So verändert künstliche Intelligenz den Rekrutierungsprozess
Derzeit kommt KI vor allem bei administrativen Aufgaben zum Einsatz. Künftig könnte sie mitentscheiden, wer zum Bewerbungsgespräch eingeladen wird – oder den Job erhält.
E-Mails beantworten oder einen Stellenbeschrieb verfassen – dank künstlicher Intelligenz (KI) geht das heute mit ein paar Klicks. HR-Spezialistinnen und -Spezialisten freut das: «Wenn die Maschine repetitive Aufgaben übernimmt, können wir uns im Bewerbungsprozess auf den Menschen konzentrieren», sagt Kathrin Choffat, Leiterin HR bei der Adecco-Gruppe Schweiz. Doch das ist erst der Anfang. Künftig dürfte KI in weit grösserem Umfang zur Anwendung kommen.
James Peck ist VP Schweiz von LHH Recruitment Solutions, spezialisiert auf die Rekrutierung von Fach- und Führungskräften. Er stellt fest: «Derzeit ist der Bewerbungsprozess für beide Seiten oft unbefriedigend.» Firmen werden mit Bewerbungen überflutet; Stellensuchende erhalten automatisierte Absagen. KI könne den Prozess verbessern, sagt Peck. Etwa, indem sie Kandidatinnen und Kandidaten mit Jobprofilen matcht. Auch Chatbots dürften künftig Teil des Bewerbungsprozesses sein und gezielte Rückfragen stellen: Wie lange ist Ihre Kündigungsfrist? Wie flexibel sind Sie bezüglich des Arbeitsorts?
Doch nicht nur Unternehmen, auch Kandidatinnen und Kandidaten könnten von KI profitieren, sagt Choffat. «Sind ihre Daten einmal im System, kann der Algorithmus einer Person eine Stelle vorschlagen, auf die sie sich gar nicht aktiv beworben hat.» Im Schlafwagen zum neuen Job, gewissermassen.
Die Gefahr der Diskriminierung
Bereits Realität ist mancherorts die Analyse von Videointerviews: Ein Algorithmus stellt den Kandidatinnen und Kandidaten Fragen und bewertet ihre Antworten. Gleichzeitig veranschaulicht diese Technologie die Gefahr von Diskriminierung. «Untersuchungen in den USA zeigen, dass die KI gewisse Gruppen von Menschen benachteiligte», sagt Choffat. So kamen Personen, deren Muttersprache nicht Englisch war und die deswegen bestimmte Stichworte nicht verwendeten, schlecht weg. Kathrin Choffat wie auch James Peck betonen deshalb, wie wichtig ein verantwortungsbewusster Umgang mit KI sei. «Bei der Adecco-Gruppe wird nie ein Algorithmus allein den Entscheid fällen, wer eine Stelle erhält», sagt Choffat. Der abschliessende Entscheid liege stets bei einem Menschen.
Zumindest in der EU ist dieser Aspekt auch gesetzlich geregelt: Laut Datenschutz-Grundverordnung darf künstliche Intelligenz nicht allein und automatisch darüber entscheiden, wer einen Job erhält.
Unternehmen reagieren auf die neue Situation: Um den verantwortungsvollen Umgang mit KI zu regeln, hat etwa die Adecco-Gruppe ein «Responsible AI Committee» gegründet, das sich mit Fragen der Ethik, Transparenz und Rechtsordnung auseinandersetzt. Dennoch fürchten viele, dereinst von einer Maschine aussortiert zu werden. Wohl nicht ganz zu Unrecht. James Peck sagt: «Der Bewerbungsprozess könnte problemlos vollautomatisiert werden.» Das könnte dann so aussehen: Der Algorithmus trifft eine Vorauswahl, führt das Bewerbungsgespräch durch und gibt eine Empfehlung für die Stellenbesetzung ab. Der grösste Teil des Bewerbungsprozesses wäre damit an eine Maschine ausgelagert. Allerdings berge ein solches Vorgehen für Firmen auch Risiken und schrecke womöglich potenzielle Kandidaten ab, sagt James Peck.
Zumindest für LHH gelte: «Unsere Mitarbeitenden führen jede Woche Gespräche mit hunderten Kandidaten.» Das werde sich so schnell nicht ändern. Denn, so Pecks Fazit: «Wir Menschen sind soziale Wesen – und schätzen den Kontakt zu anderen Menschen.»