Was die Schweizer Blockchain-Community bewegt
Nur wenige sind mit dem Crypto Valley und der Blockchain-Community so vertraut wie Ralf Glabischnig. Als Mitbegründer der Crypto Valley Labs, Managing Partner bei Inacta und Initiant der Blockchain Competition kennt er die Branche. Im Interview zeigt er, wo Ängste, Hoffnungen und Potenzial liegen.
Wie viele Unternehmen, die mit der Blockchain-Technologie arbeiten, gibt es mittlerweile im Crypto Valley?
Ralf Glabischnig: Für mich besteht das Crypto Valley aus der Schweiz und Liechtenstein, und da stehen wir gemäss unserem "Crypto Valley Directory" momentan bei 450 Firmen. In Zug als Herz des Crypto Valley sind davon über 200 ansässig.
Wie viele Arbeitsplätze haben diese Unternehmen im Crypto Valley geschaffen?
Über 3000 Leute arbeiten in der Schweiz und in Liechtenstein aktuell im Blockchain-Bereich. Wir wollen nun zusammen mit Stadt und Kanton Zug noch einen Schritt weiter gehen und herausfinden, wie das Steuersubstrat hinter diesen Firmen aussieht. So können wir bessere Angaben über die Branche machen und nachweisen, was sie für die Schweiz bringt. Am Ende des Tages geben uns solche Daten auch mehr Gewicht. Das Crypto Valley besteht eben nicht nur aus ein paar verrückten "Nerds", sondern aus einer Industrie, die bereits mehrere tausend recht gut bezahlte Arbeitsplätze geschaffen hat.
Wie sind Sie vorgegangen, um das Crypto Valley Directory zu erstellen?
Wir versuchten, alle möglichen Quellen anzuzapfen. Wir haben ein Team von drei Leuten, die zum Beispiel im Handelsregister oder an Events nach Blockchain- oder Krypto-Firmen suchen. Inzwischen haben wir ausserdem eine Art Gateway-Funktion, sodass fast alle Firmen bei uns einmal vorbeikommen und wir sie erfassen können. Dabei unterscheiden wir verschiedene Aspekte. Etwa ob eine Firma bereits als Krypto-Start-up gegründet wurde, ob sie einen Token herausgibt oder ob sie ein Serviceprovider ist.
Was ist als Nächstes geplant?
Als Nächstes wollen wir die Top-40-Unternehmen (keine Serviceprovider) anhand von drei Kriterien definieren: Gab es eine Finanzierung (klassisch oder ICO) von mehr als 3 Millionen Franken? Ist die Marktkapitalisierung höher als 10 Millionen Franken? Arbeiten mehr als zehn Mitarbeiter im Unternehmen? So wollen wir die relevanten Blockchain-Projekte identifizieren.
Welche der Firmen im Crypto Valley setzen die Blockchain nicht nur für ICOs oder Kryptowährungen ein?
Viele der Firmen versuchen, den erzeugten Token auch effektiv in ihrem Geschäftsmodell zu nuten. Zwei sehr unterschiedliche Beispiele dazu sind "Qiibee", welche die Tokens als Treuepunkte auf der Blockchain nutzen. Ein weiteres Beispiel ist der "SwissRealCoin". Der Firma geht es darum, Immobilien als Token auf der Blockchain abzubilden. Es gibt aber auch andere. Ich beschäftige mich gerade mit einem Versicherungsprojekt namens "Kasko2go". Das entwickelt eine App, die misst, wie häufig und unter welchen Rahmenbedingungen ein Auto gefahren wird. Zum Schluss werden die Daten in die Blockchain geschrieben, um sie sicher und vor allem unveränderbar abzulegen.
Wo sehen Sie persönlich das grösste Potenzial für die Blockchain?
Das grösste Potenzial sehe ich im Real-Estate-Bereich. Immobilien haben sehr viel mit Intermediären zu tun. Da müssen wir viel flexibler werden, etwa mit dem Trend hin zu Coworking Spaces. Ein Airbnb für Geschäftsimmobilien könnte man sehr schön auf der Blockchain abbilden. Die Frage ist, wie sich dieser Prozess mit der Blockchain automatisieren und runterbrechen lässt. Aus diesem Grund haben wir dieses Jahr eine Real Estate Blockchain Competition mit einem Preisgeld von 100'000 US-Dollar für die beste Geschäftsidee gestartet.
