Digital Finance in der Schweiz – ein Augenschein zurück, mit Weitblick nach vorne
Langfristige Erfolgsaussichten und Wettbewerbsfähigkeit von Banken hängen massgeblich von technologiebasierten Innovationen ab. Aktuelle Schlüsselthemen in diesem Kontext sind digitale Vermögenswerte, kombiniert mit digitalen Währungen, der Einsatz künstlicher Intelligenz, Open Finance und eine staatliche digitale Identität. Wir ordnen ein.
Digitale Vermögenswerte werden zunehmend reguliert und durch digitale Währungen unterschiedlicher Art unterstützt
Während sich die Preise von Kryptowährungen jüngst erholen oder gar zu neuen Höhenflügen aufbrechen, war das vergangene Jahr von einigen einschneidenden Entwicklungen geprägt. Insbesondere der Prozess gegen Sam Bankman-Fried, den gescheiterten Gründer der Kryptobörse FTX, und eine Busse der amerikanischen Securities and Exchange Commission gegenüber der Plattform Binance über 4 Milliarden Dollar haben die Märkte verunsichert.
Die zunehmende Instabilität dieser Märkte hat die internationalen Regulierungs- und Standardsetzungsbehörden dazu veranlasst, bereits laufende Bemühungen zur Überwachung der Adoption von Kryptowährungen und anderen digitalen Vermögenswerten im Bankensektor zu beschleunigen. Gremien wie das Financial Stability Board (FSB), der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (BCBS), das Office of the Comptroller of the Currency (OCC) und die Europäische Zentralbank (EZB) haben Bedenken geäussert, dass Kryptowährungen eine breitere Ansteckung des Finanzsektors auslösen könnten, bevor der Bereich gründlich reguliert ist. Diese Befürchtungen wurden durch den Zusammenbruch von FTX und den Konkurs der Silicon Valley Bank bestätigt. Die relevanten Aufsichtsbehörden werden im kommenden Jahr weiterhin umfassende Richtlinien für die Interaktion von Banken mit Kryptowährungen erlassen. Der Grundstein dafür wurde mit den High-Level-Empfehlungen des FSB zu «Global Stablecoin Arrangements» und «Crypto Asset Markets» gelegt. In der EU wurde zwischenzeitlich die weitreichende Verordnung über «Markets in Crypto Assets» (MiCA) verabschiedet, während der US-Kongress über parteiübergreifende Gesetzesvorschläge zur Regulierung debattierte. Im Rahmen von MiCA hat die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) erst vor Kurzem drei Entwürfe technischer Regulierungsstandards (RTS) und einen Entwurf technischer Durchführungsstandards (ITS) veröffentlicht.
Die Schweiz wurde aufgrund der frühzeitigen und vorausschauenden regulatorischen Einbettung dieser neuen Asset-Klasse von diesen internationalen Verwerfungen zwar weitestgehend verschont; nach der FTX-Pleite konnten diverse Schweizer Anbieter sogar Geld- und Kundenzuwächse verzeichnen. Es bleibt jedoch weiterhin wichtig, die globalen regulatorischen Entwicklungen zu verfolgen und möglichen Anpassungsbedarf der Schweizer Rahmenbedingungen zu identifizieren. Konkret wird im kommenden Jahr die Umsetzung der BCBS-Standards zu «Prudential Treatment of Cryptoasset Exposures» in der Schweiz den Banken ein neues Regelwerk an die Hand geben, das die prudenzielle Behandlung auf der eigenen Bilanz gehaltener digitaler Vermögenswerte regelt. Zudem hat der Bundesrat kürzlich eine Vernehmlassung zur Erweiterung des internationalen automatischen Informationsaustauschs in Steuersachen auf Kryptowerte eröffnet. Es ist wichtig, dass der Gesetzgeber auch weiterhin einen innovationsfreundlichen Kurs fährt und einzelne Regeln zugunsten der Industrie praxisfreundlich ausgestaltet. Ein «Swiss Finish» im positiven Sinn sollte es den Banken nicht verunmöglichen, weiterhin mit DLT-basierten Technologien zu experimentieren und diese fortlaufend auch in ihre Angebote und Dienstleistungen sinnvoll zu integrieren.
