Tag 2 des Swiss eHealth Forums

Warum die Umsetzung des elektronischen Patientendossiers harzt

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Die Umsetzung des elektronischen Patientendossiers wird ein hartes Stück Arbeit. Es gibt gleich mehrere Herausforderungen: eine unklare Rechtslage, die doppelte Freiwilligkeit, die schwierige Finanzierung und eine Tendenz zu Minimallösungen. Das zeigte ein Besuch am Swiss eHealth Forum in Bern.

Die Rechtsanwältin Ursula Widmer referiert am Swiss eHealth Forum
Die Rechtsanwältin Ursula Widmer referiert am Swiss eHealth Forum

Am Freitag fand das Swiss eHealth Forum seinen Abschluss. Bereits der erste Tag der Veranstaltung lieferte den Teilnehmern viel Diskussionsstoff rund um das elektronische Patientendossier. Am zweiten Tag stand die Umsetzung im Vordergrund. Wie sieht es mit der Finanzierung aus? Lässt sich das EPDG einfach an die Primärsysteme anbinden? Und was ist mit dem Datenschutz? Fragen gab es in Bern viele – und das Swiss eHealth Forum lieferte Antworten.

Grosse Herausforderungen

Der Bundesrat verabschiedete den Gesetzesentwurf über das elektronische Patientendossier im Mai 2013. National- und Ständerat folgten im Juni 2015. Spitäler und Pflegeheime müssen nun das System übernehmen, die Behandelnden im ambulanten Bereich dürfen es übernehmen. So oder so kann der Patient selbst entscheiden, ob er ein elektronisches Patientendossier (EPD) eröffnen will oder nicht.

Der Tenor am zweiten Tag des Swiss eHealth Forums war eindeutig: Das EPDG umzusetzen, wird ein hartes Stück Arbeit. Ausnahmslos alle Referenten wiesen auf Probleme mit der Implementierung des EPDs hin.

Jürg Blaser, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Informatik, bemerkte, dass nicht alle Daten maschinenlesbar seien. Rechtsanwältin Ursula Widmer bezeichnete Datenschutz und Datensicherheit als "riesige Herausforderungen". Christian Dolf von der Beratungsfirma CSP fragte, wer die Umsetzung finanzieren soll. Und Daniel Notter, Projektmanager bei Pharmasuisse, wünscht sich weniger Silodenken bei den Behandelnden.

Thomas Wiechert von Swisscom Health und Florian Liberatore von der ZHAW zeigten die hohen Anforderungen an eine sichere Datenspeicherung auf. Ahdis-Gründer Oliver Egger warb für die Nutzung offener Schnittstellen. Axsana-Geschäftsführer Samuel Eglin sagte, dass die Verlässlichkeit der EPD-Daten begrenzt sei. Und Aurélie Rosemberg und Maëva Beressa zeigten, dass es auch im E-Health-Pionierkanton Genf nicht einfach ist, das EPD umzusetzen.

Revision des Datenschutzgesetzes bringt neue Regeln

Ursula Widmer von der Kanzlei Dr. Widmer & Partner stellte fest, dass die Entwicklung von Datensicherheit und Persönlichkeitsschutz noch zu wenig stark ausgeprägt sei. Sie zeigte Risiken im Umgang mit Daten für das EPD auf. Etwa die Weitergabe von Infos an Nichtberechtigte, der Zugriff durch nichtautorisierte Personen oder Datenverlust und Datenfälschung. Auch die Nichtverfügbarkeit von Informationen bei einer Störung der IT-Systeme könne ein Problem sein.

Widmer gab zudem einen Ausblick auf die Revision des Datenschutzgesetzes. Es sehe unter anderem eine Verschärfung der Sanktionen vor. Der Höchstbetrag der Bussen bei Verstoss sei auf 500'000 Franken angesetzt. Und die Busse sei personengebunden. "Das ist gefährlich", sagte Widmer. "So finden wir bald keine Leute mehr, die sich als IT-Verantwortliche in einem Spital anstellen lassen." Welche Regeln für das EPD gelten würden, sei aber zum Teil noch unklar. Hier gebe es dringenden Klärungsbedarf, sagte die Rechtsanwältin.

Wer bezahlt?

Christian Dolf von CSP zeigte auf, dass E-Health ein Standortvorteil sein kann. Gemeinden können Anreizsysteme für die Nutzung digitaler Identitäten und des EPDs schaffen. Dabei stelle sich immer die Frage der Finanzierung. "Wer soll das bezahlen?", fragte Dolf. "Einer allein kann es nicht."

