Die Krankenkasse der Zukunft
Die digitale Transformation verfügt über enormes Potenzial, das Gesundheitswesen zu revolutionieren. Aber selbst fortgeschrittene Ökonomien tun sich schwer damit, in diesem Bereich die neuesten Technologien und Methoden zu implementieren.
Constantin Schindler: Im Vergleich zu anderen Branchen ist das Gesundheitswesen bei der digitalen Dokumentenverarbeitung am schwächsten entwickelt. Was sind Ihrer Meinung nach heute die relevanten Trends, die eine Schweizer Krankenversicherung nicht versäumen darf?
Otto Bitterli: Ich bin der Meinung, dass sich die Führung eines Unternehmens nicht nur nach den Trends richten sollte, sondern eine eigene Vorstellung darüber haben muss, was für es selbst und seine Transformation relevant ist. Genau das haben nach meiner Beobachtung viele nicht. Es besteht die Gefahr, dass überall und nirgends investiert wird. Die Trends sind an sich klar: Hyperpersonalisierung und Agilität führen einerseits zu neuen Möglichkeiten des Kunden und brechen die Branchengrenzen auf. Mehr Data und mehr «Machine Power» führen zu vollkommen neuen Geschäftsmodellen.
Schindler: Was ist Ihre Vision bezüglich einer erfolgreichen Krankenversicherung in der Zukunft? Was sind die notwendigen Pfeiler, die das Erfolgskonzept ausmachen werden?
Bitterli: Ich gehe davon aus, dass sich auf längere Sicht die Strukturen vollkommen verändern: Die Krankenversicherer sind Kinder der Industrialisierung und hatten da den Auftrag der sozialen Absicherung. Welche Rolle sie im digitalen Umfeld einnehmen, ist vollkommen offen. Es muss ihnen gelingen, Mehrwert beim Kunden und «Sinn» zu stiften. Den Sinn darin zu sehen, mittels Tarifwerken und vermeintlich hartem Auftreten gegenüber den Leistungserbringern Kosten zu sparen, hat sich als nicht zielführend erwiesen. Im Gegenteil: Es wurde immer teurer. Ich gehe davon aus, dass sich auf der einen Seite Leistungserbringer und Krankenkassen zusammenschliessen werden im Sinne einer integralen Gesundheitsvorsorge. Auf der anderen Seite werden sich Privat- und Krankenversicherer, im Sinne der integralen Altersvorsorge, zusammenfinden. Was man heute vorkehren muss, um diesen Weg sukzessive beschreiten zu können, überlasse ich der Fantasie des Lesers.
Schindler: Welche Bedeutung spielt das Omni-Channel-Management von Krankenversicherungen in Bezug auf die Kundenkommunikation?
Bitterli: Omni-Channel-Management ist ein wichtiges Instrument, um den Kunden integral, verlässlich und individuell begleiten zu können. Der Kunde wählt den Kanal fallweise und nach seinen Bedürfnissen und er möchte in jedem Fall immer die gleiche Auskunft bzw. Antwort erhalten. Das macht das Management so anspruchsvoll. Omni-Channel ist nicht nur ein Instrument des Vertriebs, sondern ein umfassendes Interaktionsmodell gegenüber dem Kunden, schliesst demzufolge auch die Interaktion im Bestandes- und im Leistungsmanagement mit ein.
Schindler: Bereits heute treten Endkunden von Schweizer Krankenversicherungen über immer neue Kommunikationskanäle mit einer breiten Palette von Anliegen an die Krankenkassen heran, etwa via E-Mail, Social Media oder Chatbot. Werden Anfragen nicht innerhalb weniger Stunden zufriedenstellend beantwortet, sinkt die Kundenzufriedenheit und Unternehmen laufen Gefahr, den Kunden an einen Mitbewerber zu verlieren. Wie kann eine Krankenversicherung diesem Anspruch gerecht werden, die Kommunikation mit dem Endkunden über diverse Kommunikationskanäle jederzeit sicherzustellen?
Bitterli: Das ist sehr anspruchsvoll, weil manuelle und digitale Prozesse übereinanderliegen. Einerseits müssen (a) die Mitarbeitenden geschult sein, (b) zwischen Datawarehouse bzw. «data lake» und CRM die gleichen Regeln hinterlegt werden, (c) die neuen Kanäle erschlossen und (d) eine neue Architektur der vollkommenen Digitalisierung aufgebaut werden. Diese Architektur geht meines Erachtens immer mehr in Richtung «data lake» bzw. «cloud» und wird mit der Zeit die CRM-Welt ersetzen. Meine Beobachtung ist dabei auch, dass sich alle nach bestem Wissen und Gewissen nach der Decke strecken. Je mehr parallel digitale Kanäle und Offlinekanäle bestehen, umso wichtiger dürfte dabei das klare Verständnis über ein digitales Zielbild bzw. eine Architektur sein.
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