Was Schweizer Verwaltungen aus der Coronakrise lernen
Welche Lehren kann man schon heute aus der Coronakrise ziehen? Wie sieht die Zukunft der digitalen Verwaltung in der Schweiz aus – und was bringt der Trend zum Homeoffice? Auf diese und weitere Fragen antworteten die Referenten der Plenartagung Städte- und Gemeindeinformatik 2020.
Die jährliche Plenartagung Städte- und Gemeindeinformatik (SGI) ist bereits zum zwölften Mal über die Bühne gegangen – doch zum ersten Mal auf diese Art. Aus bekannten Gründen fand die Veranstaltung rein virtuell statt. Die Veranstalter boten den rund 110 Teilnehmern aber dennoch die Möglichkeit, sich in die Diskussionen einzubringen. So stellten die Zuschauer ihre Fragen per Chat an die Referenten. Und via QR-Code waren die Gäste auch eingeladen, Feedbacks abzugeben.
Das Leitthema der Tagung lautete: "Plötzlich digital – Erfahrungen aus der Corona-Krise." Es ging also um die "lessons learned" aus der Covid-19-Pandemie in der Verwaltungsinformatik, um neue Arbeitsmodelle und Arbeitsweisen und darum, was nach der Krise bleibt.
Digitale Seuchenbekämpfung: klingt neuer, als es ist
"Was heisst schon plötzlich", sagte Martin Huber, Geschäftsleiter der Schweizerischen Informatikkonferenz (SIK), gleich zum Auftakt. Huber nahm die Zuhörer mit auf eine Zeitreise – zurück zu vergangenen Zukunftsprojekten der Schweizer Verwaltungsinformatik. Ein erstaunlicher Rückblick: Huber zeigte auf, dass es hierzulande schon seit 30 Jahren Bestrebungen gab, um mit digitalen Hilfsmitteln die Eindämmung von Seuchen zu unterstützen. 1992 ging es beispielsweise um die Ausrottung der Tollwut durch eine räumliche Impfstrategie. Und um die Bewältigung von Tierseuchen wie die Maul- und Klauenseuche. "Schon damals ging es darum, Technologien einzusetzen, um aus 'trockenen' Daten aussagekräftige Informationen zu gewinnen", sagte Huber.
Martin Huber, Geschäftsleiter der Schweizerischen Informatikkonferenz (SIK), eröffnete die SGI-Tagung 2020. (Source: Screenshot)
2001 gab es bereits Projekte, die mithilfe von Echtzeit-Datenanalysen den Schutz von besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppen – etwa Kinder und betagte Menschen – verbessern sollten. An einem dieser Projekte war Huber selbst beteiligt. Er habe damals für den Kanton Basel-Stadt ein System gebaut, mit dem man genau berechnen konnte, wie man im Falle eines Virusausbruchs die Menschen am besten evakuieren kann. "Etwas in dieser Art hat dem BAG dieses Jahr offensichtlich gefehlt: ein klares Konzept, wie die ganze Seuche verfolgt werden kann – von der Quelle einer Krankheit über die Übertragungswege bis hin zum Ziel."
Der Satz, man sei nun – im Jahre 2020 – plötzlich digital, sei für ihn ein Déjà-vu, sagte Huber. Auch die Vorstellung eines digitalen Verwaltungsarbeitsplatzes sei schon fast 30 Jahre alt. "Digitalisierung passiert nicht plötzlich", sagte Huber. "Wir haben es uns alle einfach zu bequem gemacht. Doch mit einer Haltung, die man in Bern als ‚gäbig’ bezeichnen würde, ist man schlecht beraten, wenn es darum geht, ein Land digital voranzubringen." Gefragt seien hingegen Visionen, Kompetenzen, Organisation und verantwortungsbewusstes Management.