Welche Ziele verfolgen Sie mit solchen Competitions?
Auf der einen Seite wollen wir wissen, was im Blockchain-Bereich alles läuft. Mit Bewerbungen aus aller Welt können wir eine Art Crowd Research betreiben und diesen Service auch in der etablierten Geschäftswelt der Schweiz anbieten. Auf der anderen Seite geht es darum, die drei besten Firmen hierher zu holen und dem Crypto Valley so mehr Substanz zu geben.
Gibt es ein Beispiel, in dem sich die Blockchain als ungeeigneter Ansatz herausstellte?
Für mich sind im Moment noch die Internet-der-Dinge-Themen offen. Mit einer Blockchain wie "IOTA" sollen einmal alle Elemente im Internet der Dinge miteinander kommunizieren können. Wenn wir da die schiere Menge der Geräte – wir sprechen hier von Billionen IOT-Devices – betrachten, davon ist die Skalierbarkeit der Blockchain-Technologie noch meilenweit entfernt.
Wie kann ein Schweizer Unternehmen von den Start-ups des Crypto Valley profitieren?
Wir werden mit Sicherheit zwei Sachen sehen. Erstens einen zusätzlichen Payment-Kanal mit Kryptowährungen. Das ist nichts Aussergewöhnliches mehr. Verschiedene lokale Geschäfte und Onlineshops akzeptieren schon Bitcoin als Zahlungsmittel. Bei Bitcoin gibt es natürlich die Herausforderung der Transaktionskosten. Darum werden weitere, besser geeignete Coins als Zahlungsmittel folgen. Zum Beispiel das Projekt "Feathercoin", das durch ein Schweizer Team vorangetrieben wird. Zweitens werden wir den Austausch von Daten auf die Blockchain bringen. Es wird neue Schnittstellen zwischen Kernsystemen von Grossunternehmen geben, mit denen wir Daten anders austauschen als bisher. Ganz früher funktionierte das mit Papier, dann kam XML und im nächsten Schritt werden es auf Blockchain basierende Schnittstellen sein.
Können Sie dazu ein Beispiel nennen?
Es gibt etwa das Projekt "Car Dossier", in dem etablierte Unternehmen wie Amag, Axa, Mobility und das Strassenverkehrsamt AG zusammenarbeiten. Die gesamten Informationen im Rahmen des Lebenszyklus zu einem Fahrzeug sollen damit auf die Blockchain kommen. Damit können alle Netzwerkteilnehmer vom Generalimporte über den Wiederverkäufer, Versicherer, Finanzierungspartner bis zum Strassenverkehrsamt und nicht zuletzt der Inhaber die Daten in einer Blockchain ablegen und die für sie relevanten Daten – natürlich berechtigungsgesteuert – auslesen und zurückschreiben. Ein Teil der Datenhaltung wird aus meinem System herausgenommen und direkt beim Objekt in der Blockchain sein. So lässt sich das Objekt im Prinzip durch die Supply Chain und alle Systeme hindurch führen. Von der Entwicklung über die Auslieferung und so weiter.
Welche Projekte im Crypto Valley sind bereits produktiv im Einsatz?
Richtige Produktionsphasen haben noch die wenigsten Projekte. Sehr viel von dem, was heute auf Blockchain produktiv ist, ist Asset Management. Da geht es darum, Assets wie Kryptowährungen zu handeln. Solange wir aus dem nicht rauskommen, ist Blockchain nichts anderes als eine Asset-Management-Lösung. Aber das ist nun einmal das, mit dem derzeit Geld verdient wird. Bei den produktiven Lösungen für Unternehmen erwarte ich den Durchbruch 2019.
In welchen Bereichen hat sich die Blockchain nach Ihren Erfahrungen besonders bewährt und in welchen nicht?
Wir nutzen die Blockchain aktuell primär zur Finanzierung von Unternehmen mittels ICOs, statt für wirkliche Geschäftsmodelle in der Praxis. Genauso läuft es in der ganzen Branche. Die Wertschöpfung findet in der Verwaltung von Kryptowährungen statt, nicht in echten Projekten. Als Tool fürs Asset Management hat sich die Blockchain also bewährt – wenn auch Hand in Hand mit einer gefährlichen Spekulation. Bei den Use Cases für die Geschäftswelt sind wir aber noch nicht dort, wo wir hinwollen.
