Schweizer Fintech: (noch) mit angezogener Handbremse
London, Singapur und New York: Das sind die globalen Zentren für Finanztechnologien, kurz Fintech. Der Schweizer Finanzplatz ist auf dieser Landkarte bisher kaum vertreten. Die Branche gibt sich aber optimistisch, wenn sich die Rahmenbedingungen verbessern.
Die Finanzbranche ist einer der Schlüsselbereiche der Schweizer Wirtschaft. Laut dem Eidgenössischen Finanzdepartement werden hier rund 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet. Die Finanzplätze Zürich und Genf zählen in Sachen Banking und Finanzverwaltung zu den bedeutendsten weltweit.
Was die relativ jungen und zukunftsweisenden Finanztechnologien, kurz Fintech, angeht, spielt die Schweiz jedoch noch kaum eine Rolle. London ist in Europa mit Abstand der wichtigste Platz für Fintech-Unternehmen. Auf der Liste der 50 wichtigsten Fintech-Start-ups 2016 stammen allein 29 aus der Stadt an der Themse. Im Vergleich dazu schafften es mit Knip, Monetas und Etherium gerade einmal drei Jungunternehmen aus der Schweiz auf die Liste. Weitere globale Zentren der Fintech-Szene sind New York, Singapur und das Silicon Valley.
Ungleiche Verteilung über die Schweiz
In der Schweiz gab es im Jahr 2015 rund 170 Unternehmen, die der Fintech-Branche zugeordnet werden können, wie einer Deloitte-Studie zur Fintech-Landschaft Schweiz zu entnehmen ist. Seit 2010 versechsfachte sich die Anzahl der Fintech-Unternehmen.
Der Delotte-Studie zufolge zählt rund ein Viertel der Unternehmen zum Bereich Investment Management. Dahinter folgen mit einem Anteil von je rund 15 Prozent die Segmente Bankinfrastruktur, Spareinlagen/Kredite und Zahlungsverkehr. 11 Prozent beschäftigen sich mit virtuellem Geld, vor allem mit der Blockchain-Technologie. Die anderen Breichen kommen zusammen auf einen Anteil von rund 17 Prozent.
Die Fintech-Firmen verteilen sich jedoch ungleichmässig über die Schweiz. Die grosse Mehrheit von 60 Prozent ist im Raum Zürich beheimatet. Daneben bildete sich ein Zentrum in Zug heraus. Im sogenannten „Crypto Valley“ finden sich vor allem Firmen, die sich mit Crypto-Währungen und der Blockchain-Technologie beschäftigen. In der Region Lausanne formte sich das dritte Fintech-Zentrum.
Gemäss der Deloitte-Studie sind die Firmen im Durchschnitt noch sehr klein. Insgesamt arbeiten 1800 Personen in der Fintech-Branche. Dies entspricht etwa 10 Mitarbeitern pro Unternehmen. Eine Studie des Instituts für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern bestätigt dies. Laut der Studie beschäftigen zwei Drittel der Fintech-Unternehmen weniger als 15 Angestellte.
Stärken des Fintech-Standorts Schweiz
Dabei hat die Schweiz als Standort für Fintech-Unternehmen einiges zu bieten. Durch die vielen international tätigen Banken gibt es hierzulande ein grosses Finanz-Know-how und gut ausgebildetes Personal. Zudem sorgen Hochschulen wie die ETH Zürich, die EPF Lausanne oder die Hochschule St. Gallen für steten Nachwuchs an gut ausgebildeten Fachkräften. Und: Die Schweiz gilt in den meisten Studien als das Land mit dem höchsten Innovationspotenzial.
Die Stärken der Schweiz liegen laut Sandra Tobler, Swiss Business Hub USA und ICT-Spezialistin bei Switzerland Global Enterprise (S-GE), in der Vermögensverwaltung und bei den Versicherungen. Aber auch Sicherheitsthemen, ob nun Zugangsmanagement oder Cybersicherheit, würden durch Schweizer Jungunternehmen stark vorangetrieben.
