Die Zukunft der digitalen Gesundheit
Am zweiten Tag des "Swiss eHealth Forum 2022" haben die Rednerinnen und Redner einen Blick in die Zukunft geworfen. Dabei standen vor allem Themen wie KI, digitale Transformation und Daten- respektive Cybersicherheit im Fokus.
Marc Oertle, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Informatik (SGMI), betritt die Bühne galant. Zielstrebig geht er aufs Sprecher-Podium zu und beginnt seinen Vortrag. Doch die Powerpoint-Präsentation hängt. Es dauert 10 Minuten, bevor es weitergehen kann. Symbolisch für den Stand der Digitalisierung, scherzt Oertle.
Nachdem die technischen Schwierigkeiten überwunden sind, legt Oertle los. Es spricht über die "Lessons learned" aus der Coronapandemie. Ein digitales Gesundheitssystem müsse agil, zentralisiert, skalierbar und nutzerfreundlich sein. Gewisse Punkte seinen bereits erfüllt, doch es gebe Luft nach oben.
Marc Oertle, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Informatik SGMI (Source: Severin Nowacki)
Oertle will auch "über den Tellerrand hinaus" blicken und spricht über nationale Medizininformatik-Initiativen in Deutschland, Frankreich und der EU. Solche Programme, welche die Bemühungen des digitalen Gesundheitswesens kanalisieren, brauche es auch in der Schweiz.
Ransomware im Gesundheitswesen
Der erste Themenblock des Tages behandelt Cybersecurity. Zunächst spricht Max Klaus, stellvertretender Leiter operative Cybersicherheit beim Nationalen Zentrum für Cybersicherheit NCSC. Er spricht über die allgemeine Cyber-Bedrohungslage, bevor er explizit auf das Gesundheitswesen eingeht. Die Gefahr eines Cyberangriffs sei im Gesundheitswesen nicht pauschal höher als in anderen Branchen, doch: "Die Cyberlage ist extrem dynamisch".
Max Klaus, stv. Leiter Operative Cybersicherheit OCS Nationales Zentrum für Cybersicherheit NCSC. (Source: Severin Nowacki)
Eine besondere Gefahr seien Ransomware-Angriffe. Für Cyberkriminelle könne das Gesundheitswesen besonders lukrativ sein, wenn sie ein angegriffenes System nicht nur verschlüsseln, sondern die Daten vorher auch stehlen. Mit der Androhung der Veröffentlichung von teilweise sensiblen Patientendaten könne man nicht nur die Gesundheitseinrichtung, sondern auch den Patienten erpressen.
Das NCSC empfiehlt jedoch auch hier: Niemals Lösegeld zahlen und stattdessen in regelmässige Backups investieren.
Von der Theorie ein Stück mehr in die Praxis geht es dann bei Philipp Leo und Fabian Muhly von "Leo & Muhly Cyber Advisory". In einer interaktiven Präsentation, an welcher die Zuschauer via Handy-Abstimmung mitmachen können, wird ein Ransomwareangriff nachgestellt.
Philipp Leo und Fabian Muhly (Source: Severin Nowacki)
Dabei nimmt das Publikum die Rolle des CEOs eines mittelständischen Medizintechnikunternehmens ein, welcher innert Sekunden entscheiden muss, wie man mit einem aktiven Ransomwareangriff umgehen will.
Dabei scheint der Mini-Crashkurs des NCSC wirksam gewesen zu sein. Von 94 Teilenehmenden wollen letztendlich nur 8 ein Lösegeld bezahlen.
Gesünder dank KI?
Im nächsten Themenblock geht es Künstliche Intelligenz (KI) und Medizin. Als erstes berichtet Roland Wiest vom Center for Artificial Intelligence in Medicine (CAIM) der Universität Bern über die Projekte, an denen sein Institut beteiligt ist.
Roland Wiest vom Center for Artificial Intelligence in Medicine der Universität Bern. (Source: Severin Nowacki)
Geplant sei nicht, dass KIs künftig das Diagnostizieren von Patienten übernehmen. Stattdessen solle KI "messen, finden und warnen". Dank maschinellem Lernen können etwa Hirn-Scans deutlich schneller und genauer ausgewertet werden. Die KI sei dabei oft schon so gut wie ein Fachexperte, etwa wenn es um das Erkennen eines Schlaganfalls geht. Vorteil der KI sei allerdings die Geschwindigkeit. Einen konkreten Nutzen für Patienten gebe aus auch. So brauche das Bildererkennungssystem weniger Informationen. Daher könnten Scans künftiger weniger Strahlen-intensiv und somit schonender für den Patienten gemacht werden
Die Forderungen der Ärzteschaft an KI
Das Zusammenspiel von Ärzten und KI genauer definieren möchte Verena Pfeiffer vom Ärzteverband FMH. Der Verband stelle 10 Forderungen an KI-Anwendung, welche für die Diagnose und Therapie von Patienten zum Einsatz kommen.