Die Lösung für die Finanzierung des elektronischen Patientendossiers seien Public-Private-Partnerschaften. Alle sollten sich beteiligen: Gemeinden, Kantone, die Ärzteschaft, die E-Health-Plattformanbieter, Spitäler und Stiftungen. "Man muss den Beteiligten immer wieder den Nutzen aufzeigen und Vertrauen schaffen", sagte Dolf. Nur einer bezahle im Idealfall nichts – der Patient.

Silodenken bringt Probleme

Daniel Notter von Pharmasuisse ging auf die Probleme bei der Erarbeitung eines Austauschformats ein. Welche Informationen braucht es für die E-Medikation überhaupt? "Viele Behandelnde wissen gar nicht, was andere Behandelnde in ihrer Praxis tun", sagte Notter. Dieses Silodenken sei problematisch.

Auch Oliver Egger wies auf dieses Problem hin. Der HL7-Standard für den elektronischen Austausch von medizinischen Daten bilde die Grundlage des EPD, sagte der IT-Architekt. Für die Umsetzung des Standards gebe es Hilfestellungen von eHealth Suisse. Sie sei entweder mit dem E-Health Connector, Schnittstellen für Drittsysteme oder über einen direkten Austausch mit den geforderten IHE-Profilen möglich. Mit HL7 FHIR gebe es auch eine API für E-Health-Apps. Sie decke rund 80 Prozent der gebräuchlichen Anwendungsfälle ab, unterstütze REST und habe eine grosse Entwicklercommunity.

"Die Zeit der Monolithen und Einzellösungen ist vorbei, interoperable Zusammenarbeit ist gefragt", sagte Egger. Die Zukunft gehöre offenen, interoperablen Schnittstellen. Für die Hersteller seien das keine Millionenprojekte. Die Bereitschaft für eine schnelle Umsetzung fehle aber oft.

Man muss nicht alles digitalisieren

Thomas Wiechert von Swisscom Health und Florian Liberatore von der ZHAW führten 20 Interviews mit Spitälern, Therapeuten, Pflegeheimen, Apotheken, Allgemeinmedizinern und Fachärzten. Wiechert und Liberatore fragten die E-Health-Akteure, wie viele Daten pro Patient entstünden. Die meisten hatten darauf keine Antwort. Das Schweizer Gesundheitswesen erzeuge pro Jahr rund 1,5 Millionen Gigabyte an Daten. Das klinge nach viel, sei aber wenig. "Rund 200 MB pro Einwohner", sagte Wiechert. "Also etwa 40 bis 50 Lieder im MP3-Format". Oder 6 volle Einkaufstüten mit 128-GB-USB-Sticks, sagten die Referenten.

"Die vollständige Digitalisierung des Gesundheitswesens hat keine signifikante Erhöhung der Datenmenge zur Folge", sagte Liberatore. Bei einem der befragten Spitäler würden zwar rund 220 Tonnen Papier im Archiv lagern. Aber man müsse nicht alles digitalisieren. 73 Prozent der digitalen Daten im Schweizer Gesundheitswesen erzeugten die Spitäler, hiess es im Vortrag. Die meisten Dokumente auf Papier würden bei niedergelassenen Ärzten entstehen.

Datentreiber seien bildgebende Verfahren, die Digitalisierung der Pathologie, 3-D-Ultraschall-CT und Next Gen Sequencing. Wenn Daten die Schweiz nicht verlassen, sei auch eine Cloud-Speicherung möglich, sagten die Referenten. Mehr Details zu ihrer E-Health-Umfrage sollen Mitte 2017 erscheinen.

Tendenz zu Minimallösungen

Samuel Eglin, Geschäftsführer von Axsana, bemerkte, dass die Verlässlichkeit der Informationen im EPD begrenzt sei. Wegen der doppelten Freiwilligkeit und der Zugriffssteuerung durch den Patienten. Die Vollständigkeit und Aktualität der Daten seien nicht garantiert. Darum sei auch der Nutzen für die Leistungserbringer nur begrenzt. Für die Leistungserbringer sei das EPD zudem ein neuer Prozess und nicht bloss eine Unterstützung eines Prozesses, den sie schon kennen. "Die Leistungserbringer sind darum nicht die Treiber des EPD", sagte Eglin.

Auch er wies auf die ungeklärte Finanzierungsverantwortung hin. Die Zertifizierungsvorgaben würden Kosten verursachen, und die Zahlungsbereitschaft der freiwilligen Teilnehmer sei klein. Es gebe darum eine Tendenz zu Minimallösungen. "Es braucht mehr Anreize für die Leistungserbringer", sagte Eglin. "Vielleicht müssen wir auch bereit sein, über negative Anreize zu sprechen."

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