Mit gebündelten Kräften aus dem Hintertreffen raus
Wie organisiert sich die digitalisierte Schweizer Verwaltung von morgen? Um diese Frage drehte sich das nächste Referat – erneut von Martin Huber, zusammen mit Cédric Roy, Leiter der Geschäftsstelle E-Government Schweiz. Huber und Roy zeigten das Ziel auf, das hinter der neu geschaffenen Organisation Digitale Verwaltung Schweiz (DVS) steht. Die DVS soll die Schweizerische Informatikkonferenz und die Geschäftsstelle E-Government Schweiz ab 2022 zusammenführen und dafür sorgen, dass sich Bund, Kantone und Gemeinden untereinander abstimmen – beispielsweise in Sachen Rechtsetzungsvorhaben, der Festlegung von verbindlichen Standards im Bereich des Datenmanagements, der Durchgängigkeit von Prozessen sowie der Identifizierung und Bereitstellung von Basisdienstleistungen wie Identitätsdienste.
Mit der DVS soll nicht nur eine, sondern die Anlaufstelle für Digitalisierungsfragen entstehen, an die sich Gemeinden, Städte und Kantone wenden können, wie Cédric Roy sagte. Zwischen E-Government Schweiz und der SIK bestehe viel Synergiepotenzial, beispielsweise in puncto Administration, Kommunikation und Monitoring von Studien. "Indem wir Kompetenzen zusammenlegen, können wir die digitale Transformation beschleunigen", sagte Roy. Insgesamt funktioniere das aber nur so schnell, wie der Langsamste vorankomme. "Deswegen ist es wichtig, dass wir alle mitnehmen."
Cédric Roy, Leiter der Geschäftsstelle E-Government Schweiz, erläuterte die Ziele der Digitalen Verwaltung Schweiz. (Source: Screenshot)
Was bislang gefehlt habe, sei Kohärenz auf allen Ebenen, ergänzte Huber von der SIK. "In vielen Bereichen können wir sehr gut mit unserer föderalen Struktur leben. Aber in der digitalen Welt, wo der Raum quasi aufhört zu existieren, stellen sich neue Herausforderungen. Corona hat es dieses Jahr gezeigt: Alle kämpfen mit demselben Problem auf jeweils unterschiedliche Weise. Und im Digitalen ist es einfach nicht möglich, dass man alles separat macht."
Das sei schon zu lange so gelaufen und habe auch dazu geführt, dass die Schweiz im internationalen Vergleich ins Hintertreffen geriet, was E-Government-Dienste betrifft. "Wir haben viel aufzuholen gegenüber anderen Ländern wie zum Beispiel Singapur, England oder Lettland", sagte Huber. "Aber wir wollen wieder an die Spitze. Und wenn wir unsere Kräfte bündeln, dann schaffen wir das." Und auch Huber betonte, dass man die digitale Verwaltung nicht einfach nur in den Städten ausrollen könne. "Es geht um das ganze Land" – bis hin zur kleinsten Gemeinde.
SIK-Geschäftsleiter Martin Huber: "Wir wollen wieder an die Spitze." (Source: Screenshot)
Ein Digitalisierungsschub, der anhält
Wie die Gemeinden die Folgen von Corona zu spüren bekommen haben, zeigte Christoph Niederberger auf. Er ist Direktor des Schweizerischen Gemeindeverbands SGV und präsentierte die Ergebnisse einer Umfrage unter über 1000 Schweizer Gemeinden. Einer der Befunde: Die Gemeinden haben durch die Pandemie einen nachhaltigen Digitalisierungsschub erfahren.
Rund ein Fünftel der befragten Gemeinden habe während der Pandemie eine App für die Kommunikation mit den Bewohnern eingesetzt. "Dass die Gemeinden digitale Kommunikationsmittel einsetzen, ist grundsätzlich zu begrüssen", sagte Niederberger. "Das Problem ist nur, dass viele erst dann auf die Idee gekommen sind, so etwas einzuführen, als sie eine solche Lösung dringend brauchten." Solche Lösungen müssten ja vorher sauber implementiert werden. "Sonst wird es schnell kompliziert."
