Focus: KI im HR

So verändert künstliche Intelligenz das moderne HR-Office

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Die rasante Verbreitung von künstlicher Intelligenz macht auch vor den Türen der Schweizer HR-Offices keinen Halt. Wie KI das HR verändert, welche Risiken der Einsatz von KI mit sich bringt und wie transparent Unternehmen mit ihrer HR-KI sein sollten, sagt Gery Bruederlin, Dozent, Institut für Personalmanagement und Organisation der FHNW.

Gery Bruederlin, ­Dozent, Institut für Personalmanagement und Organisation der FHNW. (Source: Nathalie Taiana)
Gery Bruederlin, ­Dozent, Institut für Personalmanagement und Organisation der FHNW. (Source: Nathalie Taiana)

Wo wird KI in einem modernen HR-Office eingesetzt?

Gery Bruederlin: Grundsätzlich ist der Einsatz von KI im Human Resource Management (HRM) über sämtliche Bereiche der Wertschöpfungskette möglich. Das heisst, von der Rekrutierung über das Performance Management bis zum Talentmanagement und all den damit verbundenen Prozessen gibt es zahlreiche Anwendungsoptionen. Dazu muss ergänzt werden, dass dies nicht überall etwas Neues darstellt. Viele Chatbots für Mitarbeiteranfragen arbeiten bereits seit ein paar Jahren mit Unterstützung von KI, wobei gerade ältere Modelle nur über algorithmengesteuerte Such- und Steuerungsfunktionen verfügen. Ähnliches gilt für sogenannte CV-Parser, die schnell und präzise Bewerbungsdossiers scannen und mit Anforderungsprofilen matchen, um die bestmögliche Person für einen Job zu eruieren. Auch Analysetools, die nicht nur vergangenheitsbezogene Daten auswerten, sondern auch in der Lage sind, Prognosen zu machen, sind bei grösseren Unternehmen schon recht verbreitet. Was hingegen im HR von Schweizer Unternehmen fundamental fehlt, ist eine systematische Vorgehensweise bezüglich KI auf der Basis einer expliziten HR-KI-Strategie.

Wie verbreitet ist KI bereits in Schweizer HR-Offices?

Das kommt auf die Perspektive und auch auf die Definition von KI an: Berücksichtigt man, dass die meisten Organisationen über ein HRM-System verfügen, in dem unter anderem die Personaldaten verwaltet werden, und diese Systeme oft von den grossen Marktplayern stammen – SAP Success Factors, Oracle oder Workday – und diese wiederum in vielen Funktionalitäten KI verwenden, dann könnten wir theoretisch von einer recht hohen Verbreitung sprechen. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich hierbei um «traditionelle» KI handelt, die mittels Algorithmen Daten analysieren, Entscheidungen unterstützen und Prozesse – und damit die Interaktion mit den Usern – automatisieren kann. Es geht in der Regel (noch) nicht um («generative») KI, die Anwendungsfälle neu gestaltet. Dies wird sich aber verändern. Darüber hinaus muss man im HR von einer sehr selektiven Verwendung einzelner KI-gestützten Applikationen ausgehen, etwa bei der Formulierung und Gestaltung von Stelleninseraten (über 20 Prozent). Wie erwähnt sind Rekrutierungstools breit im Einsatz (über 50 Prozent), wobei wiederum Parsing bei weniger als 10 Prozent der Unternehmen in der Schweiz offensiv Verwendung findet und auch dann nur aus Effizienzgründen. Der Selektionsentscheid wird nach wie vor nicht dem Roboter überlassen. Der Einsatz von traditioneller KI innerhalb von Chatbots und/oder im Rahmen von Employee Self Services dürfte bei 20 bis 30 Prozent der Unternehmen liegen. Sicher ist aber, dass die Verbreitung von KI an allen Fronten zunimmt, wobei grössere Firmen KI schneller und breiter im HR implementieren. KMUs dagegen hinken hier hinterher, sind aber wegen ihrer Mengengerüste wenigstens vorläufig auch weniger darauf angewiesen.

Welche Risiken entstehen durch den Einsatz von KI im HR?

Die entstehenden Risiken durch KI sind im HR nicht anders als in anderen Bereichen: Ungenauigkeiten und inkorrekte Informationen (Halluzinationen), Cybersicherheit (vor allem infolge erhöhter Dezentralisierung), Bias und Manipulation der verwendeten Algorithmen mit resultierender Diskriminierung, Datenschutzprobleme, fehlende Transparenz und Erklärbarkeit, Verletzung geistigen Eigentums und der Privatsphäre, um nur die Wichtigsten zu nennen. Da die Personalabteilung bekanntermassen mit Mitarbeiterdaten arbeitet, akzentuieren sich einige der genannten Risiken noch in markanter Weise. Verschiedenste regulatorische Ansätze, die sich aktuell weltweit entwickeln, werden deshalb dazu beitragen müssen, sichere und stabile Rahmenbedingungen zu gewährleisten und Haftungsrisiken zu minimieren. Zusätzlich wird sich die Personalabteilung mit den zu erwartenden Befürchtungen zahlreicher Mitarbeitenden, ihren Job zu verlieren, auseinandersetzen müssen. Dies gilt auch für die HR-Funktion selbst. Wie erwähnt, gehe ich nicht davon aus, dass Funktionen vollständig verschwinden, einzelne Tätigkeiten aber schon. Oder sie werden mehr oder weniger starken Veränderungen unterworfen sein. Das Risiko, dass Funktionslandschaften durch KI nachhaltig 
beeinflusst werden, betrachte ich deshalb für die HR-Abteilung als das Wichtigste – weil die Belegschaften aller Business- und Supportfunktionen teils reduziert, teils erneuert und teils erweitert werden. Dies wird erwartungsgemäss auch zu erheblichen Widerständen bei den Mitarbeitenden führen. Nur ein High-Performance-HR wird in der Lage sein, all diese Herausforderungen gut zu meistern und ein «Underskilling» zu vermeiden.

