Offenheit, Agilität, Vertrauen: Das brauchen Webprojekte heute
Die Digitalisierung verändert die Entwicklung von Webprojekten. Komplexität, Technik und agile Entwicklungsmethoden stellen Auftraggeber und Agenturen vor neue Herausforderungen. Die Redaktion hat beide Seiten gefragt, wie sie heute zusammenarbeiten, damit Projekte zum Erfolg führen.
Die Redaktion hat Auftragnehmer und Auftraggeber von Webprojekten zu Kommunikation und Kooperation befragt. Jung von Matt/Limmat, Liip, Namics sowie Coop, Migros, Sunrise und Graubünden Tourismus antworteten.
Zusammenarbeit bedinge Vertrauen und Kommunikation auf Augenhöhe, sagt Nina Braschler, Senior Principal Project Manager bei Namics. Die Agentur integriere Kunden in Projektteams, damit sie stets den Überblick behalten. "Gerade in einem agilen Umfeld ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Kunde und Team ein Muss."
Auch Liip sagt, dass Projekte auf Vertrauen beruhen. Kommunikation, Teamarbeit und offener Austausch seien für die Entwicklung digitaler Produkte unabdingbar. "Nur so kann eine gemeinsame Vision entstehen, für die sich alle im Projekt involvierten Personen einsetzen."
Roman Hirsbrunner, CEO von Jung von Matt/Limmat, sagt: "Wir lieben Kunden, die das Bedürfnis haben, Neues auszuprobieren und unsere Überzeugung teilen, dass man Grosses nur gemeinsam erreichen kann." Zusammenarbeit basiere auf Respekt, Offenheit, gemeinsamer Entwicklung und Spass. So schaffe man Wettbewerbsvorteile.
Die grössten Herausforderungen der Zusammenarbeit
Verfügbarkeit und Transparenz sind laut Namics grosse Herausforderungen. Der Kunde nehme wichtige Funktionen ein, zum Beispiel die Rolle des Product Owner. Das verlange Commitment. Diskussionen gebe es, wenn die Kultur nicht dem digitalen Zeitgeist entspreche - etwa wenn eine Fehler- und Feedbackkultur fehle.
Laut Liip ist es wichtig, Erwartungen zu managen. Der Auftragnehmer müsse den Mut haben, Risiken und Konfliktpunkte früh anzusprechen. Meist wolle er Budget und Scope festsetzen. Die so verlorene Flexibilität bringe oft einen geringeren Return on Investment.
“Wie schaffen wir es bei offenen und heterogenen Aufgabenstellungen, dass die richtigen Mitarbeitenden ein Problem lösen können?", fragt Hirsbrunner. Fragmentierungen und die Geschwindigkeit der Veränderung seien herausfordernd. Es helfe, strategisch und agil zu denken.
Arbeiten Auftraggeber und Auftragnehmer enger zusammen als früher? Nicht zwingend, sagt Namics. Man habe schon immer eng kooperiert. Projektziele seien nur erreichbar, wenn man Kunden konsequent einbinde. Auch Liip erkennt eine Korrelation zwischen Zusammenarbeit und Projekterfolg. Entwicklungsmethoden mit kurzen Iterationen seien förderlich. Laut Jung von Matt/Limmat ist die Zusammenarbeit noch immer zu wenig eng. "Die offenen Fragestellungen von heute und morgen bedingen einen sehr viel engeren Austausch als früher."
"Der digitale Wandel stellt nicht nur Industrien und Geschäftsmodelle vor neue Herausforderungen", schreibt Namics. Unternehmen müssten flexibler werden. Dass einige Berührungsängste mit agilen Projektmethoden wie Scrum haben, sei nicht verwunderlich.
Auftraggeber würden oft Sicherheiten vertraglich festlegen wollen, schreibt Liip. Auftragnehmer stellten Freiheit und Flexibilität in den Vordergrund. Das Ziel sei aber stets dasselbe: Business Value generieren und Erfolg haben. "Ich glaube nicht, dass es grundsätzliche kulturelle Unterschiede zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer gibt", sagt Hirsbrunner. "Wir arbeiten am liebsten mit Kunden, wo sich beide Kulturen gegenseitig befruchten."