Das KI-System soll die menschliche Intelligenz und die Beziehung zwischen Ärztin oder Arzt und Patientin oder Patient stärken und nicht ersetzen.
Das KI-System muss sich an den Prinzipien der evidenzbasierten Medizin orientieren.
Die Leistungen eines KI-Systems müssen wirkungsvoll und nutzbringend sein. Sie sollen administrative Prozesse vereinfachen und Ärztinnen und Ärzte davon entlasten.
Das KI-System muss regelmässig überprüft werden, und es sind unverzüglich Korrekturen vorzunehmen, wenn sich solche aufgrund der Überprüfung als geboten erweisen.
Ärztinnen und Ärzte bleiben in Abstimmung mit ihren Patientinnen und Patienten Entscheidungsträger in Bezug auf den Einsatz und den Umgang mit dem KI-System.
Dem KI-System muss eine "Gebrauchsanleitung" für Ärztinnen und Ärzte beiliegen.
Ärztinnen und Ärzten sind für den Einsatz und Umgang mit KI-Systemen ein angemessenes Aus-, Weiter- und Fortbildungsangebot zur Verfügung zu stellen.
Bei der Entwicklung von KI-Systemen müssen Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen und Patienten in die Definition der Nutzungsanforderungen einbezogen werden.
Ärztinnen und Ärzte müssen über den Einsatz von KI-Systemen, die ihre Arbeit indirekt beeinflussen, informiert werden.
Es muss eine nationale Dateninfrastruktur geschaffen werden, die es ermöglicht, die KI-Systeme mit grossen qualitativ hochwertigen annotierten medizinischen Datensätzen zu testen, zu trainieren und die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse durch eine robuste Validierung sicherzustellen.
Verena Pfeiffer vom Ärzteverband FMH. (Source: Severin Nowacki)
Direkt darauf folgt Michael Krauthammer vom Universitätsspital Zürich. Er beschreibt gleich mehrere konkrete Forschungsbeispiele, wie diese Forderungspunkte erfüllt werden können.
Einen Anwendungsbeispiel für die Forderung Nummer 3 finde sich in der Radiologie-Abteilung des Universitätsspitals Zürich. Dort komme eine KI zum Einsatz, welche einen Scan analysiert und direkt den Radiologiebericht schreibt - vollautomatisch. Das soll den administrativen Aufwand der Ärzte massiv senken.
Michael Krauthammer vom Universitätsspital Zürich. (Source: Severin Nowacki)
Bezüglich der Forderung Nummer 10 spricht Krauthammer von einem Projekt zur Identifikation von Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie, einer sehr seltenen Blutkrebsart (7 von 100'000 Betroffene). Kein Spital habe genügend Daten, um einer KI das Erkennen dieser Krankheit beizubringen. Stattdessen schicken die am Projekt beteiligten Spitäler Patientendaten an ein zentrales System, welches die KI trainierten. Anschliessend erhalten die Spitäler Zugriff auf das KI-System. So profitieren Spitäler voneinander, ohne dass sensible Patientendaten zwischen verschiedenen Krankenhäusern ausgetauscht werden.
Digitale Transformation im Spital
Im letzten Themenblock sprechen Marc Oertle, Leitender Arzt Medizin/Medizininformatik, und Klaus Späth, CIO des Spitals Thuns, über die digitale Transformation ihres Hauses. So eine digitale Transformation erfordere Ressourcen, sowohl personell (25 Prozent mehr IT-Stellen) als auch finanziell (Anstieg der IT-Kosten von 3 auf 5 Prozent in drei Jahren). Dank der Digitalisierung habe man allerdings inzwischen bereits über 4000 Verwechslungen verhindert, die dem Patienten möglicherweise geschadet hätten.
Marc Oertle, Leitender Arzt Medizin/Medizininformatik, und Klaus Späth, CIO des Spitals Thuns. (Source: Severin Nowacki)
In der Frauenklinik habe man dank eines Systems, das Austrittsberichte automatisch abfertigt und weiterleitet, die durchschnittliche Zeit zwischen Austritt und Fertigstellung des Berichts von 32 auf 8 Tage reduziert.
Zu den "Lessons Learned" des Digitalisierungsprozess gehöre insbesondere, dass man analoge Systeme nicht einfach digital nachbauen sollte, sondern der digitale Prozess einen Mehrwert bieten müsse. Das könne etwa hinsichtlich Qualität, Sicherheit, Automatisierung oder Reduktion der Aufwände der Fall sein. Die Komplexität des Prozesses sollte zudem nicht zunehmen, sondern idealerweise abnehmen und bestenfalls gar sinken. Auch solle man medizinisches Personal in den Transformationsprozess einbinden und deren Feedback ernst nehmen, da ansonsten die Transformation abgelehnt werden kann.