Christophe Remillet, Gründer, CTO und Managing Director von Onevisage, bestätigt diese Ansicht. Das Westschweizer Start-up hat sich auf die 3-D-Gesichtsauthentifizierung spezialisiert. Das Branding als Schweizer Fintech-Unternehmen sei für Onevisage etwa in den USA ein wichtiges Verkaufsargument. Die Schweiz stehe nicht nur für hochentwickelte Produkte, sondern vor allem auch für Sicherheit. Dies liege auch an den strengen Anforderungen des Gesetzgebers an Sicherheit und Datenschutz, sagt Remillet.
Ein weiterer Standortvorteil ist, dass die Region Zug über ein starkes Blockchain-Ökosystem verfügt. Dies war für Daniel Gasteiger, Mitgründer der Blockchain-Plattform Nexussquared, ein wichtiges Argument für den Standort. Die Stärken der Blockchain, einer Schlüsseltechnologie im Fintech-Bereich, decken sich sehr gut mit den Merkmalen der Schweiz, wie er sagt. Denn Aspekte wie Dezentralisierung, Sicherheit, Unabhängigkeit und Neutralität stünden sowohl für die Schweiz wie auch die Blockchain. Sogar Blockchain-Start-ups aus den USA zeigten zunehmend Interesse an einem Umzug in die Schweiz. Der hohe Stellenwert des Datenschutzes sei hierfür oft der Hauptgrund, wie auch schon Remillet betonte.
Regulierung behindert Innovationen
Dass trotzdem noch kein starkes Fintech-Ökosystem entstanden ist, liegt an gewichtigen Standortnachteilen. Am "Swiss Fintech & Digitalization Day" Anfang Mai war das Thema Regulierung der am häufigsten genannte Kritikpunkt. Denn die Fintech-Unternehmen unterliegen wie auch Banken und Vermögensverwalter den strengen Auflagen der Finanzmarktaufsicht Finma. Daher forderte auch Bundespräsident Johann Schneider-Ammann am Event eine Überarbeitung der Regeln. Den Jungunternehmen sollten mit der Regulierung keine Steine in den Weg gelegt werden. Nur so könnten sich ihre Geschäftsmodelle entwickeln. Der Bundesrat habe diesen Missstand erkannt und erste Schritte unternommen. So habe die Finma Mitte März dieses Jahres die "Video- und Online-Identifizierung" zugelassen. Weitere Schritte in dieser Richtung habe der Bundesrat angekündigt, sagte Schneider-Ammann an der Veranstaltung.
Für Christina Kehl, Mitgründerin des Fintech-Start-ups Knip und Geschäftsführerin von Swiss Finance Startups (SFS), sollten die Regulierungen möglichst offen und technologieunabhängig gestaltet werden. Denn die Fintechs seien den Regulatoren zumeist mehrere Schritte voraus. Von der Bundesratsinitiative erhofft sich Kehl, dass die Finma ein "einwilligungsfreies Entwicklungsfeld mit brauchbaren Schwellenwerten" schafft. Darunter sind etwa finanzielle Grenzwerte zu verstehen, unterhalb derer nicht alle Finma-Regulierungen greifen. In die gleiche Richtung geht Kehls Forderung nach "separaten Bewilligungskategorien für Finanzinnovatoren".
Risikobereitschaft mangelhaft
Laut Remillet von Onevisage war es für sein Unternehmen äusserst schwierig, grosse Schweizer Finanzinstitute als Kunden zu gewinnen. Diese scheuten das Risiko und hätten auch Schwierigkeiten, mit Start-ups zusammenzuarbeiten. Dorian Selz, Mitgründer und CEO von Squirro, brachte diesen Punkt mit den Worten „Risikoaversion der bestehenden Marktteilnehmer“ auf den Punkt.
