Wie sich die Einstellung zu Bargeld verändert hat
Mobile Payment ist in der Schweiz angekommen. Das liegt allerdings nicht an der Coronakrise, wie die jüngste Mobile-Payment-Studie der HSLU zeigt. Studienautor Andreas Dietrich spricht im Interview darüber, warum sich unser Zahlungsverhalten verändert, ob der Erfolg von Twint andauert und was Seamless Payment mit den Konsumentinnen und Konsumenten macht.
In der aktuellen Ausgabe der Mobile-Payment-Studie Schweiz stellen Sie fest, dass sich unser Zahlungsverhalten nachhaltig verändert. Woran liegt das?
Andreas Dietrich: Ich glaube, da sind verschiedene Aspekte zusammengekommen. Ein wichtiger Faktor war die flächendeckende Einführung der Kontaktlos-Funktion bei Karten. Diese Funktion und der damit gewonnene Effizienzgewinn haben mitunter sicherlich stark zur erhöhten Bedeutung von Kartenzahlungen geführt. Als Zweites haben sich mit der Entwicklung von neuen Technologien – vor allem auch der Möglichkeit, über das Smartphone zu bezahlen – neue Optionen ergeben, die zumindest für gewisse Bezahlvorgänge einfacher sind. Als Drittes hat sich ein Teil des Shoppings in die Onlinewelt verlagert. Entsprechend haben alternative Bezahlvorgänge sozusagen "automatisch" an Bedeutung gewonnen. Und schliesslich hat sich auch die Einstellung zu Bargeld in gewissen Bevölkerungsteilen verändert. Bargeld hat nicht mehr überall die gleiche Bedeutung wie noch zehn Jahre zuvor.
Die Schweiz galt lange als Bargeldland. Sind diese Zeiten vorbei?
Nein, noch nicht. Derzeit ist Bargeld noch immer das wichtigste Zahlungsmittel in der Schweiz. Der Vorsprung auf andere Zahlungsmittel verschwindet aber zunehmend. In den nächsten Jahren wird die Debitkarte in Bezug auf das Volumen das wichtigste Zahlungsmittel der Schweiz.
In anderen Ländern, etwa in Asien, hat sich Mobile Payment sehr schnell durchgesetzt. Warum dauert es hierzulande so lange?
Einerseits sind die Menschen in Asien durchschnittlich affiner in Bezug auf neue Technologien als Menschen hierzulande. Auf der anderen Seite ist die Infrastruktur respektive sind die Möglichkeiten, an Bargeld zu gelangen, in gewissen Ländern auch schlechter als in der Schweiz. Das beschleunigt diesen Trend auch.
Twint ist die mit Abstand meistgenutzte Bezahl-App in der Schweiz. Woher kommt der Erfolg?
Einerseits war Twint in der Anfangsphase praktisch der einzige Mobile-Payment-Anbieter in der Schweiz. Zweitens hat Twint interessante Use Cases entwickelt – zum Beispiel das Bezahlen im Hofladen oder auch das Bezahlen der Parkuhr – was zu einer Verbreiterung geführt hat, weil solche Anwendungsfälle neben dem Peer-to-Peer einen offensichtlichen Zusatznutzen generieren. Dann profitiert Twint sicherlich auch vom zunehmenden Onlineshopping-Verhalten der Schweizer. Und schliesslich gibt es auch immer den Aspekt der Durchdringung. Aller Anfang ist schwer für solche Lösungen. Hat man aber einmal eine gewisse Masse geschafft, wird es Mainstream und die weitere Entwicklung wird überproportional stark beschleunigt. Genau das konnte man bei Twint auch beobachten.
Den Ergebnissen Ihrer Studie zufolge kommt Twint vor allem für Peer-to-Peer-Zahlungen zum Einsatz, wobei keine Gebühren anfallen – und somit auch kein Geld für Twint herausspringt. Wie schätzen Sie die Marktchancen von Twint im E-Commerce und am Point of Sales ein?
