Dossier

Netzwoche Nr. 9/2016

Editorial von Christoph Grau:

Verbandsmeierei

Die Verbandsmeierei ist in Anlehnung an die Vereinsmeierei ein im deutschsprachigen Raum häufig anzutreffendes Phänomen. Der ­Duden definiert die Vereinsmeierei als "übertriebenes Wichtignehmen der Bestätigung in einem oder mehreren Vereinen". Übertragen auf Verbände bedeutet dies in etwa, dass jede noch so kleine gesellschaftliche und wirtschaftliche Einheit ihre Bestätigung in der Gründung eines Verbands sucht. Die Idee ist auch nicht schlecht, denn so können die Interessen dieser Gruppe stärker repräsentiert werden.

Die "Meierei" wird jedoch im Wildwuchs sichtbar. In einigen Bereichen hat dies schon fast Züge von Monty Pythons "Life of Brian" angenommen. In der Geschichte vertreten sowohl die "Judäische Volksfront" wie auch die "Volksfront von Judäa" die gleichen Interessen. Anstatt gemeinsam eine Gruppe zu bilden, legen beide wert auf ihre Einzigartigkeit. Das schwächt ihre Kraft.

Ein Beispiel wäre der Schweizerische Fachverband für Sonnenenergie und die Schweizerische Vereinigung für Sonnenenergie. Beide treten ihrem Namen und ihren Statuten nach für die Interessen der Solarbranche der Schweiz ein. Jedoch wird das politische und gesellschaftliche Gewicht dieser Stimmen zumindest zweigeteilt. Bei den unterschiedlichen Interessen in der Solarbranche liesse sich die Zersplitterung vielleicht noch erklären. Anders sieht es hingegen bei der deutlich kleineren Fintech-Szene in der Schweiz aus. Je nach Rechnung gibt es 160 bis 170 Unternehmen, die in diese Kategorie fallen. Ein einzelner Verein sollte diese Interessen recht gut vertreten können. Aber weit gefehlt. Mindestens drei Vereine nehmen für sich in Anspruch, zumindest Teile der Branche zu repräsentieren. Und hier kommt wieder Monty Python ins Spiel. Sie heissen nämlich: "Swiss Finance + Technology Association", "Swiss Finance Startups" und "Swiss Fintech Innovation Lab".

Die Verbände geben an, jeweils unterschiedliche Gruppen der Finanztechnologie zu repräsentieren oder unterschiedliche Ziele zu verfolgen. Etwa mit dem Fokus auf dem Aufbau eines Fintech-Netzwerks wie die Swiss Finance + Technology Association, der Konzen­tration auf die Interessen von Start-ups wie Swiss Finance Startups oder eher einen wissenschaftlichen, forschenden Ansatz wie das Swiss Fintech Innovation Lab. Daneben gibt es noch etablierte Verbände, die sich auch am Rande mit Fintech beschäftigen. Etwa die traditionsreiche Schweizer Bankiersvereinigung oder auch die beiden grossen ICT-Verbände Swiss-ICT und der Dachverband ICT-Switzerland.

Bei diesem Interessenwirrwar ist es auch nicht verwunderlich, dass die Finanztechnologie bisher noch keine starke Stimme aufbauen konnte, um für die Interessen der jungen Branche einzutreten. Momentan bewegt sich hier zwar viel, und die Verbandsvertreter sprechen sich alle für mehr Kooperationen untereinander aus. Die Resultate lassen aber noch auf sich warten. Die Branche muss sich zusammenraufen, eventuell sogar eng mit einem der etablierten Verbände zusammenarbeiten. Nur so kann der nötige politische Druck aufgebaut werden, um zahlreichen Hemmnisse der Branche zu beseitigen.