Rentner-Rikscha und Hyperloop am Asut-Kolloquium
Das 20. Asut-Kolloquium hat sich um den digitalen Wandel der Mobilität gedreht. Auf der Bühne präsentierten sich ein E-Bike-Start-up sowie ein Konzept für die datengestützte Verwaltung einer Megastadt. Die Referenten diskutierten darüber, was die Zukunft bringen soll und wie sich die Schweiz für die Veränderungen in der Mobilität rüsten kann.
Am 13. November haben sich Vertreter von Telekommunikation und Mobilität zum 20. Asut-Kolloquium im Berner Kursaal getroffen. Die gemeinsam mit dem Bundesamt für Strassen (Astra), der Mobilitätsplattform ITS-CH und dem TCS durchgeführte Fachtagung stand unter dem Motto "Enable Future Mobility – Erwartungen und Realität". Diesem Motto getreu präsentierten Referenten im Verlauf des Tages, was passiert oder passieren könnte, wenn sich Mobilität verändert.
Dass sich in diesem Bereich viel tut, zeigte sich bereits in den ersten Minuten, als Moderatorin Barbara Josef die Gastgeber auf die Bühne bat und sie fragte, ob sie im vergangenen Jahr etwas neues in Sachen Mobilität ausprobiert hätten. Asut-Präsident Peter Grütter etwa erzählte von seiner ersten Fahrt mit einem elektrischen Tretroller durch die Stadt Marseille – "macht höllisch Spass", kommentierte er die Erfahrung und fügte
schmunzelnd an: "Das einzige, was stört, sind die Fussgänger". Astra-Direktor Jürg Rötlisberger lobte den Einsatz von Algorithmen zur Geschwindigkeitsharmonisierung auf Autobahnen: Zwischen Bern und Thun komme es zu 50 Prozent weniger Unfällen und zu 30 Prozent weniger Stau. Peter Goetschi, Zentralpräsident des TCS, verwies darauf, dass er seit ein paar Monaten ein E-Auto fahre – "sehr bequem". Und Andreas Kronawitter, Geschäftsführer von ITS-CH, erwähnte einen bedarfsgesteuerten Ortsbus in Herzogenbuchsee.
Start-ups im Dorf, Daten in der Megacity
Wie dieser Ortsbus entstand, erläuterte etwas später Hans-Kaspar Schiesser, einer der Initiatoren, der sich selbst als "Vertreter der Grufti-Generation" vorstellte. Herzogenbuchsee habe zwar diverse bekannte Einrichtungen, etwa ein Hallenbad oder ein Handballzentrum. Diese seien aber nicht durch den öffentlichen Verkehr erschlossen und seien deshalb etwa für ältere Menschen ohne Auto nur erschwert zu erreichen. "Wenn
das Problem die alten Menschen betrifft, warum können sie es nicht auch lösen helfen?", habe sich das Projektteam gefragt. Innert kürzester Zeit hätten sich an die 60 freiwillige Fahrer für das Projekt "Ebuxi" begeistern lassen. Gefahren werde mit E-Autos oder einer Rikscha, und wer den Ortsbus rufen wolle, tue dies per App. "Rekrutieren Sie die Alten", gab Schiesser dem Publikum auf den Weg. Und an die IT-Entwickler gewandt, fügte er an, man könne es auch mit"Applikationen und Funktionen übertreiben – Reduce to the Max".
Hans-Kaspar Schiesser. (Source: Markus Senn)
Auch Corinne Vogel, COO und Mitgründerin von Smide, stellte ihr bereits realisiertes E-Bike-Projekt vor. Die Fahrräder werden per App lokalisiert, gebucht und bezahlt. Positives Kundenverhalten, etwa das Abstellen der E-Bikes an oft frequentierten Plätzen, wird mit Gratisminuten belohnt. Smide-Velos rollen seit 2016, und das Unternehmen habe heute an die 20'000 Schweizer Kunden, sagte Vogel. Gehindert werde die Vision oft durch Regulatorien, die für Private strikter seien als für öffentliche Vorhaben. "Gebt uns innovative Freiheit, nachhaltige Mobilität zu ermöglichen" war ihre Forderung.
Mit Big Data befasste sich Norman Frisch, Chairman der ELTE Industrie-Allianz und Marketing Direktor der Huawei Enterprise Business Group. Diese spielten in Megacities wie Shenzhen eine essentielle Rolle. Überall in der Stadt sammelten Sensoren ständig Daten, die dann an eine zentrale Verwaltung weitergegeben würden. Die Daten könne man auswerten und zur Optimierung von Verkehr, Energie oder baulichen Massnahmen nutzen – natürlich anonymisert, wie Frisch mehrfach betonte. Bahne sich etwa ein Unwetter an, könne man aufgrund vergangener Auswertungen sehr genau voraussagen, welche Buslinien verstärkt werden müssten, um eine Überlastung zu vermeiden. Und als vor ein paar Jahren ein Bahnhof für Hochgeschwindigkeitszüge geplant wurde, habe man dessen Standort aufgrund der Nutzerdaten festgelegt, und nicht aus einem Bauchgefühl heraus. Wie die Daten schlussendlich gesammelt und übermittelt wurden, sei egal, fand Frisch. "Wichtig ist, dass wir die Daten erhalten."