Gleichzeitig hat das vergangene Jahr gezeigt, dass das Thema Verwahrung beziehungsweise Custody eine kleine Renaissance erlebt. In der traditionellen Finanzwelt als eher unspektakuläres und margenschwaches Massengeschäft abgestempelt, ist die Verwahrung von digitalen Vermögenswerten ein neues dynamisches Feld, in dem sich die Schweizer Finanzbranche gerade als «Global Player» etabliert. Dies bestätigt auch der Swiss Digital Assets Custody Report von Homeofblockchain.swiss in Kooperation mit der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg), der Asset Management Association Switzerland (AMAS) und der Capital Markets and Technology Association (CMTA).
Ausblickend denken wir, dass insbesondere der Einsatz tokenisierter Vermögenswerte in einem auf Smart Contract basierenden Finanzökosystem ein enormes Potenzial für den Finanzplatz und die Wirtschaft bietet. Das wahre Potenzial wird jedoch erst erschlossen werden können, wenn neben den Vermögenswerten auch tokenisiertes Geld beziehungsweise digitale Währungen zur Verfügung gestellt werden können. Aus diesem Grund forscht die SNB schon seit geraumer Zeit an einer digitalen Zentralbankenwährung. Die SBVg hat gemeinsam mit ihren Mitgliedern alternative Ansätze für die Umsetzung einer digitalen Währung vorgestellt. So stellt die Tokenisierung des bestehenden Buchgelds aus unserer Sicht eine sinnvolle Alternative dar, um die neuen Funktionalitäten einer digitalen Währung zu ermöglichen, ohne dabei an den Fundamenten unserer bewährten Finanzmarktarchitektur mit dem zweistufigen Bankensystem zu rütteln und neue Risiken einzuführen. Unsere Arbeiten sind eng mit den wichtigen Anspruchsgruppen wie der SNB und der FINMA aligniert und wurden vom Verwaltungsrat der SBVg auch im Jahr 2024 als Verbandspriorität bestätigt. In den kommenden Monaten werden wiederum wichtige Weichen gestellt werden, um der Vision eines digitalen beziehungsweise programmierbaren Schweizer Frankens einen Schritt näher zu kommen. Wir beobachten gespannt, wie die Arbeiten der SBVg mit dem Abschluss des Projekts Helvetia III der SNB und dem jüngst angekündigten Projekt Agorá des BIS Innovation Hub konvergieren.
Die Rahmenbedingungen für die Anwendung von generativer KI sind vorhanden, es braucht nun vor allem den nötigen Willen und eine Spur Neugierde
Auch das Thema künstliche Intelligenz (KI) ist weiterhin in aller Munde, insbesondere aufgrund der Fortschritte rund um generative KI und Large Language Models (LLM), die Anwendungen wie Open AIs ChatGPT und Googles Gemini zugrunde liegen. Der Umfang, in dem diese Technologie in den vergangenen Monaten Bereiche wie Text-, Bild- und Videogenerierung verändert haben, ist beeindruckend und wird in den nächsten Jahren die Art und Weise, wie wir lernen und wie wir Inhalte erstellen und bearbeiten, fundamental beeinflussen.
Doch jede Technologie kann neben guten, sinnvollen Zwecken auch für schädliche, kriminelle Aktivitäten genutzt werden. Nicht überraschend hat daher mit der zunehmenden Nutzung von generativer KI die Diskussion rund um die Regulierung ebendieser KI an Fahrt gewonnen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber rasch, dass die mit dem Einzug von KI einhergehenden Risiken mit den in der Schweiz bestehenden technologieneutral und prinzipienbasiert ausgestalteten regulatorischen Rahmenbedingungen genügend adressiert werden. Die Notwendigkeit zusätzlicher rechtlicher Grundlagen, insbesondere eines spezifischen KI-Gesetzes wie in der EU, ist in der Schweiz nicht gegeben, wie dies auch das Positionspapier von economiesuisse unterstreicht. Stattdessen braucht es in erster Linie neue technische und organisatorische Massnahmen zur sinnvollen Umsetzung des bestehenden Rechts. Es wird sich zeigen, ob mit der Zeit punktuelle Anpassungen für spezifische Fragestellungen, etwa zu Haftungsfragen und Urheberrecht, oder in einzelnen Sektoren notwendig sein werden.