Christoph Niederberger, Direktor des Schweizerischen Gemeindeverbands SGV. (Source: Screenshot)
Gemeinde-Apps seien auf dem Vormarsch, fuhr Niederberger fort. Und auch der Einsatz von Personal sei flexibler organisiert als noch vor Ausbruch der Pandemie. Nicht jeder brauche ein Büro. Das sei auch auf Gemeindeebene vielen klar geworden. "Es geht eben auch so, und nicht nur so, wie man es gekannt hat." Wichtig sei nun allerdings, diese Veränderungen auch rechtlich und organisatorisch umzusetzen. Denn: "Der Digitalisierungsschub ist tatsächlich nachhaltig, weil sie vieles bewährt hat."
Eine neue Art des Arbeitens
Langfristig angelegt ist auch das Projekt "Work Smart" der Stadt Luzern. Damit will die Luzerner Stadtverwaltung neue Fomen der Zusammenarbeit fördern, wie Projektleiter Christopher Schneider im Interview ausführte. An der SGI-Tagung sprach Schneider darüber, wie sich Corona auf das Projekt ausgewirkt hat. "Paradoxerweise hilft uns die Pandemie, den Wandel der Arbeitsformen zu gestalten", sagte er – wobei er gleich darauf klarstellte: "Auch wir sind natürlich froh, wenn die Pandemie endlich vorbei ist."
Warum überhaupt den Wandel der Arbeitswelt forcieren? Schneider nannte drei Treiber: Erstens gehe es um Arbeitgeberattraktivität. "Wir wollen gute Leute, insbesondere junge Leute dafür begeistern, bei uns zu arbeiten." Zweitens: Innovationsdruck. "Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns digitale Angebote, dass sie beispielsweise Bescheinigungen online bestellen und per Mail bekommen können." Und drittens: Komplexität. Aktuelle Fachthemen seien mit herkömmlichen Führungsstilen und Mindsets nicht mehr erfolgreich zu bewältigen, sagte Schneider.
Ein zentrales Handlungsfeld des Projekts betrifft die Arbeitskultur. "Work Smart ist zu 90 Prozent Kulturentwicklung und Kommunikation." Was das konkret bedeutet, erklärte Schneider anhand einiger Change-Massnahmen auf.
Christopher Schneider, Projektleiter "WorkSmart" bei der Stadt Luzern. (Source: Screenshot)
Widerstand ist zu erwarten
"Wir haben anfangs auch Widerstand gespürt gegenüber dem Projekt", sagte Schneider. Das sei auch zu erwarten gewesen. "Unsere wichtigsten Stakeholder sind unsere Führungskräfte. Manche von ihnen arbeiten schon sehr lange in der Stadtverwaltung und sind deswegen mit einem etwas antiquierten Mindset unterwegs – das gilt nicht für alle, aber das gibt es." Aus diesem Grund habe die Stadtverwaltung ein erweitertes Schulungsangebot aufgegleist, beispielsweise in Form von Führungscoachings. "Wir wollen den Leuten auf diese Weise die Möglichkeit bieten, in diese neue Welt einzutauchen und zu erfahren, was zum Beispiel Führung auf Distanz bedeutet."
Die IT sei ein tragender Pfeiler des Projekts. Was die Infrastruktur angeht, sei man gerade mitten in einem flächendeckenden Rollout von Notebooks für alle Büromitarbeitenden. Bezüglich Homeoffice seien die Erfahrungen klar positiv: "Die Fokussierung zuhause ist immens gross, wenn man sich gut selbst organisieren kann", sagte Schneider. "Viele Mitarbeitenden können mit etwas mehr Freiheit hervorragend umgehen." Zudem sei der Wunsch nach Homeoffice erstaunlich ausgeprägt. "Das war für uns eine riesige Überraschung: Gemäss den Ergebnissen einer internen Umfrage wünschen sich 92 Prozent der Mitarbeitenden, auch in Zukunft vom Homeoffice aus arbeiten zu können."
