Die Schweizer Baubranche digitalisiert sich im Schneckentempo
Die digitale Transformation in der Schweizer Baubranche schreitet langsam voran. Dies zeigt ein Blick über die Landesgrenzen. Expertinnen und Experten sind sich einig, dass ein Umdenken nötig ist. Ein Schweizer Kies- und Betonhersteller zeigt, wie umfassende Digitalisierung gelingen kann.
Die Schweizer Baubranche tut sich schwer mit der Digitalisierung. Bescheidene 4,6 von 10 möglichen Punkten erreicht die Schweiz im Digital Real Estate Index 2023 des Beratungsunternehmens Pom+. Dieser misst jährlich den digitalen Reifegrad von Bau- und Immobilienunternehmen. In der Umfrage bewerten Unternehmensvertreterinnen und -vertreter, wie weit sie in den Bereichen Strategie, Organisation & Prozesse, Kunden, Produkte & IT-Infrastruktur sowie Technologieeinsatz digitalisiert sind, woraus sich der Index für ihr jeweiliges Unternehmen berechnet.
Dem Einsatz von Building Information Modeling (BIM), einer Methode zum ganzheitlichen Planen, Erstellen und Verwalten von Informationen für Bauprojekte, verdanken Planer und Bauunternehmerinnen zwar einen leichten Fortschritt im Vergleich zum Vorjahr. Trotzdem zeigt ein Blick auf die Verbreitung von BIM in Europa: Die Schweiz hinkt ihren Nachbarn beträchtlich hinterher. Während 2022 in Deutschland und Frankreich 70 respektive 60 Prozent der Unternehmen BIM einsetzten, waren es hierzulande gerade mal 20 Prozent.
Weg von der Einzelkämpfer-Mentalität
BIM stellt ein geplantes Bauobjekt digital dar, bündelt alle dazugehörigen Daten an einem Ort und lässt sämtliche an einem Projekt beteiligten Akteure effizient zusammenarbeiten. Somit gelte die BIM-Methode als Synonym für eine digitalisierte Baubranche, sagt der Experte Markus Weber im Interview. Er leitet den 2020 ins Leben gerufene Studiengang Digital Construction an der Hochschule Luzern und ist Präsident des Think Tanks "Bauen digital Schweiz".
Markus Weber, Co-Leiter des Bachelorstudiengangs "Digital Construction" und Präsident des Think Tanks "Bauen digital Schweiz". (Source: hslu.ch)
Gründe für den niedrigen Digitalisierungsgrad in der Schweizer Baubranche sieht Weber in einer Kultur, die Einzelkämpfer zutage geführt und in der sich seit 50 Jahren wenig verändert hat. In der Baubranche werde noch immer überwiegend sequenziell gearbeitet. Architektinnen und Architekten erstellen Baupläne nach ihren spezifischen Richtlinien, die dann an Bauunternehmen übergeben werden. Diese interpretieren die Pläne und integrieren sie in ihre Prozesse. Auch Maschinenführer müssen umständlich die für sie relevanten Informationen aus den Plänen extrahieren. Diese Übergänge geschähen heute vorwiegend händisch, sagt Weber, und ergänzt: "Mit BIM kann man diese vielen Schnittstellen durchgängig machen. Das bedingt aber, dass jeder dieser Akteure sich in einen Gesamtprozess eingliedert. Hier muss man dringend das Miteinander in den Vordergrund stellen."
Zudem könne die digitale Transformation beachtliche Ressourcen in Unternehmen absorbieren, sagt Anna Wimmer, Fachexpertin der Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren (KBOB). "Wissen wird aufgebaut und weitergegeben, Investitionen werden getätigt, Prozesse und Organisationen angepasst. Bis die erwartete Effizienzsteigerung realisiert werden kann, ist eine grosse Hürde zu nehmen."