Sie haben im vergangenen Jahr die Crypto Valley Labs mitbegründet. Welche Ziele verfolgen Sie mit der Institution?
Wir haben festgestellt, dass das Crypto Valley zwar einen super Ruf hat, aber es fehlt der Ort, an dem die Leute arbeiten und sich treffen können. Genau dieses Zentrum wollen wir mit den Crypto Valley Labs bereitstellen. Wir bieten seit Februar 2018 Coworking Spaces, aber auch Raum für die Förderung und Vernetzung von Start-ups. So müssen sich Jungunternehmen nicht um administrative Themen kümmern, sondern können sich auf ihr Produkt konzentrieren. Per Ende Mai konnten wir bereits Verträge mit über 80 Unternehmen in diesem Bereich abschliessen.
Wie profitieren die Start-ups sonst noch von den Labs?
Was man nicht vergessen darf: 8 von 10 Start-ups werden scheitern. Das ist überall so, nicht nur in der Blockchain-Welt. Wenn man die Leute aber im gleichen Gebäude hat, fangen sie sich gegenseitig am Ende des Tages wieder auf. Jene die scheitern, können bei neuen Projekten wieder zusammenkommen und daraus lernen.
In welche Richtung entwickelt sich die Blockchain-Branche?
Es findet eine Professionalisierung statt. Es ergibt keinen Sinn, einem Start-up 100 Millionen Franken zu geben und zu hoffen, dass es damit seine Pläne aus dem White Paper in die Tat umsetzt. Das ist einfach weltfremd. Wenn ein Start-up plötzlich über so viel Geld verfügt, wird es damit nicht effizient umgehen können. Das liegt in der Natur des Menschen. Wir werden auch in der Blockchain-Welt zu einer Step-by-Step-Finanzierung mit Zwischenzielen wie beim klassischen Venture-Capital-Modell kommen. Ein ICO kann dann eine Chance sein, in der Schweiz Zugang zu mehr Startkapital (auch grössere Finanzierungsrunden) zu erhalten, die bisher nur international – im Silicon Valley – möglich waren.
Wo liegen die grössten Hürden?
Die erste Hürde ist der technologische Reifegrad. Skalierbarkeit und Nachhaltigkeit der Lösungen müssen wir erst noch sicherstellen. Das wird noch eine Weile dauern. Die zweite Herausforderung ist es, wirklich marktreife Produkte zu schaffen. Bei der Benutzerfreundlichkeit sind wir zum Beispiel aus meiner Sicht noch nirgends. Solange ich wie heute mit Wallets und Private Keys hantieren muss, werden wir keinen Massenmarkt erreichen. Es wird deshalb ein gesundes Mass an Intermediären brauchen, damit wir komfortabel mit der Technologie umgehen können. Daran – Blockchain für die Masse und nicht nur für die Tech-Geeks – arbeiten jetzt viele.
Welche Ängste bestehen?
Es gibt die Befürchtung, dass Missbrauchsfälle, etwa bei Kryptowährungen oder ICOs, das Ganze ins Schwanken bringen und die Regulatoren zu Verboten bewegen. Wir werden auf jeden Fall Misserfolge und verbranntes Geld sehen, und das wird ein schlechtes Licht auf die Branche werfen. Da müssen wir durch. Die Blockchain befindet sich im Moment beim Hype Cycle noch im Aufstieg. Der Rückschlag wird kommen, dann wird es langsam aber sicher wieder aufwärts gehen. Darauf muss man einfach vorbereitet sein und genug Luft haben, um diese Phase zu überstehen.
Gibt es schon Firmen, die zur Finanzierung ICOs durchführen, aber auf dem Markt kein Blockchain-Produkt anbieten?