Auch Hucker betonte im Gespräch die fehlende Risikobereitschaft bei den Angestellten in der Schweizer Finanzbranche. Viele würden sich lieber für einen gut bezahlten Job bei einer Bank entscheiden als für das risikobehaftete Unternehmertum. Die fehlende Risikokultur in der Schweiz ist für Hucker daher der Bremsklotz für die Entwicklung einer dynamischen Fintech-Szene schlechthin.
Rahmenbedingungen noch nicht ideal
Abgesehen von den rechtlichen Rahmenbedingungen stellen auch die hohen Kosten in der Schweiz ein erhebliches Problem für die Fintech-Start-ups dar, wie Gasteiger sagt. Allein schon die Lebenshaltungskosten der Mitarbeiter würden viele ausländische Start-ups vor eine grosse Herausforderung stellen.
Dass es für einige Fintech-Firmen wie auch für ICT-Unternehmen teils schwierig sei, spezifische Fachkräfte zu finden, nennt Tobler als Problem. Die Arbeitsbewilligungen für IT-Spezialisten aus Drittstaaten seien nicht in allen Kantonen gleich ausgeschöpft, sagt Tobler. Um im weltweiten Wettbewerb bestehen zu können, müssten die Fintech-Start-ups jedoch "in der Lage sein, internationale Talente ins Land zu holen". Des Weiteren gebe es bisher keine zentrale Fördereinrichtung für Fintech-Unternehmen. John Hucker, Vorsitzender der Swiss Finance + Technology Association, wünscht sich eine Institution, die hierbei eine Art Führungsrolle übernimmt. Bestenfalls in der Form einer Kooperation zwischen Regierung und Industrie. Dieser Meinung ist auch Kehl. Sie wünscht sich sogar einen "Beauftragen für digitale Fragen". Dieser solle als eine Art Bindeglied zwischen "Bern und der Fintech- sowie Digitalbranche" fungieren.
Die Schweiz ist ein kleiner Markt
Ein weiteres Hemmnis für die Schweizer Fintech-Szene ist der vergleichsweise kleine heimische Markt mit 8 Millionen Menschen. Jungunternehmen in Berlin oder London haben durch den EU-Markt rund eine halbe Milliarde potenzielle Kunden, wie einer gemeinsamen Studie von Roland Berger und Swiss Finance Startups zu entnehmen ist. Der US-Binnenmarkt hat immerhin noch eine Grösse von mehr als 300 Millionen potenzielle Kunden.
"Je nach Geschäftsmodell müssten sich Fintech-Unternehmen etwas schneller auf ausländische Märkte konzentrieren", sagt Tobler. Gerade bei B2C-Produkten sei eine schnelle internationale Marktpenetration wichtig und damit verbunden sei die Abhängigkeit von Fremdkapital. Da seien starke ausländische Partner für Jungunternehmen zentral. Für ein schnelles Wachstum sei die Anzahl potenzieller Kunden in der Schweiz leider nicht gross genug, sagt Tobler weiter. Daher sei es auch nicht verwunderlich, dass viele Fintech-Unternehmen schon sehr früh ins Ausland gingen. Onevisage etwa war nach eigenen Angaben nahezu von Anfang an auf dem internationalen Markt aktiv. Unterstützung dafür gebe es etwa von der S-GE, sagt Remillet. Durch spezielle Unternehmensreisen, Vermittlung von Kontakten und Beratung eröffne die S-GE gezielt Märkte auch für Fintech-Unternehmen.
Das Geld sitzt auch im Fintech-Bereich nicht locker
Auch fehlendes Risikokapital für die Finanzierung von unternehmerischen Aktivitäten war ein häufig genannter Kritikpunkt am Swiss Fintech & Digitalization Day. Für Dorian Selz, Mitgründer und CEO des Fintech-Start-ups Squirro, war dies sogar der Hauptgrund, warum sein Unternehmen schon früh ins Ausland ging.
