Wo noch nie ein Rechenzentrum zuvor gewesen ist
KI, Cloud und Co. lassen die Anforderungen an Rechenzentren immer höher steigen. Auf der Suche nach sparsameren und klimafreundlicheren Alternativen blicken manche Unternehmen hinauf: das RZ der Zukunft könnte im Weltraum sein.

Der aktuelle Boom rund um die künstliche Intelligenz (KI) steigert nicht nur die Effizienz gewisser Prozesse. Auch die Stromrechnung wird immer dicker. Denn damit die KI funktioniert, benötigt sie massenhaft Daten und Rechenleistung, weswegen die Anforderungen an Rechenzentren ebenfalls deutlich zunehmen. Gemäss einer Schätzung von McKinsey soll die Nachfrage nach Rechenzentren in den nächsten Jahren um etwa 20 Prozent steigen.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass fleissig nach Möglichkeiten geforscht wird, um Rechenzentren energiesparsamer, kostengünstiger und klimafreundlicher zu machen. Manche Ideen wirken etwas spektakulärer als andere: Das Rechenzentrum der Zukunft könnte sich auch im Weltraum befinden statt auf festem Boden, schreibt Domenico Vicinanza, ausserordentlicher Professor für Intelligent Systems & Data Science an der britischen Anglia Ruskin University, in einem Artikel für "The Conversation".
Eine Cloud über den Wolken
Datenzentren ausserhalb der Erdatmosphäre hätten Zugang zu kontinuierlicher Solarenergie und könnten durch das Vakuum des Weltraums natürlich gekühlt werden, schreibt Vicinanza. Losgelöst von irdischen Problemen wie etwa Baugenehmigungen könnten solche schwebenden Rechenzentren schnell eingerichtet und erweitert werden, wenn die Nachfrage steige.
Reine Science Fiction? Mitnichten: In seinem Artikel erwähnt Vicinanza gleich zwei Projekte, welche die Rechenleistung ins All verfrachten wollen: Lumen Orbit und Ascend.
- Das US-amerikanische Unternehmen Lumen Orbit sammelte eine Startfinanzierung in Höhe von 11 Millionen US-Dollar ein. Zu den Unterstützern zählt auch Nvidia. Noch in diesem Jahr will das Unternehmen einen Prototyp bauen. Das Rechenzentrum soll riesige Mengen an Rohdaten von anderen Satelliten erfassen, mithilfe von KI aufbereiten und an die Erde übermitteln - dies soll die für die Übertragung benötigte Bandbreite reduzieren.
- Im Rahmen des Projekts Ascend wurde vergangenen Sommer eine Studie abgeschlossen. Dabei ging es um die Frage, inwiefern Rechenzentren im All wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll und machbar seien. Die 19-monatige Studie bestätige, dass solche Einrichtungen eine umweltfreundlichere und souveräne Lösung für das Hosting und die Verarbeitung von Daten wären, sagte Christophe Valorge, CTO von Thales Alenia Space, in einem Statement - sofern die Kohlenstoffemissionen der Trägerraketen um etwa das Zehnfache reduziert werden können. Abgesehen von dem französischen Raumfahrts- und Rüstungskonzern erhält das Projekt auch Unterstützung durch Airbus, HPE und Orange. In den nächsten 25 Jahren wollen die Unternehmen ein Gigawatt an Rechenleistung im Orbit über der Erde aufbauen.
Zahlreiche Hindernisse im Weg
Ganz so einfach ist es aber nicht, räumt auch Vicinanza ein. Trotz Bemühungen wie die von Elon Musks SpaceX ist es nach wie vor enorm teuer, Fracht ins Weltall zu bringen. Dies könne die Geschwindigkeit, mit der Weltraumrechenzentren in Betrieb genommen werden, stark einschränken, schreibt der Professor.
Aktuell muss man mit fast 1000 Dollar pro Kilogramm Nutzlast rechnen. Es würde heutzutage also bereits über 100'000 Dollar kosten, um nur schon ein einzelnes, leeres 42U-Rack hinauf zu befördern. Diese ungefähren Kosten gelten für einen Flug mit der Trägerrakete Falcon Heavy von SpaceX. Das Unternehmen arbeitet aber fleissig an der nächsten Iteration: Starship. Diese nutzt ein wiederverwendbares Trägersystem, was die Kosten enorm reduzieren könnte.
Eine weitere Schwierigkeit wäre laut Vicinanza die Latenz. Aber auch in diesem Bereich verspricht Elon Musk technologische Fortschritte - diesmal mit seiner Firma Starlink. In den nächsten Jahren soll das Satellitennetzwerk den Rückstand zu terrestrischen Übertragungsmethoden wie etwa Glasfaser aufholen.
Wartungsarbeiten im Weltraum, Störungen durch Sonneneruption und Kollisionen mit Weltraumschrott sind weitere Sorgen, die man sich machen muss. Und auch die Abwärme könnte eine deutlich grössere Herausforderung sein, als man mit beiden Beinen auf festem Boden denken könnte. Im Vakuum des Weltalls kann die Wärme nicht via Wärmeleitung an die Umgebung abgegeben werden. Die Temperatur im Rechenzentrum könnte also nur durch Ein- und Abstrahlung geregelt werden. Die internationale Raumstation und Co. nutzen dafür Radiatoren. Diese können etwa 100 bis 350 Watt pro Quadratmeter abstrahlen. Das heisst, ein einzelner Server bräuchte bereits mehrere Quadratmeter an Radiatoren.
"Obwohl diese potenzielle Antwort auf unseren Bedarf an immer mehr Rechenzentren mit grosser Spannung erwartet wird, ist sie natürlich ebenso komplex wie überzeugend", schliesst Professor Vicinanza seinen Artikel ab. "Hoffentlich wird dies mit ernsthaften Anstrengungen in der Forschung und Entwicklung - sowie mit globaler Zusammenarbeit - letztendlich die Art und Weise revolutionieren, wie wir Daten verwalten und verarbeiten."
Das könnte Sie ebenfalls interessieren: Statt hinauf blickte Microsoft hinab auf der Suche nach dem Rechenzentrum der Zukunft. Im Rahmen des Projekts "Natick" hatte der Konzern ein Rechenzentrum im Meer versenkt. Die Bilanz nach dem Versuch war insgesamt positiv, wie Sie hier nachlesen können.

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