Im Schweizer E-Commerce hat sich Twint eine gute Position erarbeitet. Mit Twint wurden im Bereich E-Commerce über die vergangenen zwölf Monate rund 1,3 Milliarden Franken umgesetzt, rund eine Verdreifachung gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Damit betrug der Marktanteil von Twint in diesem Segment bereits rund 12 Prozent. Dies ist deutlich höher als die Schätzung für den gesamten Zahlungsmarkt. Auch im Bereich Point of Sales wächst Twint. Aus meiner Sicht wird es für Twint in diesem Bereich aber schwieriger, sich gegenüber Debitkarten oder auch Bargeld durchzusetzen.
Die Besitzer von Twint, darunter Banken und die Börsenbetreiberin Six, sind mit der App gegen Apple & Co. angetreten. Haben die Schweizer Banken die Tech-Konzerne geschlagen oder sieht es derzeit nur so aus?
Derzeit ist Twint tatsächlich in der Poleposition. Natürlich kann man argumentieren, dass Twint nur eine Schweizer Lösung ist und sich daher langfristig auch nicht durchsetzen kann. Gleichzeitig finden 95 Prozent aller Transaktionen von Schweizerinnen und Schweizern in der Schweiz statt. Vor diesem Hintergrund kann ich mir gut vorstellen, dass Twint die Position halten kann. Hat ein Kunde oder eine Kundin nämlich mal Twint installiert und es funktioniert, erachte ich die Chance, dass er noch eine zweite oder dritte Bezahl-App installiert, als eher gering. Gleichzeitig ist es trotzdem schwierig, eine Prognose abzugeben. Der Markt ist sehr dynamisch und es kann durchaus auch signifikante Verschiebungen geben. Ich bin beispielsweise gespannt, wie sich die neue Generation von Debitkarten von Visa und Mastercard entwickeln werden. Visa und Mastercard sind mächtige Player und die neue Generation von Karten beinhaltet viele Funktionalitäten, die Twint auch bietet.
Gegenüber den Bezahllösungen von Apple und Samsung hat Twint zwei Nachteile: Die App funktioniert nicht im Ausland und die beiden Hersteller verweigern Twint den Zugriff auf die NFC-Schnittstellen ihrer Smartphones. Was glauben Sie: Wie wirkt sich das auf die nahe Zukunft von Twint aus?
Wie schon gesagt: 95 Prozent aller Transaktionen von Schweizerinnen und Schweizern finden in der Schweiz statt. Insofern erachte ich diesen Aspekt nicht als riesigen Nachteil. Zudem arbeitet Twint ja daran, dass man zumindest in einigen anderen europäischen Ländern Twint auch einsetzen kann. Die NFC-Schnittstelle ist hingegen gerade am POS aus meiner Sicht die schnellste Methode. In diesem Bereich ist das sicherlich nicht optimal.
Einige Händler testen kassenlose Läden nach dem Vorbild von Amazon Go. In der Schweiz tut dies beispielsweise die Kioskbetreiberin Valora mit der sogenannten Avec Box. Wie schätzen Sie die Erfolgschancen solcher Konzepte ein?
Das sind interessante Konzepte, die sich für gewisse Stores durchaus lohnen könnten.
Unter dem Stichwort Seamless Payment träumt so mancher Marktteilnehmer davon, dass der Akt des Bezahlens quasi verschwindet. Wie realistisch ist das Ihrer Ansicht nach?
Es gibt ja schon einige Beispiele wie etwa Uber, wo das heute schon der Fall ist. Ich gehe davon aus, dass sich diese Art von Bezahlen noch weiter ausbreiten wird.
Was hätte das für Auswirkungen? Beispielsweise auf das Kaufverhalten der Konsumentinnen und Konsumenten oder auf das Geschäft der Zahlungsdienstleister.
Die Zahlungsdienstleister werden als Infrastrukturanbieter noch immer "gebraucht" – das Branding kommt aber natürlich etwas weniger prominent vor als bei den heutigen Zahlungsprozessen. Ob solche Lösungen das Kaufverhalten von Konsumenten ändern? Schwierig zu sagen. Einen entsprechenden Effekt kann man aber feststellen, wenn Menschen von Bargeldzahlungen zu Kartenzahlungen wechseln. Hier zeigen einige Studien, dass bei vielen Menschen das Gefühl für Ausgaben und Geld etwas verloren geht. Möglicherweise könnte man einen noch verstärkenden Effekt feststellen, wenn der Bezahlvorgang noch stärker verschwindet.