Die Schweiz an der Cebit: Bloss keine falsche Bescheidenheit!
Die Schweiz war auch dieses Jahr wieder an der Cebit vertreten. Mit intelligenten Drohnen, fahrerlosen Bussen und einer smarten Kletterwand. Einer war allerdings nicht da: Bundesrat Johann Schneider-Ammann. Die Begründung für seine Absage erstaunte.
"Die Cebit ist nicht mehr das Gleiche wie früher", sagte der Taxifahrer, als er den Autor dieser Zeilen zum Messegelände chauffierte. Früher, da sei noch richtig was los gewesen. Bill Gates habe Windows 95 vorgestellt, und mit ihm seien über 750'000 Leute gekommen. Die Aussteller hätten damals wie wild um die besten Plätze gekämpft, die Stadt sei voll und die Hallen seien rammelvoll gewesen.
Besucht man die Cebit heute, spürt man davon nur noch wenig. Das Gelände der Deutschen Messe in Hannover ist mit 463'285 Quadratmetern zwar immer noch riesig, so gross wie 65 Fussballfelder. Und im Messebereich gibt es alles. Kirche, Flughafen-Shuttle, Polizei, Gebetsraum für Muslime, Copyshop. Die Cebit nutzt aber nicht mehr alle Anlagen. Der Messeplan zeigt 27 Hallen, belegt sind dieses Jahr nur 14.
Zerknittert, aber hilfreich: Hallenplan der Cebit 2017
Schneider-Ammann sagt ab
Trotzdem gilt die Cebit noch immer als grösster B2B-Event der IT-Welt. Die Veranstalter erwarten dieses Jahr rund 200'000 Besucher. Die Messe dauert 5 Tage. Anwesend sind rund 400 Start-ups und 3300 Aussteller aus 70 Ländern. Etwa aus Japan, Partnerland 2017, und der Schweiz, Partnerland 2016.
Der Swiss Pavilion ist in der Mitte von Halle 6
ICTswitzerland und T-Link realisierten erneut einen Swiss Pavilion. Der wichtigste Gast sollte Bundesrat Johann Schneider-Ammann sein – doch er sagte ab. Die Begründung erstaunte. Er habe keine hochkarätigen bilateralen Termine auf höchster Ebene erhalten, erklärte Christine Schraner Burgener vor versammelter Schweizer Delegation. Die Schweizer Botschafterin in Berlin vertrat den Bundesrat würdig und referierte gekonnt.
Botschafterin Christine Schraner Burgener spricht vor der Schweizer Delegation im Swiss Pavilion.
Im rund 500 Quadratmeter grossen Swiss Pavilion waren etwa 30 Schweizer Aussteller anwesend. Die Innovationskraft schien Schraner Burgener zu beeindrucken. "Wir müssen aufhören, Schweizer Bescheidenheit zu üben", sagte die Botschafterin. Die Schweiz müsse sich an der Cebit nicht verstecken. Das habe die diesjährige Eröffnungsrede von Angela Merkel gezeigt. Die deutsche Bundeskanzlerin erwähnte, dass sie gerne die autonomen Busse der Schweiz testen würde – wenn sie denn Zeit dafür finde.
Smart Shuttles der Post an der Cebit
Die Smart Shuttles der Schweizerischen Post fuhren an der Cebit eine rund 200 Meter lange Strecke. Sie kreisten vom Eingang West 1 (siehe Plan oben) durch die Halle 13 zur Halle 12. "Wir dürfen die Halle 13 gratis nutzen", verriet Philippe Cina im Gespräch mit der Redaktion. Cina ist Head of Development für die internationalen Märkte bei Postauto Schweiz. Die Cebit habe die Post angefragt und nicht umgekehrt, sagte Cina. Einige Automobilhersteller seien ebenfalls interessiert gewesen. "Aber die Cebit wollte unbedingt uns."
Philippe Cina, Head of Development für die internationalen Märkte bei Postauto Schweiz.
"Viele Leute aus Europa und Asien besuchen nun Sitten, um unsere autonomen Shuttles zu sehen", sagte Cina. Postauto Schweiz wolle an der Cebit zeigen, dass die Digitalisierung bei der Schweizerischen Post ein grosses Thema sei. Sie fahre gerade mehrere digitale Pilotprojekte, auch für den kommerziellen Einsatz von Drohnen. Die "Smart Shuttles" könnten für viele Unternehmen interessant sein. Etwa für Flughäfen, Spitäler und Forschungseinrichtungen. Oder für sehr grosse Privatanwesen, sagte Cina.
Schweizer Start-ups machen auf sich aufmerksam
Die Schweizer Delegation an der Cebit besteht aus über 60 Leuten. Einer davon ist Nationalrat Marcel Dobler. "An der Cebit lernt die Welt eine Schweiz kennen, die in Sachen Innovation ganz vorne mitläuft und die Digitalisierung unermüdlich vorantreibt", sagte der frischgebackene Präsident von ICTswitzerland.