Nachhaltigkeit und Produktivitätssteigerung durch Digitalisierung
Dass die Digitalisierung trotz der zu überwindenden Hürden nicht nur notwendig ist, sondern auch Chancen für Unternehmen bietet, zeigt Markus Weber anhand von aktuellen Zahlen: Während das produzierende Gewerbe in den vergangenen 20 Jahren seine Produktivität um über 100 Prozent gesteigert habe, liege der Produktivitätszuwachs in der Bauwirtschaft im gleichen Zeitraum im Bereich von einem Prozent. "Dieses eine Prozent hat auch damit zu tun, dass Planen und Bauen viel komplexer geworden ist. Gebäude sind interdisziplinäre Systeme. Alle Teile müssen wie Zahnräder ineinandergreifen und aufeinander abgestimmt sein. Um Effizienz und Qualität zu steigern, ist Digitalisierung unabdingbar", betont Weber. Statistiken zeigten denn auch, dass die Schweiz pro Jahr 3 bis 5 Milliarden Franken für Fehlerbehebungen ausgibt. Diese Fehler passierten meistens an den Schnittstellen, also bei der Übergabe der Informationen von einem zum nächsten Akteur. Genau dort setze die Digitalisierung an.
Anna Wimmer, Fachexpertin der Koordinationskonferenz der öffentlichen Bau- und Liegenschaftsorgane (KBOB). (Source: zVg)
Dazu kommt, dass sich die Schweiz mit der Annahme des Klimaschutzgesetzes verpflichtet hat, bis 2050 klimaneutral zu werden. Auch hier sei Digitalisierung auf lange Sicht essentiell, sagt Wimmer von der KBOB. Das lasse sich insbesondere am Beispiel des Baustoffs Beton aufzeigen, dessen Herstellung energieintensiv ist und hohe CO2-Emissionen verursacht: "Bereits die für die Umsetzung des KIG erforderliche einheitliche Kalkulation der CO2-Emissionen über die gesamte Lebensdauer von Betonteilen ist ohne digitale Methoden kaum vorstellbar". Weiteres Optimierungspotential wird laut Wimmer von digitalen Fertigungstechniken erwartet. So ist etwa bei vorfabrizierten Tragwerkselementen aus Beton bei gleichwertigen Qualitätsmerkmalen von einer Materialreduktion von bis zu 30 Prozent die Rede.
Auch Markus Weber ist überzeugt, dass Digitalisierung der Schüssel für eine nachhaltiger bebaute Umwelt sei. Derzeit sei die Bauwirtschaft laut dem Experten für über 80 Prozent des gesamten Abfallaufkommens in der Schweiz verantwortlich. Wolle man nachhaltiger bauen, sei es notwendig, verbaute Baumaterialien und Bauteile wiederzuverwenden oder zu rezyklieren. Dazu müsse man aber frühzeitig wissen, welche Teile verfügbar sind und ab wann, denn "zwischen Planen und Bauen gibt es eine grosse Zeitverzögerung". Er zeichnet die Idee einer digitalen Plattform nach, in der sämtliche aktuell oder demnächst verfügbaren Bauteile registriert seien - "wie ein virtuelles Hochregallager".
Dass die Baubranche die anstehenden Herausforderungen nur mit Zusammenarbeit und dem Einsatz moderner Technologien meistern kann, scheinen indes immer mehr Unternehmen zu realisieren, wie ein jüngst veröffentlichter Report der Software-Firma Smino zeigt. Das Unternehmen bietet cloudbasierte Prozesslösungen im Bauwesen an und verzeichnet eine wachsende Nachfrage nach digitalen Lösungen. So sei zwischen 2021 und 2023 die Anzahl Unternehmen pro Projekt um 30 Prozent angestiegen. Dieser Netzwerkeffekt bringe für Nutzende von Softwarelösungen einen erheblichen Mehrwert, insbesondere durch die Vernetzung zwischen verschiedenen Akteuren.