Das wird kommen. Im Moment hat das aus meiner Sicht noch nicht funktioniert, weil die Vermarktung eines ICOs vor allem in der Krypto-Community stattfand. Damit musste auch das Produkt etwas mit Blockchain zu tun haben. Mit der zunehmenden Professionalisierung des Instruments ICO werden aber auch andere Firmen darauf setzen. Dann könnte sich auch eine Bäckerei oder ein Hotel damit finanzieren. Dazu muss aus dem aktuellen Hype aber noch ein standardisierter und legalisierter Prozess werden. Als Beispiel: Vor einem Jahr kostete ein Start-up ein ICO zwischen 100'000 und 200'000 US-Dollar. Jetzt sind es 500'000 bis zu 1 Million US-Dollar. Für einen kleineren Finanzierungsbetrag stehen so Aufwand und Ertrag in keinem Verhältnis.
Welche Herausforderungen gibt es im Crypto Valley im Moment?
Durch die ICOs haben wir eine besondere Herausforderung. Klassische, professionelle Investoren konnten die Quote von Misserfolgen bei Start-ups regeln, indem sie ihre Investments breit streuten. Jetzt kann plötzlich jeder investieren, hat aber keine Garantie, bei den wenigen erfolgreichen Unternehmen dabei zu sein. Das wird noch für viele Turbulenzen sorgen und viele Privatinvestoren ihr ganzes Geld kosten. Da kann gar niemand etwas dafür. Da investiert jetzt einfach eine Zielgruppe in etwas, das sie nicht kennt.
Und auf der technologischen Ebene?
Hier sehen wir grosse Fortschritte beim Thema Skalierbarkeit. Ausserdem gehen jetzt erste Projekte mit der Blockchain live. Wir haben beispielsweise mit der Partners Group im September des letzten Jahres eines der ersten Projekte überhaupt gestartet, bei dem die Blockchain produktiv in einem Unternehmen genutzt wird. Da sind mittlerweile über 2000 Transaktionen im Umfang von mehreren Milliarden Franken auf der Blockchain gesichert worden. Wir stehen in der technologischen Entwicklung noch am Anfang, aber mit jedem Jahr kommen wir vorwärts.
Blockchain-Lösungen versprechen mehr Sicherheit und Vertrauen. Glauben Sie persönlich daran?
Wir müssen wieder Macht für den Nutzer zurückholen, die uns das Silicon Valley genommen hat. Facebook, Google & Co. nutzen unsere Daten. Mit der Blockchain-Technologie haben wir eine Chance, diese Daten zurückzubekommen. So lässt sich Datenschutz effektiv umsetzen. Ausserdem wird meiner Meinung nach alles, was einen Wert besitzt, auf die Blockchain kommen. Von kleinen Dingen wie einer Uhr bis hin zur Immobilie. Alle Informationen rund um diese Güter – Besitzer, Versicherung, Wert – werden dann in der Blockchain gehalten. Der grösste Wert, den wir schliesslich auf die Blockchain bringen können, wird der Mensch selbst sein – unsere Identität und unsere Eigenschaften und Taten.
Im Fintech-Bereich haben grosse Firmen irgendwann angefangen, mit Start-ups zusammenzuarbeiten. Wird die Entwicklung bei den Blockchain-Start-ups ähnlich verlaufen?
Ja, absolut. Nur zusammen kann man wirklich etwas verändern. Deshalb steht hinter den Crypto Valley Labs und der Blockchain Competition auch die Idee, Start-ups und gestandene Unternehmen für Innovationen zusammenzubringen. Hinderlich ist da im Moment noch, dass die Unternehmenswelt grundsätzlich erst dann aktiv wird, wenn Umsätze da sind. Die haben wir im Blockchain-Umfeld noch nicht, deshalb machen Firmen wie UBS oder CS noch vieles selbst. Aber sobald erste Start-ups mit Umsätzen und Kunden am Markt sind, werden grosse Unternehmen zuschlagen.
IBM, PWC, UBS – viele grosse Unternehmen haben heute eine Blockchain-Abteilung. Wie schätzen Sie die Gefahr ein, dass die Crypto-Valley-Start-ups dabei auf der Strecke bleiben?