Norman Frisch. (Source: Markus Senn)
Züge, Flüge, Hyperloop
Woran die Mobilitätsbranche für die Zukunft arbeitet, zeigten gleich mehrere Referenten auf: Oliver Kaiser, Leiter Entwicklung und Member of the Executive Board bei Stadler Bussnang, gab einen Einblick in die Züge von morgen. Für die Passagiere steht dabei mehr Komfort und mehr Konnektivität im Vordergrund. Die Bahnunternehmen profitierten ihrerseits von zunehmender Automatisierung, etwa beim Disponieren von Fahrzeugen. Bis ein Zug dereinst ganz ohne Fahrer auskomme, werde es aber noch eine Weile dauern, sagte Kaiser.
Neues vom Flughafen Zürich präsentierte CEO Stephan Widrig. Es sei ein Hub, der Individual- und öffentlichen Verkehr verbinde, sagte er. Die Luftfahrt sei elementar für Wirtscahft und Forschung, und man müsse in der Planung davon ausgehen, dass der Bedarf zukünftig weiter zunehme. Dabei gehe es nicht darum, möglichst viel Verkehr zu erzeugen, sondern möglichst viele verschiedene Ziele direkt erreichbar zu machen. "Wir sollten nicht verteufeln, international angebunden zu sein", sagte Widrig in Bezug auf die Klimadebatte. Der Flughafen habe eine Zero-Carbon-Strategie für das Jahr 2050 beschlossen, und man wolle die Digitalisierung nutzen, um den Betrieb weiter zu optimieren.
Denis Tudor, CEO und Co-Gründer von Swisspod Technologies, präsentierte seine Vision eines Hyperloops zwischen Genf und Zürich. Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 1200 Kilometer pro Stunde sollen dereinst Kapseln à 35 Passagiere durch einen unterirdischen Tunnel gejagt werden. Die Reisezeit zwischen den beiden Städten würde sich voraussichtlich von drei Stunden (mit den Zug) auf unter 40 Minuten verkürzen. Aber das System spare nicht nur Zeit, sondern auch Energie, und der Carbon-Fussabdruck sei 10 mal kleiner als jener eines E-Autos. Der Bau des Hyperloops solle 50 Millionen Franken pro Kilometer kosten, sagt Tudor, und eine Transportkapsel schlage mit unter 2 Millionen Franken zu Buche. Die Pläne erinnerten stark an das Projekt Swiss Metro, welches vor einigen Jahren für gescheitert erklärt wurde. Sein Hyperloop sei indes weiter entwickelt als das alte Projekt, betonte Tudor, und er frage sich nicht mehr, ob das Projekt verwirklicht werde, sondern wann und wo.
Denis Tudor. (Source: Markus Senn)
Innovation fördern: wer und wie?
Damit die Schweiz für neue Lösungen im Mobilitätsbereich attraktiver wird, braucht sie ein Ökosystem. So lautet die Erkenntnis aus einer Studie, welche HSG-Studentin Michaela Leitner und Gabriele D'Achille, Head of Transportation and Logistic bei PWC Schweiz, vorstellten. Der Schweizer Markt sei derzeit fragmentiert. Unterschiedliche Geschäftsfelder, etablierte Strukturen und Überregulierung seien die grössten Barrieren. Die Studie plädiert für eine gesamtschweizerische Governance, ein Amt für Mobilität, welches sich der Querschnittsherausforderungen wie dem Datenaustausch oder der Skalierbarkeit annehmen sollte. Einzelne Mobilitätsakteure werden die Herausforderungen und die verschärfte Wettbewerbssituation nicht meistern können, sagten die Referenten: "Es muss ein Umdenken zu mehr Kollaboration und Partnerschaft stattfinden."
Wie eine Stadt neue Projekte ganz praktisch unterstützt, zeigte schliesslich Doris Wiederwald von Austratech, einer Agentur des österreichischen Verkehrsministeriums. In sogenannten urbanen Mobilitätslaboren können Start-ups ihre Ideen in einer Stadt, "in bestehenden Mobilitäts-Ökosystemen" testen. Die Labore werden von allen involvierten Stakeholdern betrieben, namentlich von der öffentlichen Hand, Benutzern und Forschungseinrichtungen. Sie bieten Hand bei Regulationen, vermitteln Daten, Know-how sowie Kontakte und helfen beim Abklären von Nutzerbedürfnissen. So lassen sich Projekte nicht nur schneller testen, sondern auch einfacher in den Regelbetrieb überführen. In Salzburg betreibe das Mobilitätslabor etwa die "Haltestelle 4.0", an welcher sich laufend neue Technologien für ÖV-Haltestellen testen lassen. Sowohl Regionen wie Unternehmen könnten durch urbane Labors profitieren, sagte Wiederwald.
Am Schluss der Konferenz war es schwer, ein generelles Fazit zu ziehen. "Rentner-Riskha bis Hyperloop, lokal bis Zukunft", fasste Peter Grütter seine Eindrücke zusammen. Mobilität gehöre zu den grossen zivilisatorischen Errungenschaften, und heute sei sie einmal nicht als "Problem" diskutiert worden. Und Jürg Rötlisberger fügte an, die Schweiz sei grundsätzlich gut aufgestellt: "Aber nichts zählt, wenn wir es nicht tun."
Andreas Kronawitter, Peter Grütter, Peter Goetschi, Jürg Röthlisberger (v.l., Source: Markus Senn)