Ein Praxisbeispiel zeigt, wie digitale Transformation gelingt
Ein Beispiel für eine umfassende digitale Transformation in der Baubranche liefert die Firma Kies AG. Das in Zurzach und Beringen ansässige Familienunternehmen bereitet Kies, Sand und Beton auf und übernimmt sowohl Transport und Entsorgung respektive Recycling der Materialien.
Thomas Bütikofer, Geschäftsführer der Kies AG. (Source: zVg)
"Unsere Pläne sehen vor, dass sämtliche Ressourcen ab Werk ausschliesslich mit elektronischen, papierlosen Dokumenten verwaltet werden", sagt CEO Thomas Bütikofer. Dafür habe man eigens eine App entwickelt, die eine rein digitale Abwicklung von der Angebotserstellung bis zur Fakturierung ermögliche. Mit Echtzeitdaten könne man weltweit auf Lieferscheine zugreifen. Die App könne auch Routen effizienter planen und dem Büro mittels Geofencing-Technologie signalisieren, wenn ein Fahrer oder eine Fahrerin vor Ort entlädt. Dafür arbeitet die Kies AG mit dem Softwareunternehmen Swynoo zusammen.
Auch KI will die Firma einsetzen: Insbesondere in der Disposition sei deren Einsatz gewinnbringend, da Betondisponenten und -disponentinnen schwer zu finden seien. So entlastet die Technologie Angestellte in der Disposition und das LKW-Fahrpersonal von bürokratischen Aufgaben und lässt ihnen mehr Zeit für prozessbezogene Projekte, wie Bütikofer erklärt. Weiter könne KI etwa auf Basis von aktiven Bestellungen das am besten geeignete Fahrzeug für eine Lieferung ermitteln oder der Projektleitung in Echtzeit sämtliche Daten ihrer Baustelle zur Verfügung stellen.
Sandra Hürlimann, Leiterin Logistik, Kies AG. (Source: zVg)
Der Übergang zur digitalen Arbeitsweise ist allerdings auch mit Hürden verbunden, wie Logistik-Leiterin Sandra Hürlimann einräumt: "Einerseits sind dies personenbezogene Aspekte, wie beispielsweise die Angst vor Veränderung oder die Zurückhaltung, Neues digital auszuprobieren. Mitarbeitende müssen ihre gewohnte Arbeitsweise hinter sich lassen." Andererseits begegneten sie auch systemischen Herausforderungen, wenn etwa bestehende Systeme nicht mit den Anforderungen der Digitalisierung kompatibel seien.
Marcel Christen, Mitglied des Verwaltungsrats, Kies AG. (Source: zVg)
Doch die Bemühungen haben sich für die Kies AG gelohnt. "Durch die Digitalisierung erzielen wir eine deutliche Verbesserung der Zeiteffizienz. Die optimierte Auslastung unserer Lastwagen ermöglicht kürzere Transportzeiten und trägt somit zu einer effizienteren Nutzung unserer Ressourcen bei", sagt Marcel Christen. Er beobachtet, dass Aufträge seit dem Umstieg auf papierlos schneller bearbeitet und abgeschlossen werden. So werde nicht nur die Produktivität gesteigert, man könne auch schneller auf Kundenbedürfnisse reagieren, was laut Christen zu einem besseren Service führt.
Silke Tröndle, Aktionärin und VR-Präsidentin, Kies AG. (Source: zVg)
Wie wichtig das Miteinander in der Baubranche ist, scheint die Kies AG indes verstanden zu haben. So betont Verwaltungsratspräsidentin Silke Tröndle: "Eine weitere grosse Vision ist es, die Aufträge vermehrt zu teilen, damit die Rentabilität jedes einzelnen Unternehmens steigt".
Übrigens: Wer sein Unternehmen digitalisieren will, braucht eine gute Portion Mut und viele Daten. Welche Schlüsselfaktoren sonst noch zum Erfolg von Digitalisierungsprojekten beitragen, lesen Sie hier.