Grundsätzlich wird Blockchain den Weg neu definieren, wie wir kommunizieren. Früher sorgte ein Papier für Vertrauen zwischen Geschäftspartnern, etwa in Form einer Versicherungspolice. Mit der Digitalisierung verschwand das Papier, dafür mussten Intermediäre die Vertrauensbildung übernehmen. Mit Blockchain können wir nun dieses Vertrauen wieder in Geschäftsprozesse bringen – sowohl zwischen Unternehmen wie auch zwischen Unternehmen und Konsumenten. Das heisst, jede grosse Firma wird Schnittstellen in die Blockchain einrichten, entweder als Zahlungssystem oder als Transportsystem. Darum ist es wichtig, dass sie sich mit Blockchain beschäftigen.
Und die Start-ups?
Auf der anderen Seite gibt es neue Geschäftsmodelle, welche die Möglichkeit zur Disruption bieten. So könnte die Blockchain zum Beispiel die Sharing-Economy umkrempeln. Auch dort lässt sich nämlich der Mittelsmann aus dem Spiel nehmen. So bleibt für den mehr übrig, der den Service anbietet. Das wird in verschiedenen Branchen stattfinden, aber es kann nur vonseiten eines Start-ups passieren. Denn die etablierten Firmen haben kein Interesse an solchen tiefgreifenden Umwälzungen und sind gar nicht in der Lage dazu. Für diese disruptiven Elemente werden Start-ups auch in Zukunft da sein.
Ist die Debatte um Initial Coin Offerings (ICO) und den Kurs der Kryptowährungen eine Gefahr für die Blockchain-Unternehmen?
Absolut. Wenn ich Blockchain erkläre, sehe ich immer drei Bereiche. Der erste ist Kryptowährungen, der zweite ist ICOs und der dritte ist Prozessinnovation. Diese Bereiche sind miteinander verbunden, aber doch gesondert zu betrachten. Beispiel Kryptowährungen: Die sind Spekulationsobjekt und für die Schweiz im Alltag nicht enorm spannend, denn wir haben schon genügend Zahlungsmöglichkeiten und eine sichere Wertaufbewahrung mit unserem funktionierenden Finanzsystem. In Ländern mit wenig Verbreitung von Banken und viel Unsicherheit im Finanzsektor können sie aber durchaus eine grosse Rolle spielen. Bei den ICOs sieht es genau gleich aus. Sie sind eine super Chance zur Dezentralisierung des Kapitals. Aber wie ich gesagt habe: Acht von zehn Projekten werden scheitern. Das wird negativ auf den ganzen Markt zurückfallen.
Und die Blockchain?
Blockchain als Prozessinnovation ist gekommen, um zu bleiben. Im Moment geht es darum, die Leute aufzuklären, damit sie die drei Bereiche auseinanderhalten können. Sie sollen nicht den Eindruck bekommen, dass mit dem Kurs des Bitcoin die Technologie steht oder fällt. Daran arbeiten wir und daran arbeitet die ganze Industrie. Ich selbst bin überhaupt kein Krypto-Trader. Tokens und Coins gehören für mich dazu, aber ich interessiere mich für die Prozessinnovation und für die Finanzierung von Innovationen und Start-ups.
Sind die riesigen Versprechungen vieler Blockchain-Firmen ein Problem? Sollte man nicht stärker auf Realismus statt Optimismus setzen?
Das wird von allein kommen. Wir sehen im Moment bei den ICOs den Weg von den Utility Tokens zu den Security Tokens. Früher machte man aus allem einen Utility Token, also ein Nutzungsrecht an einem Service. Jetzt bekommen Investoren vermehrt Security Tokens, also Anteile an Unternehmen. Wenn ich einen solchen Security Token lanciere, muss ich auch meinen Prospektpflichten nachkommen und werde viel genauer an meinen Versprechungen gemessen. Das allein wird Realismus bringen – und den brauchen wir auch.
Wo steht die Schweiz wirklich im Blockchain-Bereich? Ist das Crypto Valley der zentrale Standort der Welt oder nur einer unter vielen?
Ich glaube, wir haben eine sehr zentrale Position in der Welt, vor allem als eine Art Hauptquartier. Andere Standorte kommen aber sehr schnell voran. Im näheren Ausland ist etwa die Entwicklung in Berlin, Kiew oder Bukarest spannend. Das hat auch damit zu tun, dass ein Start-up an diesen Standorten mit 1 Million Franken sehr unterschiedlich weit kommt. Wir müssen in der Schweiz neunmal so effizient sein, um mit Bukarest mitzuhalten. Darum glaube ich stark an dezentralisierte Teams. Oftmals arbeiten zwei bis vier Leute eines Start-ups hier in Zug, fünf weitere in Bukarest und 20 Leute irgendwo sonst auf der Welt. Da sehen wir eine frühe Dezentralisierung von Projekten, die bislang nur Grossunternehmen vorbehalten war.