Erfolg hat, wer die gleiche Sprache spricht
Wie stellen Agenturen sicher, dass Auftraggeber und Auftragnehmer die gleiche Sprache sprechen? “Das war und ist eine der grössten Herausforderungen”, sagt Braschler. Oftmals versteckten sich hinter Aussagen auch nicht ausgesprochene Erwartungen. Empathie und die Ansprache von Problemen sollen helfen, wie auch eine Wiederholung der Ergebnisse vor allen Beteiligten und das schriftliche Festhalten von Vereinbarungen.
Bei Liip sind Personen, die einen Deal abschliessen, in aller Regel im Projekt dabei. Die Pitches mache das künftige Projektteam und alle Beteiligten seien involviert. So sprächen nicht nur die Projektleiter die gleiche Sprache. Das sei möglich dank gemeinsamen Dailys, Plannings, Reviews, Retrospectives und Workshops.
Jung von Matt/Limmat legt Wert darauf, dass man offen über Chancen und Gefahren spricht. Beim Stakeholder-Management könnten Agenturen noch dazulernen. Oft entscheide nicht der Inhalt über Erfolg oder Misserfolg, sondern wie gut man Konzepte intern verankern könne. Man habe darum eine neue Funktion eingeführt: Client Director. Er verknüpfe die Kunden- mit der Agentursicht.
Kommunikation im agilen Umfeld sei transparent und direkt, sagt Namics. Agile Methodik löse Probleme, bevor sie auftreten. Ein gutes Gefäss sei die Retrospektive: Meetings, um gemeinsam die Zusammenarbeit zu optimieren.
Laut Liip verlieren Konzeptpapiere an Bedeutung. Vielen Auftragnehmern fehle es in agilen Projekten an Sicherheit. Es sei aber meist möglich, Bedürfnisse kurzfristig anzupassen. Eine konstante Neupriorisierung bringe alle weiter und mache Projekte schneller und erfolgreicher.
Heute sind oft mehrere Agenturen und Auftraggeber am Projekt beteiligt. Erschwert das die Umsetzung? Es führe meist zu besseren Lösungen, sagt Hirsbrunner. Rollen, Zuständigkeiten und Prozesse müssten aber klar sein.
Dass man manchmal Unterstützung benötige, sei kein Problem, sagt Namics. Die Umsetzung mit mehreren Parteien sei eine Herausforderung. Die Integration in ein agiles Team und Tools wie Jira und Wiki würden aber helfen.
Laut Liip steigert jede zusätzliche Partei die Komplexität eines Projekts. Selbst mit der Illusion idealer Kommunikation bliebe die Herausforderung der vielen Abhängigkeiten. "Diese lassen sich nur lösen, wenn sich die Parteien der Tatsache bewusst sind und mit der erforderlichen Agilität der Herausforderung stellen."
Für Namics lauern die grössten Gefahren in sich konkurrierenden Projektzielen. Etwa wenn ein Projekt eine sportliche Deadline habe, obwohl eine neue Technologie zum Einsatz komme. Das berge die Gefahr, dass weder der Kunde noch die Agentur genügend Zeit habe, um Erfahrungen zu sammeln. Weitere Gefahren seien unklare Rollenverteilungen oder zu viele Stakeholder.
"Die Gefahren sind die gleichen wie früher", schreibt Jung von Matt/Limmat: Falsche Zielvorstellungen, fehlendes Know-how, Teamfit und fehlerhaftes Erwartungsmanagement. In einer sich schnell verändernden Welt mit heterogenen Aufgabenstellungen sei es wichtig, gemeinsam Zeit und Hirn in das "How" zu investieren und sich nicht nur mit dem "What" auseinanderzusetzen.
Liip weist darauf hin, dass auch Fixed-Scope- und Fixed-Price-Verträge gefährlich seien. Sie würden nicht mehr Sicherheit schaffen sondern Komplexität und Kosten erhöhen. Auch die Kommunikation im Projektteam berge oft Gefahren, "denn wenn Menschen zusammenarbeiten ist Kommunikation einer der Schlüssel zum Erfolg".