In diesem Kontext hat auch die FINMA in ihrem Risikomonitor 2023 auf besondere Herausforderungen beim Einsatz von KI im Schweizer Finanzmarkt in den Bereichen Governance, Robustheit, Transparenz und Gleichbehandlung hingewiesen. Die FINMA erwartet von der Finanzindustrie, diese Risiken angemessen zu behandeln und plant eine Überwachung des KI-Einsatzes bei den beaufsichtigten Institutionen. Da diese Punkte unabhängig davon bereits im Rahmen des ordentlichen Risikomanagements durch Banken sichergestellt werden, sollte dies in der Praxis nicht viel ändern. Die Ausführungen unterstreichen aber die besonders relevanten Aspekte beim Einsatz von KI.
Zuletzt beschloss der Bundesrat im November 2023, Regulierungsansätze für KI zu prüfen. Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) soll bis Ende 2024 mögliche Regulierungsansätze aufzeigen, damit der Bundesrat anschliessend bis 2025 konkrete Regulierungsvorschläge entwickeln und die Zuständigkeiten klären kann. Des Weiteren hat der Europarat im Mai 2024 den ersten rechtsverbindlichen Vertrag verabschiedet, der beim Einsatz von Systemen der KI die Einhaltung der Rechtsnormen im Bereich der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit gewährleisten soll. Eine mögliche Unterzeichnung und Ratifikation der KI-Konvention durch die Schweiz wird derzeit im Rahmen der erwähnten Auslegeordnung zur KI-Regulierung geprüft.
Auch KI dürfte daher über die nächsten Monate weiterhin für Gesprächsstoff sorgen. Neben den Diskussionen zur Regulierung von KI bleibt es spannend, zu sehen, wie rasch sich innovative Anwendungen von KI im Finanzsektor tatsächlich durchsetzen und ob sich die Vorteile manifestieren werden. Die möglichen Knacknüsse verorten wir hierbei vor allem beim Mangel an verfügbaren Fachkräften einerseits und an der internen Akzeptanz dieser Anwendungen in Unternehmen andererseits. Hierfür braucht es eine schrittweise Herangehensweise und den Mut, einfach mal auszuprobieren.
Konkrete Initiativen treiben die weitere Adoption eines offenen Finanzwesens in der Schweiz voran
Die Kontostände mehrerer Bankbeziehungen über einen zentralen Zugang einsehen und verwalten, idealerweise ergänzt um die Depotwerte, die man bei unterschiedlichen Anbietern hält und handelt. Zudem die Vorsorgegelder mit einem Klick einfach zugänglich integrieren und einsehen. Bei Bedarf Vorschläge für die richtigen Versicherungslösungen oder andere Massnahmen zur Schliessung möglicher Vorsorgelücken oder Risiken aufgezeigt bekommen. Diese und ähnliche Ideen werden unter Konzepten wie Open Finance, Embedded Finance und Banking-as-a-Service subsumiert. Das anvisierte Ziel: Kundinnen und Kunden können die vorhandenen Daten und Informationen bestmöglich nutzen und weiterverwerten.
Konkrete Initiativen der Branche zahlen auf diese Vision ein, so zum Beispiel die Retail Multibanking Initiative der SBVg vom Frühling 2023, die Open Pension Initiative von SFTI oder auch die anhaltenden Arbeiten der Open Wealth Association. Im Unterschied zur EU ist diese Art der Zusammenarbeit und der damit verbundene Datenzugang und die Datenherausgabe in der Schweiz nicht regulatorisch vorgeschrieben, sondern basiert auf marktwirtschaftlichen Anreizen und der Vertragsfreiheit der beteiligten Marktteilnehmer. Dies erfordert kurzfristig zwar eine gewisse Koordination der verschiedenen Marktteilnehmer, um beispielsweise gemeinsame Standards zu verwenden oder konkrete Anwendungsfälle unter mehreren Anbietern möglichst effizient umzusetzen. Langfristig verspricht dieser Ansatz aber die nachhaltigeren Ergebnisse, da er sich an den Bedürfnissen im Markt orientiert und kostspielige regulatorische Eingriffe und Auflagen vermieden werden.