Was gibt es sonst noch für Konkurrenten?
Weltweit betrachtet müssen wir natürlich auf das Silicon Valley schauen. Wenn die dortigen Unternehmen tatsächlich auf den Zug aufspringen sollten, bringen sie eine enorme Power mit. Bis jetzt haben sie es Gott sei Dank nicht so ernsthaft gemacht. Singapur macht einen sehr guten Job, zumindest auf der politischen Ebene. Da muss man sich allerdings fragen: Will ich mit einer sehr dezentralen Idee wie Blockchain wirklich in ein sehr zentralistisches Land? Das Gleiche gilt für Weissrussland, wo auch auf politischer Ebene viele Versprechen gemacht werden.
Was unterscheidet die Schweiz von diesen Standorten?
Die Schweiz passt ihre Gesetze nicht hastig für die Blockchain an. Wir schauen hier, wie man Gesetze interpretieren muss, damit die Technik damit konform ist – langsam, aber zuverlässig sozusagen. Singapur, Gibraltar oder Malta versuchen dagegen jetzt in das Ganze hineinzuspringen und ihre Gesetzgebung anzupassen. Dann weiss ich aber nicht, ob sie nach einigen Missgriffen die Gesetze nicht einfach wieder zurückändern. Da ist das Schweizer System, wo Dezentralisierung in der DNA liegt, natürlich das perfekte Umfeld. Diese Nachhaltigkeit ist die Stärke der Schweiz. Wir sollten das als riesige Chance sehen. Eine Chance, die man, wenn überhaupt, nur einmal im Leben bekommt und mutig ergreifen sollte.
Was sollte die Politik Ihrer Meinung nach beim Thema Blockchain tun?
Ich bin eigentlich sehr zufrieden damit, wie es in der Schweiz läuft. Neben den sehr kooperativen Zuger Politikern haben wir mit Johann Schneider-Ammann und Ueli Maurer zwei Vertreter im Bundesrat, die dem Ganzen sehr offen gegenüberstehen. Natürlich werden einzelne Misserfolge schnell aufgegriffen und vom politischen Gegenpol aktiv in der Diskussion verwendet. Hier ist es aus meiner Sicht wiederum sehr wichtig, die unterschiedlichen Aspekte der Blockchain-Technologie zu berücksichtigen.
Was könnte besser laufen?
Wir können natürlich nicht als Krypto-Nation dastehen, wenn wir Blockchain-Start-ups keine Bankkonten zur Verfügung stellen wollen. Viele Start-ups haben im Moment keine Möglichkeit, in der Schweiz Bankverbindungen einzugehen. Da müssen wir gemeinsam mit der Finma zu einer vernünftigen Regulierung kommen. Es kann ja nicht sein, dass wir mit allen Projekten nach Liechtenstein gehen müssen, um ein Konto zu eröffnen.
Worauf hofft die Blockchain-Community? Was treibt sie an?
Sehr viele in der Community haben ein liberales Gedankengut. Es geht im Kern darum, überflüssige Intermediäre zu eliminieren, seine Daten wieder zurückzubekommen und die Benutzer demokratisch einzubinden. Wir reden ja bei der Blockchain von Konsensus-Mechanismen. In der Schweiz gibt es zwei Wörter, die gibt es in Deutschland und Österreich gar nicht: Vernehmlassung und Auslegeordnung. Diese beiden Wörter beschreiben einen wichtigen Teil der Blockchain. Die Transaktion wird in einer Vernehmlassung auf alle Server ausgeliefert und dem zugrunde liegt technologisch gesehen eine Auslegeordnung. Wenn jetzt zum Beispiel Dubai zur Blockchain-Regierung werden will, dann wollen sie das auf eine technologische Weise, aber nicht auf eine ideologische Weise. Das stecken ganz andere Grundgedanken dahinter.