf Platz 6.
Bei den Absteigern hob Rudolph Twitter hervor. Der Kurznachrichtendienst fiel in diesem Jahr von Platz 15 aus den Top 20 heraus.
Die Ranglisten sind in gewisser Hinsicht Momentaufnahmen. Rudolph und sein Forschungsteam zeigen mit der Studie auch längerfristige Trends auf. Dazu gehört etwa die Zunahme von Cross-Channels. Mit der Kombination von Online- und Offlinekanälen wird die Perspektive des Kunden auch für Händler wichtiger.
Den Kunden nicht nur abfangen, sondern von ihm lernen
Viele Unternehmen sehen das Internet als Chance, um neue Kunden aufzuspüren. Dass Firmen im Web auch viel von ihren Kunden lernen können, erklärte Constantin Hilt, CEO von Siroop. Das Feedback von Kunden sei hilfreich, um Strategien sowie Produkte zu entwickeln und um Prioritäten zu setzen. Sofern Unternehmen die Rückmeldungen ihrer Kunden zulassen und ihre Kritik ernst nehmen, könnten sie wertvolle Einsichten gewinnen. Auch etwaige Kosten für Dienstleistungen von Beratungs- oder Marktforschungsunternehmen liessen sich auf diese Weise einsparen.
Wie wichtig die Perspektive des Kunden für die Retailbranche ist, betonte auch Kathrin Maurer, ehemals Head of Retail bei Porsche Design. Ihr zufolge fokussieren sich viele Händler zu sehr auf die Produkte, statt aus der Perspektive des Kunden zu denken.
Kunden wollen das Beste aus beiden Einkaufswelten
Maurer plädierte für einen zeitgemässen Cross-Channel-Ansatz. Der stationäre Handel sollte zur Bühne werden, die den Kunden mit allen Sinnen anspricht. Onlinekanäle könnten den Handel auf unterschiedliche Weise unterstützen, etwa indem die Händler dort Informationen zu Produkten bereitstellen. Ein weiteres Beispiel wären Beacons, welche die Kunden via Bluetooth benachrichtigen, sobald sie einen bestimmten Ort im Geschäft erreichen. Händler könnten ihren stationären Point-of-Sale mit solchen und anderen Hilfsmitteln zum Erlebnis machen.
Auch Thomas Rudolph beleuchtete das Thema Cross-Channel bei der Präsentation der Ergebnisse seiner Langzeitstudie. Kunden erwarteten solche Cross-Channel-Angebote, wie sie Maurer vorschlage, sagte er. Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass der reine Onlinehandel nicht mehr in demselben Tempo wachse, wie dies in früheren Ausgaben der Studie der Fall gewesen sei. Die Präferenz für den reinen Onlineeinkauf bei digitalisierbaren Produkten wie etwa Musik oder Filme steige nur leicht. Für Produkte, die wie etwa Möbel nicht digitalisierbar seien, stagniere die Vorliebe für den Onlinekauf erstmals, sagte Rudolph. Über dieses Ergebnis zeigte sich er erstaunt. Er folgerte daraus ein zunehmendes Bedürfnis nach Cross-Channel-Angeboten.
Kunden wünschen sich gemäss Rudolph das Beste aus beiden Einkaufswelten. Mit diesem Befund ging Rudolph einig mit den Empfehlungen von Kathrin Maurer: Der ideale Cross-Channel-Einkauf sollte die Vorzüge des stationären Handels mit jenen des E-Commerce verbinden und auf diese Weise das Shoppingerlebnis verbessern.
Ladegeschwindigkeit als Erfolgsfaktor
"Aus Sicht der Konsumenten liegt das grösste Problem des E-Commerce darin, dass die mobilen Websites zu langsam laden." Diese Aussage stammt von Gregor Doser, Industry Leader Retail Schweiz von Google. Gemäss Doser beträgt die durchschnittliche Ladezeit von Websites auf mobilen Endgeräten zehn Sekunden. Die geringe Ladegeschwindigkeit vieler Websites auf mobilen Geräten bremse den Onlinehandel. Umgekehrt gelte der Leitsatz: Je schneller die Website lädt, desto erfolgreicher ist ihr Betreiber. Seiner Berechnung zufolge steigt die Klickrate von Websites pro Sekunde weniger Ladezeit jeweils um 25 Prozent.
Doser lud Website-Anbieter dazu ein, ihren Onlineauftritt auf testmysite.thinkwithgoogle.com zu testen. Interessierte könnten dort ihre Website danach prüfen, wie schnell sie auf mobilen Geräten lädt.
Den Bogen nicht überspannen
Über neue Möglichkeiten des datenbasierten Marketings sprach Benjamin Steen, Head of Digital Projects and CRM des FC Bayern München. Der Fussballklub bewirtschaftet für seinen Aussenauftritt alle möglichen Onlinekanäle. "Das Ziel muss sein, Leute auf Drittplattformen anzusprechen", sagte Steen. Die 43 Millionen Facebook-Follower des Vereins seien potenzielle Kunden. Auf dem Social-Media-Kanal erhalte der Klub die Zustimmung der Nutzer, um ihnen Push-Benachrichtigungen oder Newsletter zu schicken.
Bei solchen Strategien sei jedoch Vorsicht geboten, gab Steen zu bedenken. Die loyale Beziehung zu den Fans dürfe der Klub nicht überbeanspruchen. "Der Klick auf 'unsubscribe' folgt relativ schnell", führte er weiter aus.
Dass Unternehmen ihre Kunden mit aggressiver Onlinekommunikation vergraulen können, betonte auch Todd Tran, Managing Director bei Teads Mobile. Er erwähnte das Beispiel der Ad-Blocker, die den Werbern im Netz ein Dorn im Auge sein dürften. Seiner Meinung nach liegt das Problem bei jenen Werbeformaten, die sich den Nutzern aufzwingen. Seine Antwort an die Werbewirtschaft heisst: "Opt-in". Dieser Begriff bezeichnet ein Verfahren, bei dem der Nutzer etwa per E-Mail, SMS oder Telefon erst ausdrücklich zustimmen muss, bevor er eine Werbung vorgesetzt bekommt.
Die Studie von Thomas Rudolph und seinem Team basiert auf der Onlinebefragung von 2178 Personen. Die Forscher zogen eine Stichprobe, die nach demografischen Quoten (Alters- und Geschlechterverteilung) gewichtet wurde.