Wie gering der Anteil einer solchen Finanzierung von Fintech-Firmen ist, zeigt der "Swiss Fintech Report 2016" von EY und der Swiss Finance and Technology Association. Im Jahr 2014 flossen in der Schweiz 470 Millionen Franken in die Finanzierung von Start-ups. Davon gingen aber nur 8 Prozent an den Fintech-Bereich. Im Vergleich dazu investierten Risikokapitalgeber allein im Jahr 2015 weltweit rund 14 Milliarden US-Dollar in Finanztechnologien, wie das Portal Startups.watch schreibt. Für die Schweiz gibt es also noch einiges aufzuholen.
In der Finanzierung sieht Gasteiger jedoch kein fundamentales Problem. "Für jedes gute Projekt gibt es eine Finanzierung", zeigt er sich überzeugt. Als Beispiel nennt er das auf die Vermittlung von Versicherungen spezialisierte Start-up Knip, das in einer Finanzierungsrunde 15 Millionen Franken einwerben konnte. Die Schweizer müssten aber noch lernen, sich besser zu verkaufen. Dabei stünden sie etwa Firmen aus den USA noch in einigem nach. Ausschlaggebend für die Finanzierung sei letztlich meist ein gutes und überzeugendes Team.
Wie es geht, zeigt der Fintech-Standort London. Die Stadt betreibt ein äusserst aggressives Standortmarketing im In- und Ausland. Damit versucht sie sich als Fintech-Hub schlechthin zu positionieren, wie Tobler sagt. Dies gelinge ihr ganz gut, da viele private und öffentliche Interessenvertreter eng zusammenarbeiteten. Ausser Risikokapitalgebern findet sich in London die grösste Dichte an Fintech-Start-ups. Die Schweiz sei in dieser Hinsicht bescheiden, sagt Tobler.
Auf Schweizer Stärken setzen
Der Abstand der Schweiz zu den Fintech-Hochburgen ist für Hucker recht gross. Ganz vorne werde die Schweiz als Fintech-Standort nicht mitspielen können. Aber in gewissen Bereichen könne sie eine gewichtige Rolle einnehmen. Dafür müsse sich die Schweiz aber noch deutlicher als bisher auf ihre Stärken konzentrieren, sagt Hucker. Diese sieht er in der Verwaltung von Vermögen und alternativen Anlagen, in Versicherungen, Blockchain, ICT-Sicherheit und in der finanziellen Teilhabe.
In einer Marktanalyse zum Fintech-Standort Schweiz kommen Daniel Gasteiger und Daniel Grassinger von Nexussquared zu ähnlichen Resultaten. Ausser der Konzentration auf die bestehenden Blockchain-Kompetenzen könne sich die Schweiz zu einem Fintech-Hub im Bereich Vermögensmanagement weiterentwickeln.
Auch beim Thema Regulierung ist momentan einiges in Bewegung. Sowohl die Kantone wie auch der Bund haben erkannt, dass die Bedingungen für die Finanztechnologie in der Schweiz dem internationalen Wettbewerb angepasst werden müssen. "Gleichlange Spiesse für die Schweizer Fintech-Unternehmen", lautete der Tenor am Swiss Fintech & Digitalization Day. In den nächsten Monaten müssten die Weichen gestellt werden, waren sich die politischen Entscheidungsträger am Event einig.
"Auch wenn die Schweiz, den Startschuss erst spät gehört haben mag, so sind die Voraussetzungen hierzulande insgesamt einfach zu gut, um die Chancen nicht zu nutzen", sagte Kehl an der Veranstaltung. Denn nicht immer sei derjenige mit dem schnellsten Start auch am Ende ganz vorne. Dafür müssten aber sowohl Banken, etablierte Fintech-Anbieter, Start-ups und andere Wirtschaftsakteure intensiver zusammenarbeiten. "Wir wollen kein zweites London oder Berlin werden", sagte Kehl. Vielmehr müsse die Schweiz ihren eigenen Weg und ihre Nische finden. Alle Gesprächspartner zeigten sich optimistisch, dass dies gelingen kann.