Während auf dem Schweizer Spielfeld fleissig gespielt wird, adjustiert die EU zurzeit ihre Spielregeln. Im Sommer 2023 hat sie neben der Weiterentwicklung der Payment Services Directive (PSD) und der Einführung einer Payment Services Regulation (PSR) auch die Financial Data Access Regulation (FIDA) vorgeschlagen – ein Rahmenwerk, das den Zugang zu weiteren Daten über Banken hinweg auch für weitere Marktteilnehmer regulieren möchte.
Ob regulatorisch vorgeschrieben oder nicht, im Endeffekt geht es darum, ein faires und sicheres Datenökosystem zu gewährleisten, das einen Mehrwert für Verbraucher und Dienstleister schafft. Dafür braucht es die richtigen finanziellen Anreize und gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Marktakteure im Hinblick auf Datenzugang und -nutzung. Es kann daher auch im kommenden Jahr einige Dynamik in diesem Thema erwartet werden, sowohl auf der Umsetzungs- als auch der regulatorischen Ebene.
Die Umsetzung einer staatlichen Vertrauensinfrastruktur schreitet weiter voran
Zu guter Letzt wird auch die staatliche elektronische Identität, kurz E-ID, einen wichtigen Baustein im Kontext offener Datenökosysteme spielen. Die E-ID ist dabei weit mehr als nur das digitale Pendant zur bisherigen physischen Identitätskarte. Kombiniert mit einer digitalen Wallet, also einer elektronischen Brieftasche auf dem Handy, lassen sich in Zukunft beliebige digitale Nachweise wie Name, Alter oder Bildungsnachweise mit Dritten teilen. So können wir uns in Zukunft noch einfacher, sicherer und möglichst datensparsam im Internet und der physischen Welt identifizieren und Dienstleistungen beziehen. Für Banken wiederum eröffnet dies neue Möglichkeiten, um ihre Prozesse noch besser auf die Bedürfnisse ihrer Kundinnen und Kunden auszurichten. Zum Beispiel beim Onboarding von Neukunden, bei der Ausgabe von Kreditkarten oder auch bei der Vergabe und der Abwicklung von Hypotheken.
Auch hier werden die Rahmenbedingungen stetig weiterentwickelt. So verabschiedete der Bundesrat Ende November 2023 die Botschaft zum neuen Bundesgesetz über den elektronischen Identitätsnachweis und andere elektronische Nachweise (E-ID-Gesetz, BGEID). Die E-ID soll vom Bund herausgegeben werden und dank Konzepten wie Self-Sovereign Identity (SSI), Privacy by Design, Datensparsamkeit sowie dezentraler Datenspeicherung den grösstmöglichen Schutz der persönlichen Daten gewährleisten. Zudem soll sie kostenlos und freiwillig sein, zumindest für die Nutzerinnen und Nutzer sowie Unternehmen. Schweizer Behörden müssen die E-ID hingegen als gültigen Identitätsnachweis akzeptieren. Bis es jedoch so weit ist und wir eine staatliche E-ID in unserer Wallet auf dem Handy ablegen und nutzen können, wird es noch bis mindestens 2026 dauern.
Auch in der EU wird an den gesetzlichen Grundlagen für eine E-ID gearbeitet. Im Herbst 2023 hat sich die EU zu ihrer geplanten EUDI-Wallet geeinigt und damit den Weg für die weiteren Arbeiten geebnet. Auch hier ist aber nicht vor Ende 2026 mit einer Umsetzung zu rechnen. Bis dahin ist es aus unserer Sicht empfehlenswert, dass sich Banken und weitere Finanzmarktakteure in der Schweiz mit den Chancen und Herausforderungen einer E-ID für das eigene Geschäft auseinandersetzen. Erste erfolgreiche abgeschlossene Proof of Concepts (PoC) für SSI in der Schweiz haben bereits das Potenzial von digitalen Nachweisen mit Anwendungsfällen im Privatsektor aufgezeigt. Weitere werden bestimmt folgen.