In Halle 12 gab es noch eine weitere Schweizer Präsenz. Dort lautete das Thema "Communication & Networks". Auch in Halle 11 war die Schweiz vertreten, zum ersten Mal überhaupt mit einem eigenen Start-up-Pavillon. In Halle 6 fand zudem ein Start-up-Pitch-Event statt. Es referierten Bestmile, Qumram und Advertima. Bestmile entwickelt eine Flottenmanagement-Software für die autonomen Fahrzeuge der Post. Qumram kann Chat- und Onlinekanäle wie Whatsapp und Linkedin rechtssicher aufzeichnen. Und Advertima erkennt, wer gerade in einen Bildschirm schaut und liefert so personalisierte Inhalte aus.
Ein Schweizer Start-up hatte an der Cebit gar seinen ersten öffentlichen Auftritt: ITficient. Vor Ort waren Geschäftsführerin Teresa Alberts und der technische Leiter Fabian Müller. Sie bieten Big Data für KMUs an. Genauer: Consulting, Predictive Analytics und Lösungen, die auf den Amazon Web Services laufen. "Wir gewannen im Dezember den ersten Kunden", sagte Alberts, ohne den Namen zu verraten. Die beiden seien an der Cebit, um ITficient bekannter zu machen und neue Kontakte zu knüpfen.
Teresa Alberts und Fabian Müller von ITficient.
Dialog mit der Industrie und Wirtschaft
Schweizer Universitäten und Hochschulen waren ebenfalls vor Ort. Die ETH hatte im Vergleich zu einigen anderen Ständen im Swiss Pavilion keine Probleme, Besucher anzulocken. "Die Drohne hilft wohl", sagte Marianne Lucien, Kommunikationsverantwortliche der Hochschule. Sie meinte damit die Fotokite des ETH-Spin-offs Perspective Robotics, die seelenruhig über dem Stand hin- und herflog. Die ETH wolle sich mit ihrem Auftritt an der Cebit bekannter machen und die Industrie direkt ansprechen, sagte Lucien. Das zweite Projekt am Stand war eine Technologie von Verity Studios, ebenfalls ein ETH-Spin-off. Es gewann letztes Jahr für diese Performance einen Award am New York City Drone Film Festival:
Marianne Lucien und Michael Fiechter von der ETH Zürich.
Auch die ZHAW war vor Ort. Sie präsentierte gleich mehrere Projekte, unter anderem die Plattform Industrie 4.0. Sie kombiniert Know-how aus verschiedenen Forschungsfeldern, um Unternehmen für die Industrie 4.0 fit zu machen. Etwa aus dem Supply Chain Management, der Automatisierung, dem Cloud Computing und dem Risk Management. Die ZHAW präsentierte zudem eine mit Sensoren vollgespickte Kletterwand, die in der Schaffhauser Kletterhalle Aranea+ bereits im Einsatz ist. "Wir zeigen uns an der Cebit als Partner für Forschung und Entwicklung und suchen den Dialog mit der Wirtschaft", sagte Andreas Rüst, der an der ZHAW die Forschungsgruppe Internet of Things leitet.
Das Team der ZHAW an der Cebit.
Prozessmanagement und Mobilitätsforschung
Die Redaktion sprach noch mit weiteren Vertretern von Schweizer Firmen. Etwa mit Dourgam Kummer, "Associé" von Fractal Swiss. Die Westschweizer beraten Unternehmen zu Themen wie Führung, Zertifizierungen und Nachfolgeregelungen. "KMUs sind heute stark technologieorientiert, haben aber das Prozessmanagement oft nicht im Griff", sagte Kummer. Fractal Swiss wolle an der Cebit darauf aufmerksam machen, Kontakte knüpfen und Kunden gewinnen. Das Unternehmen arbeitete etwa mit Décision zusammen, die gemeinsam mit Bertrand Piccard das Solarflugzeug Solar Impulse baute.
Dourgam Kummer, "Associé" von Fractal Swiss.
Auch das ETH-Spin-off Senozon ist an der Cebit. Es ist auf Mobilitätsforschung und Standort-, Verkehrs- und Infrastrukturplanung spezialisiert. Die 2010 gegründete Firma beschäftigt 20 Mitarbeiter. Drei davon in Wien, drei in Berlin und Düsseldorf. Senozon könne Fragen wie "Was passiert, wenn die Schweiz 10 Millionen Einwohner hat?" beantworten, sagte Verkaufsleiter Dariush Daftarian. Das Unternehmen setzte bereits Projekte für Valora, Mediamarkt, Rewe und die SBB um. Die Technologie eigne sich zum Beispiel für Plakatwerbung oder die Bewertung von Immobilien-Portfolios. Senozon wolle nun enger mit Telkos zusammenarbeiten. Das sei einer der Gründe für den Besuch der Cebit, sagte Daftarian.
Verkaufsleiter Dariush Daftarian (l.) und Verwaltungsratspräsident Jan Fülscher von Senozon.
Der Cebit-Auftritt der Schweiz war nur durch die Hilfe von Partnern möglich. Ausser IBM, Ruag, SAP und Swisscom unterstützen auch die Kommission für Technologie und Innovation und das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation den Swiss Pavilion. Auch das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco, Präsenz Schweiz, der Kanton Zürich und Switzerland Global Enterprise halfen mit.