Agenturen müssen die Kunden der Kunden verstehen
Gemäss einer 2017 durchgeführten Umfrage der Entwicklerplattform "Stackoverflow" ist die Kundenzufriedenheit für Entwickler das wichtigste Mass, um ihre Leistung zu messen. Wir haben Schweizer Firmen nach ihren Erfahrungen bei der Umsetzung von Webprojekten befragt.
Clemens Bartlome, Leiter Produkt- und Erlebnismarketing bei Graubünden Tourismus, sieht als zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche Partnerschaft, dass die Agentur die Anforderung des Auftraggebers erfüllt und qualitativ hochstehende Arbeit leistet. Für die anderen Firmen ist eher die Art der Zusammenarbeit wichtig. Coop wünscht sich eine "partnerschaftliche und gegenseitig befruchtende" Kooperation. Für Sunrise steht Vertrauen und eine enge Zusammenarbeit im Vordergrund. Die Agentur müsse die Kunden des Unternehmens sehr gut kennen und den Auftraggeber inspirieren können. Für Migros sind Nachhaltigkeit und Effizienz wichtig.
Regelmässiger Austausch verhindert Kulturkonflikte
Die Kooperation in der Webentwicklung verläuft nicht immer reibungslos. Die Grossverteiler Coop und Migros sehen eine Herausforderung darin, trotz steigender Komplexität, Kostendruck und immer mehr technischer Möglichkeiten mit den Agenturen ein schlüssiges Produkt zu schaffen. Ein weiteres Thema ist die Flexibilität. Auftragnehmer müssten heute flexibel auf wechselnde Kundenanforderungen reagieren können, fordert Migros. Sunrise sieht vor allem bei der Agilität Nachholbedarf. Viele Agenturen würden immer noch mit "alten Offline-Regeln" arbeiten, was genaue Briefings bedinge. "Es fehlt die Innovationskraft, die aber gerade den Mehrwert bietet", schreibt Sunrise.
Eine Herausforderung besteht in den unterschiedlichen Unternehmenskulturen. Bartlome bringt die Sache auf den Punkt: "Die Agentur ist dem Kunden verpflichtet und der Kunde dem Endkonsumenten." Auftraggeber wünschen sich Entwickler, die kulturell zu ihnen passen und die gleiche Sprache sprechen. Sunrise berücksichtige diesen Aspekt bereits bei der Auswahl der Agentur. Damit diese ein Verständnis für die Bedürfnisse der Endkunden entwickeln können, lädt der Telko die Entwickler auch ein, Zeit mit der "Frontline" zu verbringen - etwa mit dem Kundenservice. Coop nimmt die kulturellen Unterschiede generell nicht als Problem wahr. Viele Personen würden beide Seiten aus beruflicher Erfahrung kennen, schreibt das Unternehmen. Durch einen regelmässigen Austausch, klare Verantwortlichkeiten und Verständnis der gemeinsamen Aufgaben könne die Kooperation bewerkstelligt werden.
Enge Kooperation als Voraussetzung für Erfolg
Bei der Frage, ob Agenturen heute enger mit den Auftraggebern zusammenarbeiten, gehen die Meinungen auseinander. Graubünden Tourismus sieht keine solche Tendenz. Die anderen Befragten sind der Meinung, dass die Bande zwischen den Partnern stärker geknüpft seien als früher. Für Migros und Sunrise ist eine enge Zusammenarbeit im digitalen Bereich sogar zwingend, um auf Veränderungen reagieren zu können und mit der steigenden Komplexität umzugehen. "Wir sind darauf angewiesen, dass unsere Agenturen mit der Dynamik Schritt halten", schreibt Migros.
Auch zum Thema Full-Service-Agentur oder Spezialisten gibt es verschiedene Ansichten. An spezialisierten Agenturen schätzen die Unternehmen, mehr Kontrolle bei der Umsetzung zu haben. Dadurch steige zwar der Aufwand zur Koordination, doch könne man aus mehr Diversität auch ein Mehr an Schubkraft für das Projekt herausholen, schreibt etwa Sunrise. Wichtiger als die Entscheidung zwischen Full-Service- oder Spezialagentur war für die befragten Unternehmen, passende Partner zu finden, eine effiziente Zusammenarbeit zu realisieren und sich über die Ziele des Projekts im Klaren zu sein.