Zwei Punkte könnten jedoch auch negativ ins Gewicht fallen. Schwierigkeiten im Homeoffice bestünden da, wo die räumliche Abgenzung fehlt und wo es mit der Internetverbindung hapert. "Die beiden Punkte können Produktivitäts-Killer sein", sagte Schneider.
Homeoffice zwischen Lust und Frust
Mit dem Schritt ins Homeoffice haben sich allerdings viele Schweizer Verwaltungen schwer getan, wie eine Umfrage von Deloitte zeigte. Den Ergebnissen zufolge konnte nur ein Viertel aller Verwaltungsangestellten während des Lockdowns vollständig von zuhause aus arbeiten. Auf Bundesebene klappte die Umstellung besser als bei den Kantonen und Gemeinden. Woran liegt das Problem? Vielerorts mangelte es an technischen Voraussetzungen, sagte Anastasia Sapegina. "Es fehlte an Software, Hardware und am sicheren Zugang, der für Verwaltungen auch aus datenschutzrechtlichen Gründen das A und O ist". Sapegina ist Oberassistentin am Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitswelten der Universität St.Gallen. Sie referierte zur Frage: Was bleibt langfristig von der Coronakrise?
"Wir als Forscher müssen jedes Mal schmunzeln, wenn ein Unternehmen behauptet, dass es mit dem Schritt ins Homeoffice nun in der neuen Arbeitswelt angekommen sei. Denn Homeoffice ist ein alter Hut. Und die Forschung dazu gibt es schon seit 30 Jahren." Dementsprechend gibt es viele Befunde, die Sapegina übersichtlich in Form von Vor- und Nachteilen präsentierte. Die Ergebnisse zeigen folgendes:
Mitarbeitende fühlen sich im Homeoffice selbstbestimmter und stärker emotional ans Unternehmen gebunden. Und: Sie sind leistungsfähiger. Andererseits empfinden Mitarbeitende im Homeoffice häufiger Einsamkeit. Es treten Schwierigkeiten in puncto Selbstmanagement auf. Und auch die Entgrenzung der Arbeit bereitet Mitarbeitenden mitunter Mühe: "In vielen Unternehmen herrscht die Ansicht: Homeoffice bedeutet permanente Verfügbarkeit. In solchen Unternehmen leiden insbesondere jene Menschen, die Arbeit und privates Leben klar trennen wollen."
Anastasia Sapegina, Oberassistentin am Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitswelten der Universität St.Gallen. (Source: Screenshot)
Die Arbeitgeber sind gefragt
Unternehmen können durch Homeoffice-Angebote ihre Attraktivität als Arbeitgeber steigern, Kosten für Büromieten sowie Geschäftsreisen sparen und ihren ökologischen Fussabdruck verringern. Und die Schattenseiten: Die Zusammenarbeit in Teams kann im Homeoffice problematisch werden, wenn beispielsweise der Koordinationsaufwand zu hoch wird oder Silos entstehen.
Die Arbeitgeber seien also gefragt. "Das ist der Appell von uns Forschern an die Unternehmen und an die Verwaltungen: Dass man eine richtige und sichere technologische Umgebung für Homeoffice schaffen soll. Man soll auch dafür sorgen, dass die Mitarbeitenden genug Ausstattung und ergonomisch eingerichtete Arbeitsplätze haben – und auch genug Trainings im Umgang mit digitalen Medien erhalten."
Ebenfalls wichtig sei es, auf die Bedürfnisse der Belegschaft einzugehen. "Wir plädieren dafür, dass man dafür sorgt, dass die Mitarbeitenden sagen können, an welchen Tagen sie vom Homeoffice aus arbeiten wollen, wie und wann sie zu erreichen sind." Ferner sollten Unternehmen und Verwaltung auch bestimmte Prinzipien für die Organisation des Homeoffice verankern. "Da sollte auch festgeschrieben werden: Homeoffice heisst nicht: Erreichbarkeit rund um die Uhr."