Welche Kosten sind mit der Einführung und dem Betrieb von KI-­Systemen im HR verbunden? Wie lässt sich der ROI messen?

Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Die Kosten sind abhängig von der Strategie und der Breite und Tiefe der damit verbundenen Tools und Applikationen. Stand-alone-Anwendungen mit KI-Unterstützung, die einen spezifischen, beschränkten Use Case abdecken und in die bestehende Systemlandschaft des HR eingebaut werden können oder sogar als Open Source zur Verfügung stehen, sind tendenziell günstig zu haben. Demgegenüber stehen umfassende und tiefgreifende Integrallösungen, die schnell mal sechs- und sogar siebenstellige Beträge kosten – abhängig von der Organisationsgrösse. Entsprechend ist auch die Berechnung eines ROI nicht einfach – was sie im HR generell nicht ist. Aber anhand spezifischer KPIs lässt sich praktisch für jeden Use Case eine sinnvolle Kalkulation machen. Zum Beispiel ist die bekannte «Time to hire»-Ratio geeignet, um festzustellen, wie sich der Einsatz einer Rekrutierungs-KI auswirkt. Der ökonomische Effekt von Automatisierungen führt zu messbaren Zeiteinsparungen, während ein KI-unterstütztes Skills-Matching-Tool die Quantität und Qualität der ausgelösten internen Transfers verändern müsste.

Wie können Unternehmen künstliche Intelligenz nutzen, um neue Mitarbeitende zu rekrutieren?

Die Dynamik des aktuellen Arbeitsmarktes in der Schweiz, die über die letzten Jahre nicht nur einen Fachkräfte-, sondern einen breiten Arbeitskräftemangel bewirkt hat, lässt sich durch den Einsatz von KI natürlich nicht verändern! Rekrutierungen bleiben für viele Profile, namentlich in der Gesundheitsbranche oder in der Informationstechnologie, ein schwieriges Unterfangen, da hilft auch die KI nicht. Trotzdem kann sie den Rekrutierungsprozess positiv beeinflussen, indem sie durch schnellere Analysen und/oder den Einsatz von Chatbots für den Erstkontakt Effizienzen schafft oder die Qualität des Prozesses durch eine präzisere Zielgruppenansprache und/oder die Identifika­tion von Profilen erhöht, auf die auch ein geübter Recruiter nicht unbedingt gekommen wäre.

Ist es ethisch von Unternehmen, künstliche Intelligenz einzusetzen, um Menschen zu analysieren?

Zum heutigen Zeitpunkt hat eine Mehrheit der Firmen in der Schweiz grundsätzlich einen tiefen Reifegrad, wenn es zu ethischen Fragestellungen und deren sozialen Herausforderungen im Kontext KI kommt. Dabei geht es in erster Linie um die Prinzipien Transparenz, Fairness und Kontrolle über Entscheidungsmechanismen, die durch ein ethisches Verhalten gefordert sind. Dies führt zu einer grösseren Zurückhaltung bezüglich des Einsatzes von KI im personellen Umfeld. Mit der Etablierung von ethischen Richtlinien, etwa entlang derjenigen der OECD bezüglich einer nachhaltigen Entwicklung, des Schutzes von Menschenrechten und demokratischen Werten, wird diese Skepsis kleiner werden. Es braucht aber sicher eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesen gesellschaftlich äusserst relevanten Fragestellungen. Auf einer solchen Basis sehe ich weniger ethische Probleme, KI auch im HR einzusetzen, aber es wird immer eine gewisse Vorsicht angezeigt sein, sodass die effektiv vorhandenen technologischen Möglichkeiten von KI im HR wohl nie zu 100 Prozent genutzt werden.

Sollten Unternehmen gegenüber ihren Mitarbeitenden oder potenziellen Bewerbern deklarieren, wenn sie KI in einem HR-Prozess einsetzen?

Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, den Einsatz von KI etwa im Rekrutierungsprozess zu deklarieren. Letztlich ist Transparenz «best practice» und schafft Vertrauen. Auf der anderen Seite sollte man keine zu grosse Adminis­trationsübung daraus machen müssen, die den Prozess behindert. Im heutigen Umfeld wird es auch kaum eine Person geben, die sich nicht bewusst wäre, dass das Unternehmen, für das sie sich interessiert, KI einsetzen könnte. Es wird interessant sein, zu sehen, in welche Richtung zukünftige Regulierungen in dieser Beziehung gehen.

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